06.09.2020 (Apg. 6, 1-7): Funktionale Differenzierung  und das Evangelium

Video des Gottesdienstes

Gottesdienstblatt

Apg. 6, 1-7 (Luther 2017) Apostelgeschichte 6, 1-7 (Neue evangelistische Übersetzung)

1 In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung.

2 Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und zu Tische dienen.

3 Darum, liebe Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll Geistes und Weisheit sind, die wollen wir bestellen zu diesem Dienst.

4 Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.

5 Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Proselyten aus Antiochia.

6 Diese stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten ihnen die Hände auf.

7 Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem. Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam.

 

 

 

NEÜ - Spannungen in der Gemeinde

1     Damals vermehrte sich die Zahl der Jünger ständig. Doch gab es auch Unzufriedenheit in der Gemeinde. Die Hellenisten[1] beschwerten sich nämlich über die Hebräer,[2] weil ihre Witwen bei der täglichen Versorgung übersehen wurden.

2     Da riefen die Zwölf die ganze Versammlung der Jünger zusammen und sagten: "Es ist nicht richtig, dass wir die Verkündigung des Wortes Gottes vernachlässigen und uns um die Verteilung der Lebensmittel kümmern.

3     Seht euch deshalb nach sieben Männern unter euch um, liebe Brüder, denen wir diese Aufgabe übertragen können. Sie müssen einen guten Ruf haben und mit dem Heiligen Geist und mit Weisheit erfüllt sein.

4     Wir selbst werden uns weiterhin dem Gebet und der Weitergabe des Gotteswortes widmen."

5     Mit diesem Vorschlag waren alle einverstanden. Sie wählten Stephanus, einen glaubensvollen und mit dem Heiligen Geist erfüllten Mann, dann Philippus, Prochorus und Nikanor, Timon und Parmenas und Nikolaus, einen Mann aus Antiochia, der zum Judentum übergetreten war.

6 Diese sieben stellten sie vor die Apostel, die ihnen betend die Hände auflegten.

7 Das Wort Gottes breitete sich immer weiter aus, und die Zahl der Jünger in Jerusalem vermehrte sich stark. Selbst eine große Zahl von Priestern folgte gehorsam dem Ruf zum Glauben.

 

1.       Einleitung

Funktionale Differenzierung ist ein häufig verwendetes Prinzip, sowohl in der Biologie unter den Aspekt der Struktur und Funktion oder in den Gesellschaften.

In der Biologie besagt das Prinzip der funktionalen Differenzierung (Struktur & Funktion), dass jede Struktur, Organ oder beispielsweise eine Hand oder ein Fuß eine - für das konkrete Leben der Pflanze, des Menschen oder Tieres - genau ausgebildete Funktion übernimmt. Unsere Hand kann greifen, umfassen oder geballt werden um verschiedene Aufgaben also Funktionen zu übernehmen. (Zeigen und vormachen)

Die Füße von Flugvögel habe dagegen keinen seitlich abstehenden Daumen wie wir, sondern eine nach hinten gebogene Gegenkralle, damit das Landen oder Sitzen auf Stromleitungen oder Ästen möglich wird.

Dieses Funktionsprinzip, dass alles, was entstanden ist für etwas nütze sei, also eine konkrete Aufgabe über nehmen soll, ist heute Lehrmeinung.

Auch in unserer modernen Gesellschaft hat das Prinzip der Funktionalen Aufteilung von Aufgaben anfangs schleichend aber dann immer mehr die Struktur übernommen. Kranken und Rentenversicherung übernehmen die Funktion/Aufgabe der gesellschaftlichen Versorgung bei Krankheit oder im Alter; immer weniger die Familie. Die Berufe sind aus dem Zunftwesen herausgelöst und so funktional ausdifferenziert, also VIELFÄLTIG wie die Anforderung, dass wir nicht alles können müssen: Kochen, Hüten, Säen/Ernten, Kinder erziehen, Stoff weben, Strümpfe stricken, Wände verputzen oder Flugzeuge fliegen. Berufe spezialisieren sich immer mehr, weil immer mehr Detailwissen und Know-how gefragt ist.

Auch wenn Corona gerade diese funktionale Differenzierung nutzt um in unsere Gesellschaft über Flugzeuge, Kontakte in die verschiedenen Arbeitsgruppen einzugreifen, bleibt die funktionale Aufgabenverteilung eine der wesentlichsten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts.

