16.12.2018 (Römer 15, 4-13): Evangelium und Aufklärung

Römer 15, 4-13 (Lutherbibel 2017) Römer 15, 4-13 (Neue evangelistische Übersetzung)

4 Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben.

5 Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, wie es Christus Jesus entspricht,

6 damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus.

7 Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Ehre.

8 Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Beschneidung geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind;

9 die Heiden aber sollen Gott die Ehre geben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht (Psalm 18,50): »Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.«

10 Und wiederum heißt es (5. Mose 32,43): »Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!«

11 Und wiederum (Psalm 117,1): »Lobet den Herrn, alle Heiden, und preisen sollen ihn alle Völker!«

12 Und wiederum spricht Jesaja (Jesaja 11,10): »Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais, und der wird aufstehen, zu herrschen über die Völker; auf den werden die Völker hoffen.«

13 Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.

4 Denn aus allem, was früher aufgeschrieben wurde, sollen wir lernen. Die heiligen Schriften geben uns Trost und ermutigen zum Durchhalten, bis sich unsere Hoffnung erfüllt.

5 Und der Gott, von dem Geduld und Ermutigung kommen, gebe euch die Einmütigkeit, wie sie Jesus Christus entspricht,

6 damit ihr ihn, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, einmütig wie aus einem Mund preist.

7 Deshalb nehmt euch gegenseitig an, wie auch Christus euch angenommen hat, damit Gott geehrt wird!

8 Denn ich sage euch: Der Messias ist ein Diener der Juden geworden, um die Wahrhaftigkeit Gottes zu bezeugen. Er wollte die Zusagen bestätigen, die ihre Vätern erhalten hatten,

9 und wollte, dass die Nichtjuden Gott für seine Barmherzigkeit ehren, wie auch geschrieben steht: "Darum will ich dich preisen unter den Völkern. Zum Ruhm deines Namens will ich Loblieder singen."

10 An anderer Stelle heißt es: "Freut euch mit seinem Volk, ihr Völker alle!"

11 Und weiter: "Lobt den Herrn, all ihr Völker, alle Nationen sollen ihn preisen!"

12 Und Jesaja sagt: "Es kommt der Spross, der aus der Wurzel Isais hervorwächst. Er steht auf, um über die Völker zu herrschen. Auf ihn werden sie hoffen."1

13 Möge Gott, die Quelle der Hoffnung, euch im Glauben mit Freude und Frieden erfüllen, damit eure Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes immer stärker wird.

 

1.      Einleitung

Wenn wir uns heute über das Wort „Beschneidung“ unterhalten müssen, so könnte das in unserer Welt nicht ferner sein.
Wo werden wir heute noch im Leben „beschnitten“, also zurückgestutzt auf das, was vorgegeben ist. Im Leben eingeschränkt, von anderen dominiert bzw. ohne eigene Entscheidungsfreiheit vorgesetzt zu bekommen, was man oder vor allem frau machen, arbeiten, lernen, heiraten, wählen oder glauben muss, ist schon lange vergangen. Sicher – manche Konfirmanden meinen, dass sie versklavt werden, wenn mal der Mülleimer rausgetragen werden muss, wenn WLAN zeitlich limitiert ist oder die Schule Hausaufgaben fordern. Aber bleiben wir realistisch.

Wir – hier in Deutschland – sind weit davon entfernt, dass unser Leben, unsere Entscheidungsfreiheiten beschnitten und eingeschränkt sind.

Sicher wer nicht mir Geld, Arbeit, Alkohol oder Liebe umgehen kann, der merkt schnell, dass die Freiheit des Grundgesetzes eben nicht allein die Freiheit des Einzelnen, also des Individuums ist, was man selbst darstellt, sondern auch andere freiheitsliebende Individuen ihr Recht einfordern.

Schließlich gehört die Straße nicht nur mir. Die nervigen Fußgänger und Langsamfahrer gibt es auch; vor allem wenn ich mit dem Auto und nicht zu Fuß unterwegs bin. Und natürlich schränken auch die eigenen Geldmittel, die Anzahl der individuellen Synapsen oder auch der eigene Geschmack so manche Freiheiten ein. Schuhe, die mehr als 35 Euro bei Deichmann, Aldi kosten, mögen das nicht tun, eingeschränkt, beschnitten zu sein. Geschmack halt. Aber letztlich müssen wir uns kaum einschränken oder werden beschnitten wie andere, die zu einer bestimmten Nation, einem Volk, einer Rasse, einem Glauben oder einer Kirche gehören.

