30.09.2018 (Jakobus 2, 1-13): Aufrichtig

Jak, 2, 1-13: Kein Ansehen der Person in der Gemeinde

1 Meine Brüder und Schwestern, haltet den Glauben an Jesus Christus, unsern Herrn der Herrlichkeit, frei von allem Ansehen der Person.

2 Denn wenn in eure Versammlung ein Mann kommt mit einem goldenen Ring und in herrlicher Kleidung, es kommt aber auch ein Armer in unsauberer Kleidung,

3 und ihr seht auf den, der herrlich gekleidet ist, und sprecht zu ihm: Setz du dich hierher auf den guten Platz!, und sprecht zu dem Armen: Stell du dich dorthin!, oder: Setz dich unten zu meinen Füßen!,

4 macht ihr dann nicht Unterschiede unter euch und urteilt mit bösen Gedanken?

5 Hört zu, meine Lieben! Hat nicht Gott erwählt die Armen in der Welt, die im Glauben reich sind und Erben des Reichs, das er verheißen hat denen, die ihn lieb haben?

6 Ihr aber habt dem Armen Unehre angetan. Sind es nicht die Reichen, die Gewalt gegen euch üben und euch vor Gericht ziehen?

7 Verlästern sie nicht den guten Namen, der über euch genannt ist?

8 Wenn ihr das königliche Gesetz erfüllt nach der Schrift (3. Mose 19,18): »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst«, so tut ihr recht;

9 wenn ihr aber die Person anseht, tut ihr Sünde und werdet überführt vom Gesetz als Übertreter.

10 Denn wenn jemand das ganze Gesetz hält und sündigt gegen ein einziges Gebot, der ist am ganzen Gesetz schuldig.

11 Denn der gesagt hat (2. Mose 20,13-14): »Du sollst nicht ehebrechen«, der hat auch gesagt: »Du sollst nicht töten.« Wenn du nun nicht die Ehe brichst, tötest aber, bist du ein Übertreter des Gesetzes.

12 Redet so und handelt so als Leute, die durchs Gesetz der Freiheit gerichtet werden sollen.

13 Denn es wird ein unbarmherziges Gericht über den ergehen, der nicht Barmherzigkeit getan hat; Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht.

 

1.      Einleitung

Der Beruf des Heiratsschwindlers ist – so  müsste man heute eher unumwunden zugeben – im 21 Jahrhundert nahe zu ausgestorben.
Und …. doch scheint es auch im 21. Jahrhundert eine digitale Variante dieses Berufszweigs zu geben. Der Heiratsschwindler, von dem noch die älteren Mädels unter uns gewarnt wurden, hat heute einen anderen Namen: der Romance Scammer.

Aber der Reihe nach: Ein/e Heiratsschwindler/in ist in der Regel ein/e Betrüger/in, der/die in Erwartung der Ehe von dem Partner oder der Partnerin sich einen Vorteil, eine Begünstigung – heute eher finanzieller Natur; früher auch anderweitig materiell - erhofft.
Früher wie heute ist das auslösende Moment für derartiges Tun die Anfälligkeit des Menschen, Vertrauen zu entwickeln.
Wir Menschen stehen in der Gefahr, dass die Erfahrungen, die Bezeugungen, die Worte und Taten, die man scheinbar uns zugute tut, letztlich nichts anderes sind als Heuchelei. Heuchelei (griechisch: Hypokrisie) – darum geht es also; dem Vorspiegeln falscher Tatsachen, Gefühle oder Bezeugungen wie Liebe, Zukunft oder was auch immer. Und Heuchelei, die sich auf einen materiellen Vorteil - also auf Geld vor allem - konzentriert, könnte sogar als Betrug oder versuchter Betrug nach dem Strafgesetzbuch bewertet werden. Aber mit solchen harten Waffen muss man eigentlich nicht auftreten. Denn Heuchelei, also das Vorspielen und Vorspiegeln falscher Tatsachen, um sich einen Vorteil zu erschleichen, ist doch ein menschliches Tagesgeschäft.

Was tun wir nicht alles, um uns selbst vorzuheucheln, fitter, jünger, dynamischer, attraktiver, wichtiger, geliebter, intelligenter oder was auch immer zu sein. Und die Welt spielt mit. Das heißt, wir als Menschen spielen mit, wenn wir den anderen – natürlich nur im Guten vorheucheln – wie toll die Frisur ist, das einem die Bauchfalte mit Rollencharakter einem gut steht, oder die Falten am Hals die Kette erst richtig zur Geltung bringen.

Selbst selbstbewusst emanzipierte Frauen sind bei einem damenhaften Auftreten und Echauffieren wie Tür aufmachen, Tasche tragen etc. anfällig. Männer, wenn dem Großspurigen Lob gezollt wird, dem Reichen Achtung, dem Alten Jugendhaftigkeit zugesäußelt wird.  
Wer die Presse aufmerksam verfolgt, weiß um den Prozess, der gerade in München vor dem Landgericht München gegen einen Deutschen, Nigerianer, Ghananesen läuft. Diese Männer haben Frauen über eine Millionen Euro abgeschwatzt, erheuchelt über Internetplattformen, in dem sie höchst dramatische Geschichte und Lebensprobleme geschildert haben.
Frauen über 40, Singles sind die Opfer auf dem Scamming Markt in Nigeria oder Ghana. Männer über 50 Jahren werden Opfer von Heuchlerinnen aus dem Angebotsmarkt Russland. Und: die geheuchelten, also erfundenen Profile, Bilder, Geschichten über das Internet führen in der Menge dazu, dass sich vereinsamte, hilfsbereite, und emotional anfällige Personen gerne auf die Chats, Mails und auch Geldhilfe einlassen.

