2019.01.27 (Ex. 3,1-15- Auszüge): Berufen zur Zukunft

Exodus (2. Buch Mose)

Kap. 3, 1-8a(8b-9)10(11-12)13-14(15) Die gerahmten Vers(teile) sollen eigentlich weggelassen werden.

1   Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Wüste hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb.

2   Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde.

3   Da sprach er: Ich will hingehen und diese wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt.

4   Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich.

5   Er sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!

6   Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.

7   Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Geschrei über ihre Bedränger habe ich gehört; ich habe ihre Leiden erkannt.

8   Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie aus diesem Lande hinaufführe in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt,

    in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter.

9   Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Drangsal gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen,

10 so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.

11 Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten?

12 Er sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott dienen auf diesem Berge.

13 Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt!, und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen?

14 Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt.

15 Und Gott sprach weiter zu Mose: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der HERR, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name auf ewig, mit dem man mich anrufen soll von Geschlecht zu Geschlecht.

 

1.      Einleitung

Als vor fast genau 86 Jahren Adolf Hitler vom Reichspräsidenten Hindenburg zum Kanzler ernannt wurde, empfanden das viele Protestanten wie eine göttliche Berufung und Erlösung.

Dass Chaos, welches die Notstandsregierungen seit 1929 und der Weltwirtschaftskrise im fragilen Deutschland in der Endphase der Weimarer Republik hinterlassen hatten, war mit demokratischen Mitteln – so schien es – nicht mehr beherrschbar. Straßenkämpfe zwischen Links, Rechts, Oben, Unten, und überhaupt. Die Krise hatte die Nationalsozialisten einr Splitterpartei von 2,6% (Reichstagswahlen 1926) in 1930 zunächst mit 18,6% zur zweitstärkste Fraktion im Reichstag nach der SPD (24,5%) katapulierte, dann 1930 mit 37,3% (SPD 21,6%) der Wählerstimmen zur mit Abstand stärksten Fraktion gemacht. Kanzler stellten aber Minderheitsregierungen, die mit Notverordnungen Hindenburgs regierten.

Die Berufung nun von Adolf Hitler zum Reichskanzler, also der Führer der stärksten Fraktion im Reichstag, war für viele – auch nicht Nazi Anhänger – eine Berufung höherer Natur. Sein Auftrag war das deutsche Volk wieder in die Zukunft und nach der Schmach der Kriegsniederlage, dem Kaiserverlust, der Entwaffnung, der Reparationszahlungen wieder eine Hoffnung und Perspektive zu geben.

Wir wissen, dass Adolf Hitler wesentlich mit den Stimmen der Protestanten der Bürger- und Arbeiterschaft gewählt wurde. (Link) Und natürlich haben auch bisherige Wähler der Kommunisten, Sozialisten sowie Sozialdemokraten Hitler gewählt; sowie viele Nichtwähler.

Hitlers Auftreten, das, was wir heute als Demagogie bezeichnen, hat Einzelne, Tausende, Hunderttausende und Millionen von Menschen fasziniert und begeistert. Mit dem Abstand von fast 90 Jahren und dem Wissen um die Gräueltaten der Nazis ist uns heute nicht mehr klar, wie Adolf Hitler Menschen von seiner Idee der Zukunft Deutschland in den Bann ziehen konnte.

Liest man seinen Bestseller, das Kampf-Buch (12 Mio. Auflage; ab 1936 Beigabe bei Trauungen Beigabe statt Bibel; seit 2016 als kritische Ausgabe in 2 Bänden erhältlich) dann wird auch verständlich, warum dieser Mensch mit seiner einfachen Sprache, seiner klaren Positionierung und vor allem mit seiner Botschaft begeisterte. Die Zukunft Deutschlands liege im Raum, im Raumgebiet des Ostens und damit in der Eroberung und Besiedelung des Gebietes östlich der Oder und Neiße-Linie.

Warum die Protestsanten (von Kaisertreuen, Bürgerlichen und auch Arbeitern) so anfällig für diese Zukunftsbotschaft waren, hängt vor allem mit dem Thema der Berufung zusammen. Berufung hat etwas mit einer Sendung und Sendungsbewusstsein zu tun. Vollmacht und Berufung wird gerade dann so unglaublich attraktiv, wenn die Jungen bis 40 nach Veränderung, und der Befreiung von einengenden Traditionen streben; und wenn man einen Feind die Schuld gegeben kann, eben die Juden.

Während andere hierarchische Strukturen wie das Papsttum, das Kaisertum ihre innere Stärke aus der gewohnten Struktur erhalten, so ist es bei den Evangelischen gerade nicht, vor allem nicht in Krisenzeiten.