Wer und was dürfte dem aufgeklärten, westlichen Menschen überhaupt noch mitteilen, was eine Begrenzung sei?

Aufgeklärt und digital ist der Mensch heute und das rund um den Globus.

Aufklärung – das war eine Epoche, die sich von den Zwängen des Äußeren versucht hat zu befreien. Im Jahr 1783 in der Berlinischen Monatsschrift fragte Pfarrer Zöllner süffisant und provokativ, was überhaupt Aufklärung sei. Der nun eröffnete Wettbewerb der Berlinischen Monatsschrift „Was ist Auferklärung?“ führt zu einer Fülle von Einsendungen und Veröffentlichungen. Die bekannteste und prämierte Antwort von Imanuel Kant ist drei Seiten lang und zu Beginn schnell bestimmt:

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

Kurz: Aufklärung ist – so Kant: a) das Aufwachen von Dummheit und b) das Aufwachen von Trägheit und c) das Aufwachen von Angst.

Dumm ist, wer nicht selbst denkt. Träge ist, wer nicht selbst sein Leben bestimmt. Ängstlich ist, wer keinen Mut zur Zukunftsgestaltung hat.

Nun gäbe es heute genug Beispiele für die Dummheit, Trägheit und Angst: Kinder, die erst mit 35 ausziehen, keine Entscheidungen treffen können; ebenso wie Ältere, die nicht das Ende und die Pflege im Blick haben. Kirchen, die sich auf die Kirchensteuer allein verlassen ohne mutig, barfüssig und wandernd den Weg für die Ankunft des Herrn bereiten. Menschen, die glauben, dass auch nur eine Tradition irgendetwas mit Zukunftsgestaltung zu tun habe. Menschen, die Angst vor allem haben und vor allem mit Veränderung. Die Angst bestimmt natürlich auch heute noch das Aufwachen zu Selbstständigkeit und der Pflicht das eigene Leben eigenständig zu gestalten. Habe Mut, lautet Kants Antwort.

2.      Bibeltext

Im Grund lässt sich mit dieser Kurzfassung auch die komplette Theologie des Paulus zusammenfassen. Als griechisch gebildeter Jude und gesetzestreuer Pharisäer mit römischem Bürgerrecht verfolgte Paulus zunächst die Anhänger Jesu Christi, dem er nie begegnet war. Doch seit seiner Bekehrung wurde er zum Apostel für die Heiden, also die nicht jüdischen Menschen auf Erden. Er verkündigte den auferstandenen Christus und seine Kernbotschaft von Kreuz und Auferstehung als die Mitte des christlichen Glaubens ist die, ist seine Evangeliumskernbotschaft.

Der heutige Predigttext aus Römer 15, 4-13 fasst es zusammen. LESEN.

Diesen Text könnte man als die „Aufklärung des Paulus“ beschreiben. Lege die Angst vor dem Gesetz und der Tradition ab. Lebe dein Leben mit Mut, Kraft, Zuversicht, weil Christus für dich die Beschneidung auf sich genommen hat. Paulus beschreibt hier die Verbindung zwischen der jüdischen Verheißung, die durch das Gesetz und symbolisch der Beschneidung der Jungs, als das Entfernen der Vorhaut am Penis rituell vollzogen wird. Es stellt sozusagen die „Taufe“ der Juden dar. Mädchen brauchen das nicht, weil Frauen immer zum Volk der Juden gehören, weil sie es sind, die durch Geburt das Jude-Sein weitergeben.

3.      Christus – Diener der Beschneidung

Die Botschaft des Paulus ist eine Erklärung an die römischen Christen, seien es sie vorher Juden oder Heiden gewesen. Es geht darum, dass Verheißung keine Trennung zwischen Juden und Heiden erzeugt, sondern die Erfüllung der Gnade, der Erlösung und Erwählung Gottes an die Juden im Alten Testament NUN AUCH in Kreuz und Auferstehung durch Christus Jesus an alle Menschen offenbar und greifbar wird.

Die Beschneidung der Erlösung als nationale Verengung wird durch Gott selbst in Christus aufgelöst, indem es nun eine Fortsetzung gibt.

Und so versucht Paulus den nun erst kurz wieder in Rom weilenden Juden und Christen die gemeinsame Verheißung vor Augen zu führen.