Und je komplexer die Welt wird, desto differenzierter wird es auch mit dem Beruf oder der Neuentstehung von Berufen wie z.B. Internetdesigner, die Websiten herstellen oder alles was mit neuen Medien, neuer Mobilität oder auch dem Versandhandel zu tun hat.

Die Ausdifferenzierung, wenn neue Aufgaben anstehen, setzt sich fort.

2.       Bibeltext

Auch der heutige Predigttext zeigt eine der ersten Formen christlicher Funktionalisierung, mit der eine „Ausdifferenzierung“ als neue Berufe geschaffen werden. Ich lese aus dem Apg. 6, 1-7: VORLESEN.

Hier entstehen neue Job mit dem Namen Diakone.

Was aber häufig bei dem Lobhuddeln auf die Urchristliche Gemeinde übersehen wird, ist der Auslöser dieser Aufteilung von Arbeiten.

Die Urgemeinde geht (1) unfair miteinander um. Die Jacke ist sich näher als die Hose, also die Judenchristen versorgen sich und lassen die Heidenchristen außen vor. Korruption, Egoismus und Eigennutz haben als wesentliche Aspekte nach kurzer Zeit Einzug in die Jerusalemer Mustergemeinde gehalten. Der eigentliche Hammer des heutigen Textes ist aber das Auftreten der 12 (?) Apostel in der Versammlung der Jünger, also derjenigen, die nun dem Evangelium des Jesus nach Kreuz + Auferstehung nachfolgen.

Die Apostel nervt, dass sie sich mit dem Alltäglichen; hier das Verteilen des Essens beschäftigen sollen. Nochmals zu Deutlichkeit: die heiligen Apostel nervt es, wenn Sie den Witwen dienen sollen.

Und weil die Apostel sich schlicht nicht darum selber kümmern, schlagen Sie eine funktionale Differenzierung vor, indem nun das Amt der Diakone entstellen soll.

Ihr Argument ist, dass Sie sich nicht dem Alltag beschäftigen wollen, sondern mit beten und verkündigen. Wow. Oder?

Das Amt der Diakonie entsteht, damit die Apostel nun allein als Funktionsträger für „Beten und Verkündigen“ ohne das alltägliche Geschiss, sich um arme, Witwen oder Waisen zu kümmern.

Funktionale Differenzierung, damit die Apostel sich dem Gebet und der Verkündigung widmen können und der urchristliche Laden in Jerusalem dennoch laufen kann. Cool oder?

Die Heiligen sollen heilig sein und bleiben. Die Alltagsarbeit, also die Behebung der Ungerechtigkeiten, die durch Menschen, die angeblich Christus nachfolgen, sollen andere wie Stephanus machen.

Hört sich das nicht schon jetzt, also wenige Zeit nach der Himmelfahrt Jesu so an wie im Gleichnis des barmherzigen Samriters. Die Funktionsträger wollen sich nicht die Hände schmutzig machen, indem Sie aktiv den Nächsten helfen.

3.       Christus als Struktur/Funktion Gottes

Kann sich eigentlich irgendjemand hier im Raum dieses Verhalten der Apostel verstehen, wenn man an Jesu Handeln und seine Erzählungen denkt? Wäre Jesus auf die Idee gekommen, sich allein auf das Beten und Verkündigen zu konzentrieren und nicht den in Not geraten; durch das Verhalten einiger seiner Jünger, weil die ihre eigenen jüdischen „Witwen“ begünstigen, statt die Samaritaner oder die Griechen und Heiden?

Könnte wir uns dieses funktional differenzierte Verhalten Jesu vorstellen, dass er sagt: Lasst uns Dekanatsjugendreferenten einstellen, damit ich mich nicht mehr mit dem Geschrei der Kinder und Jugendlichen beschäftigen muss? Könnten wir uns vorstellen, dass Jesus fordert, er sei nicht für das Wunder tun da, man solle gefälligst eine Abteilung gründen, die die Wunder an den Blinden, Tauben, Wassersüchtigen, Besessenen oder wie bei Lazarus die Verstorbenen zu kümmern hat, damit er nicht mehr für die Wunder zuständig sei, und sich um beten und Verkündigung kümmern kann.

Die Antwort ist einfach. Nein – niemals. Denn die Gefahr der funktionalen Differenzierung ist es ja, die Jesus in all seinem Handeln bekämpft. Wenn wir diese Ausspreizung machen, z.B. für Wunder musst du in Darmstadt eine Antrag an das Dezernat „Wundertätige“ stellen, um dann in den Genuss der Gnade und Heilung durch Gott zu kommen.