Martin Luther  hatte letztlich die kirchliche Obrigkeit zwar nicht aufgelöst, aber an ihre Stelle die persönliche Beziehung zwischen Gott und dem einzelnen Menschen direkt gesetzt. Und wenn Gott direkt zu mir spricht statt über katholische Priester oder den Kaiser ist selbstredend, die Gestaltung der eigenen Zukunft immer eine besondere Herausforderung.

Viele Protestanten sahen diese Zukunfthoffnung in Adolf Hitler erfüllt. Das änderte sich im Herbst 1933 (alle Parteien waren verboten, die Kirche sollte gleichgeschaltet werden); spätestens beim Treffen der Kirchenführer mit Hitler im Januar 1934, bei Hitler die Bischöfe samt dem einzigen Pfarrer, Niemöller, anbrüllte, sie sollen sich aus dem  Staat raushalten.

 

2.      Bibeltext

Auch der heutige Predigttext beschreibt eine Berufung eines einfachen Viehhirten zu einer besonderen Zukunfts- und Gestaltungsaufgabe. Mose soll ein Volk in eine neues Land im Osten führen und zwar heraus aus der Versklavung im Westen (in Ägypten); aus der Sklaverei in das Land, in dem Milch und Honig fließt. Dass dieser Exodus, dieser Auszug zu einem Krieg mit den im „gelobten Land“ lebenden Menschen führte, hatte ich ja in der Predigt zu Josua 1 am 1.1.2019 ausgeführt. Nun aber zur Berufung Mose. Ich lese aus dem 2. Buch Mose, Kapitel 3. Da der Text sehr lang ist, haben Sie den Text schon am Eingang erhalten.  Exodus 3, 1-15

Was man auch immer theologisch zu dieser Berufungsgeschichte des Moses sagen will, so erscheint der Vorgang und die Aufgabe so verblüffend ähnlich und übernommen bei der Machtergreifung, der Berufung Hitlers am 30.01.1933. Land im Osten – das Proprium Hitlers und der Israeliten in Ägypten. Ein Land in dem Milch und Honig fließt. Ein Land - schlicht eine neue Zukunft, raus aus der Sklaverei in Ägypten,  aus der Beklemmung des ersten Weltkriegs hinein in den Lebensraum im Osten.

Die verblüffende Ähnlichkeit der beiden Berufungen – so unterschiedlich sie auch faktisch sind:  hier durch Gott oder dort durch eine selbsterfundene Expansionsideologie - verblüfft, wenn man sich überhaupt die Mühe macht, die eigene Geschichte als Protestanten aufzuarbeiten.

Das tun nicht viele, weil theologisch wir Pfarrer meist auf den brennenden Busch, das heilige Land, welches nur barfüssig betreten werden darf und die Verheißung des gelobten Landes bei Mose isoliert abzielen ohne aber die Lebensumstände zu beachten. Zum Text wird ja empfohlen gerade die eingerahmten, also die kritischen Textstellen NICHT zu verwenden.

Denn natürlich wird dieser Exodus überaus blutig, wenn die Erstgeborenen Ägyptens sterben oder die Bewohner Jerchios erobert und nieder gemacht werden. Dem Theologischen hängt also immer die Gefahr inne, zu harmonisieren, zu glätten, im Interesse einer erfundenen Harmonie des gelobten Landes zu vergessen, dass es Eroberungskriege waren.

Was bedeutet es, einer Berufung zu folgen, die letztlich uns in den Alltag des Veränderns, in den Aufbruch in die eigene Zukunft bestimmt?

Mose sollte für andere im Auftrag Gottes das Elend beenden. Gott kommt vom Himmel und rettet sein Volk, während das ägyptische und kanaanäische Volk leiden muss. Hier ist der wesentliche Unterscheidung zu Adolf Hitler. Er wird selbst zum Messias auserkoren, dem Retter der Deutschen, des reinen Blutes und vor allem gegen die Juden, also genau gegen die Volksgruppe, die Mose durch Gottes Auftrag zur Befreiung, zur Zukunft führt. Die Berufung Hitlers ist also eine Selbstberufung. Sie ist keine Berufung für andere, sondern auf Kosten von anderen.

3.      Christus – Verheißung des Bundes - neu

Als Christen lehnen wir diese Eroberungsideologie ab, wenn wir glauben, dass meine Zukunft auf die Kosten der Zukunft anderer ausgefochten wird. Nicht der Kampf des Stärkeren oder der stärkeren Rasse ist unser Auftrag, sondern die Gnade Gottes in Christus als bleibende Zukunftsaussage an uns zu erfassen, verstehen und zu leben; und zwar über den Tod hinaus. Diese Zukunft ist im Namen Gottes selbst angelegt, wie der Text deutlich macht: „Ich werde sein“ – das ist Gottes Name. Zukunft ist seine Verheißung. Zukunft ist sein Wesen, das in Christus auf uns strahlt. Es strahlt aber eben nicht aus der protestantischen Anfälligkeit für einen siegreichen Führer, sondern aus dem Gnädigen Blick in Kreuz und Auferstehung Christi, der Opfer ist und damit zum Sieger über den Tod wird.