(Historisch: Nach 6 Jahre Verbannung wegen des Claudius Edikts aus dem Jahr 49 mit der Ausweisung aller „Juden“, weil die den Staatsfrieden massiv gestört haben, im Streit um Chrestos, sind unter Kaiser Nero vorbei).

Christus erfüllt das Gesetz für alle. Als Diener dieser Beschneidung bestätigt er die Verheißung Gottes an die Väter UND bezieht die Nicht-Juden in die Erlösungshoffnung ein.

8 Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Beschneidung geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind;

9 die Heiden aber sollen Gott die Ehre geben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht (Psalm 18,50): »Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.«

Was ist diese Erlösungshoffnung anderes als der in der Aufklärung beschriebene Aufbruch: Die Angst vor Tradition, Tod und Zukunft kannst du getrost vergessen, wenn du dich auf den Herrn Jesus Christus berufst. Sicher darin ist die Aufklärung, die Paulus zu Kreuz & Auferstehung gibt anders als die von Kant. Letztlich ist aber eben auch das Christusgeschehen das Aufwecken aus Traditionspflicht, aus Angst vor Selbstbestimmung und letztlich der Unsicherheit, die eigene Zukunft zu gestalten.

4.      Heute

Wer liegt nicht schon gerne länger in seinem warmen Bett? Wer lässt sich nicht gerne berieseln, ohne dass man oder frau selbst was tun muss? Wer lässt nicht gerne McDonalds kochen, die anderen putzen, arbeiten oder lernen? Wer ist nicht in der Bequemlichkeit beheimatet?

Nun - evangelische Christen sind es eigentlich nicht. Denn unsere Aufgabe ist es, sich dieser eigenen selbstverschuldeten Unmündigkeit, dem Berieseln-Lassen, dem einfach nur Sich-Selbst-Nutzen, auszubrechen.

Nicht das eigene ICH steht oder besser liegt sich im Weg, sondern die Bereitschaft neben dem Ich auch die anderen Individuen wahrzunehmen.

a) Aufwachen vor Dummheit: Also Angst haben sich dumm und falsch anzustellen, Fehler zu machen ÜBERWINDEN. Angst vor dem falschen Aussehen, falschen Antworten, Überlegungen, Sätzen und dass man oder frau als Dummchen erkannt wird.

Dagegen steht die Bereitschaft zu lernen, leben und Fehler zu machen; immer mit der Maßgabe, dadurch weiterzukommen.

b) Aufwachen aus Trägheit: Also sich mummelig einzurichten im Nest der Bequemlichkeit, andere die Arbeit machen zu lassen, statt Arbeit als eigene Form der Lebensentwicklung und Lebensgestaltung zu erfahren.

Dagegen steht das Bewusstsein, dass wir nicht alleine agieren und sind, sondern wir als Gemeinschaft aufeinander angewiesen sind. Wenn wir glauben, dass die Polen, dann die Rumänen oder letztlich vielleicht die Asylanten uns die Häuser bauen, uns pflegen und den Hintern abwischen und wir selbst nur noch zu höheren Aufgaben bestimmt sind, wie Shoppen, Weihnachtseinkäufe oder whatsappen, dann gute Nacht Aufklärung.

c) Aufwachen aus der Angst der Selbsteinigelung. Luther hat dies als die Sünde schlechthin bezeichnet: Sich selbst einkrümmen, einigeln und vor der eigenen Angst zerfließen.

Dagegen steht das Evangelium und die Botschaft, die Paulus uns heute mitgibt: Christus ist Diener deiner Angst, deiner Trägheit, deiner Dummheit in Kreuz und Auferstehung geworden. Also: Raus aus den Federn der Bequemlichkeit. Hinein in das unsichere Leben, die Zukunft. Investiere, sei bereit Zeit, Energie, Lust und Mut aufzuwenden; für dich und andere. Habe Mut du da, du da, du da. Habe Mut, du Kirche der Angst und der Selbstzweifel. Habe Mut, du reiche Nation der Besserwisser und Bedenkenträger. Habe Mut; und mit Christus wird es echt einfach.

Mutig leben, weil Christus uns Leben - und das heißt ZUKUNFT - schenkt; hier wie dort. Amen.

Herr, wirf Mut vom Himmel in unsere Herzen, Hände und Hirne. Amen.