Nein Niemals. Und der Streit um dieses bequemliche ist ja schon bald vorprogrammiert; mit Paulus in Korinth. Dort wissen wir, dass Apostel/Jünger aus Jerusalem auftreten, die für Beten und Evangelium GELD wollen. Paulus nicht. Die Gnade Gottes benötigt keinen schriftlichen Antrag mit 5 Durchschlägen, damit man am Evangelium teil hat und die Gnade zugesprochen bekommt, So was kann nur denen einfallen, die ihre Ruhe mit dem eng begrenzten Job des „Betens und Verkündigens“ zu tun haben wollen.

4.       Heute

Eigentlich ist bei den Apostel, wenn Jesus weg ist, alles wie heute- oder?

Aber das klappt ja nicht, weder damals noch heute. Denn Paschas braucht niemand, die sich bedienen lassen wollen und nicht dienen wollen. Heute wie damals – wie Paulus bald deutlich macht – umfasst das Leben als Christ unser ganzes Leben und die Sorgen und Nöte der ganzen Menschen.

Isolierte Funktionsgruppen, die sich abkapseln, das klappt nicht; weder bei Politikern, Reichen oder auch den Aposteln. Wir müssen unser ganzes Leben als solches im Evangelium wahrnehmen.

Und das ist auch nicht anders als mit unserer Hand, mit Struktur und Funktion. Denn die erdachten, geglaubten Funktionen (auch der Hand), auf die wir uns und unser Leben reduzieren, machen das Leben zwar funktionaler mit in NICHTS Lebenswerter.

Eine Hand kann doch soviel mehr als nur greifen. Sie kann schlagen, streicheln, aufhelfen, nieder prügeln, fühlen, heilen, helfen, Klavier spielen oder sprechen; – ja sogar – sprechen. Ja, eine Hand kann sprechen, wenn man die Taubstummensprache mit ihr spricht. Das reine und ausschließliche Funktionalisieren entwürdigt das Leben und den Menschen, weil schlicht vergessen wird, dass Leben unsagbar viel mehr ist als nur Funktion. Mit Stephanus bekommen nun die Witwen vielleicht die körperliche Nahrung – das ist wichtig. Aber bekommen Sie auch das Evangelium und die Gnade Gottes in Verkündigung und Gebet? Das wäre ja so wie eine funktionale Diakonie, die keine Zeit mehr hat fürs Beten und Zuhören, weil die Engmaschigen Vergütungssysteme es nicht mehr zulassen. Oder die Kinder. Sie werden nun gehütet, aber nicht mehr gesegnet und erhalten keine Geschichten von Jesus mehr. Wir machen eine funktionale GÜT, eine die Gnade, ähem Gemeinde übergreifende Trägerschaft, damit man sich nicht mehr um die Menschenkinder kümmern zu müssen.

Kurz: Jede Funktionalisierung, so hilfreich diese sein mag, um so mehr steht diese in der Gefahr, dass die Funktionsträger wie im Beispiel der Pfarrer und Küstern beim barmherzigen Samariter die Augen für die Alltagswelt schließen und sich isolieren. Das ist es was Jesus schlicht hasst, ja hasst. Diese seelenlosen Funktionsträger und -trägerinnen, die sich nur och meinen um sich selbst kümmern und mit den Niederungen des Alltags nichts mehr zu tun haben wollen. Ganz ehrlich, irgendwie hat Corona auch hier die Streu vom Samen Gottes getrennt. Und wir werden sehen, ob dieser Same wirklich Frucht bringt.

Und wenn wir nun „Funktional Differenzieren“ muss unsere erste Aufgabe es sein, dass wir uns selbst fragen, ob wir dann mit etwas nichts mehr zu tun haben wollen. Wenn wir das mit ja sagen – dann bitte schön, seid euch bewusst, dass wir in der drängenden Gefahr stehen wie Pharisäer und Leviten zu handeln, wenn wir mit dem Alltag und den Niederungen der menschlichen Bedürftigkeit zu tun bekommen.

Das Gleichnis um die Funktionsproblematik macht Jesus ja beim „barmherzigen Samariter“ deutlich. Die eingesetzten Funktionsgruppen, Pharisäer und Levit, Pfarrer und Küster, haben mit dem unter die Räuber gefallen nichts mehr zu tun: denn  wir stehen in der Gefahr den Blick für den Nächsten zu verlieren. Da hüte uns Gott vor. Amen

Herr, schenke uns deine Sicht auf den Alltag und die Nöte der Menschen und lass uns als Funktionsträger den Kopf für andere heben. Amen.