Martin Niemöller hat es spätestens im Januar 1934 kaptiert; bis dahin hat er sogar sei über 10 Jahren Hitler gewählt wie er selbst sagt. Heute am Tag der Opfer des Nationalsozialismus, am Tag als das Konzentrationslager Auschwitz befreit wurde; heute gedenken wir unserer protestantischen Schwäche, unserer Anfälligkeit für Verführung.

Das KZ Auschwitz – das professionalisierte, industrielle Vernichten von Menschen – wurde am 27. Januar 1945 von der Sowjetarmee befreit.

Wir als Christen gedenken dieses Tages als den Opfern des Nationalsozialisten. Denn dort in den Gaskammern ist Christus mit gestorben. Dort ist Jesus täglich 4-6.000 mal in die Gaskammer gewandert. Dort ist Gott in Christus gestorben für die Opfer der falschen Zukunft. Nicht „Gott mit uns“ auf dem Feld der Kriegshelden, sondern Gott selbst ist das Opfer in Christus für die Welt. Diese Heilstat in Erniedrigung am Kreuz, in Auferstehung aus dem Grab und dem Eröffnen der Zukunft in der Gnade Gottes ist es, die wir – eigentlich – im Blick des Lebens, des Lebens in Gottes Gnade in uns tragen, tragen sollten.  

4.      Heute

Martin Niemöller (Link 2) war Täter und Opfer. Täter und Wegbereiter des Nationalsozialismus, weil er mit seiner Wahlstimme dieses Böse, den Satan in Hitler und uns Menschen mit an die Macht gebracht hat; Opfer, weil er betrogen wurde und letztlich dafür gelitten hat.

Warum also, sind wir Protestanten so anfällig, wenn mit lautem Geschrei, mit christlichen Bildern, Texten von einer Heilswelt der Zukunft fabuliert wird? Die Antwort ist einfach: Weil wir unser Vertrauen häufig nicht auf Gott und seine Botschaft setzen, sondern auf die Botschaften und Versprechen in dieser Welt. Wenn wir glauben, die Zukunft sei eine Zukunft allein in meinem Raum, in meiner Zeit, dann haben wir schon verloren und sind verloren. Wenn wir aber unser Vertrauen auf die Gestaltung der Zukunft im Angesicht der eigenen Endlichkeit und der gnädigen Aufnahme in Christus setzen, dann ist es viel einfacher möglich, ein Leben aus dem Evangelium und als Evangelische zu führen.

Und – auch hier in Raunheim – sehnen sich viele danach, dass das Lebens vorgegeben, klar strukturiert, harmonisiert und mit der Hoffnung wie ein Lottoschein mit Gewinngarantie präsentiert wird oder letztlich die Pfarrers heile Welt in einer nicht erlösten Welt spielen sollen. Es gibt dieses Nest der Heils nicht; auch nicht in den Kirchen. Egal wie die Nester heißen, Luther, Melanchthon oder Paulus, nichts der Abschottung von der Welt – wie Hitler ja die Bischöfe im Januar 1934 aufforderte – ist letztlich Evangelisch. Und dennoch bleiben wir anfällig, mit Sehnsucht nach einer heilen Welt und geilen uns auf am Stress in der TV Arena im Dschungel, im Sturm der Liebe oder was auch immer. Evangelisch leben ist aber kaum ein Popcornleben vor dem Fernseher und in einer Illusionswelt.

Und so macht uns der Predigttext zur Berufung Mose und das heutige Gedenken an die Auschwitz-Befreiung eines deutlich:
Wir sind Menschen und damit anfällig für Zukunft. Wir sind Evangelische, die auch zur Zukunftsgestaltung aufgefordert sind.

Die Frage, die wir uns stellen müssen ist einfach: Ist unser Leben das des Eigennutz oder ist es Leben in der Gnade Christi, der für uns und andere starb und auferstand?

Sind wir demütig oder übermütig? Übermütig ohne Blick auf den Nächsten? Oder demütig wie Mose, der das neue Land barfuss betreten soll. Das heißt nichts anderes als Zukunft nun ohne Tradition, ohne Vorgaben, Vorurteile  oder Eigennutz zu betreten. Gott ist Zukunft. Ich werde sein – ist sein Name.

Und letztlich wird die Frage an uns zuletzt nur lauten: Wo warst du? Wo warst du, als es darum ging einzutreten für die Opfer von Hass, Gewalt und von Tradition, Opfer von Vorurteilen? Wo warst du, wenn es darum ging Zukunft als Zukunft auf Kosten anderer zu gestalten?

Dann kann und darf unsere Antwort nur lauten: Christus hilf.

Amen.

Herr, gibt Stärke Berufung zu erkennen, anzunehmen und zu gestalten. Amen.