Obgleich es für diesen Beruf des Heiratsschwindlers scheinbar keinen Markt mehr gibt, werden nun über geheuchelte Kontakte weiterhin Menschen betrogen.

2.      Bibeltext

Um Heuchelei und Betrug und sogenanntes religiöses Scamming, also moralisch-christliche Heuchelei geht es auch im heutigen Predigttext:
Denn die Art der Heuchelei ist immer auch ein Zulassen von Betrogen werden wollen. Auch der heutige Predigttext schildert wie das gehen kann. Wir hopsen mal vom 21. ins 1. Jahrhundert.
Jakobus 2, 1-13: Der Brief des Jakobus (auch: Jakobusbrief) ist eine so genannte „Epistel“. Eine Epistel ist eine Ansprache in Briefform, die sich mahnend und ermunternd an die gesamte damalige Christenheit wendet. Daher zählt man Briefe, die nicht an einen konkreten Adressaten geht - häufig mit Namensnennungen wie bei Paulusbriefen – als Epistel, also eine Art Rundschreiben - zu den Katholischen Briefe. „Katholisch“ deshalb weil die Briefe an alle gingen, also allgemein (= griechisch καθολικός katholikós) also für alle, die es betreffen möge, adressiert waren.

Ob es sich bei dem Jakobus des Briefes um dem ältesten (?) Bruder Jesu handelt, der erst nach der Auferstehung zu den Jünger und Aposteln zur Jerusalem Urgemeinde kam oder ein späterer Schreiber sich dessen Namen aneignete,  wissen wir nicht. Der Herrenbruder Jakobus darf nicht mit den beiden Jüngern Jesu mit Namen Jakobus verwechselt werden; also Jakobus, dem Zebedaiten (gesteinigt 42 n. Chr. Apg. 12,1f von dessen Ermordung durch Herodes vor 14 Tagen der Predigttext auch handelte) oder Jakobus, dem Jüngeren (Sohn des Alphäus).

Selbst in unserem Predigttext wird aber deutlich, dass der Schreiber eng mit der jüdischen Gemeinde und dem jüdischen Gesetzeswerk vertraut ist; möglicherweise steht der Schreiber für eine in der Apostelgeschichte angedeutete eher jüdische Messiasgemeinde, statt einer heidnischen Christusgemeinde.

Denn die Vollkommenheit des Gesetzes steht hier im Vordergrund; also dass die Abweichung von einem Gesetz schon alles zunichte macht.

Zitat: 10 Denn wenn jemand das ganze Gesetz hält und sündigt gegen ein einziges Gebot, der ist am ganzen Gesetz schuldig.

Und der Ermahnungsschwerpunkt liegt in der Tugend der Barmherzigkeit als eigene Tat, die letztlich das Gericht dominiert.

Zitat: 13 Denn es wird ein unbarmherziges Gericht über den ergehen, der nicht Barmherzigkeit getan hat; Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht. (Das Gericht/Krisis ist unbarmherzig dem, der nicht barmherzig ist.

3.      Christus als Lösung

Insofern kam man verstehen, warum lange der Brief eher nicht nach vorne in das NT geschoben wurde; auch nicht bei Luther. Die mahnende Ansprache – o.k.; aber die Bedrohung mit dem Gericht im Angesicht der Botschaft vom Kreuz und der Auferstehung im Glauben an Christus bringt hier eine eher moralische Variante ins Spiel. Letztlich fehlt der Hinweis auf die Befreiung vom Gesetz und dessen Erfüllung.

So richtig das alles sein mag, was Jakobus schreibt. dass die Heuchelei der Mitbrüder und Mitschwestern, das Vorgaukeln von Freundschaft, Barmherzigkeit oder gar Würde; und auch so wichtig das zu sein hat, vermag es nicht das Evangelium zu Wirken zu bringen. Keine Schacherei z.B. um Erbbaugrundstücke und Kirchenvorstandsmitgliedschaft, um Beauftragung von Aufträgen oder Umgang bei Einstellungen - all dies wirkt nicht in die Befreiung in Christus, die eben OHNE HEUCHELEI auskommt. Gott muss sich uns nicht anbiedern. Kirche auch nicht. Predigt – richtig GAR NICHT. Gott gibt sich selbst. Gott ist aufrichtig. Seine Liege sei ohne falsch, wie ich gestern beim Trau Gottesdienst am englischen Begriff Sincerity aufgeführt habe. Aufrichtigkeit durch die Erfahrung der Liebe Gottes in Christus  - DAS ist die Botschaft, die uns im Leben letztlich also frohe Botschaft trägt und hält und hinüberbringt in das Leben, in dem wir weder heucheln müssen noch andere uns heuchelnd entgegen treten.

4.      Aufrichtigkeit

Im Bewusstsein, dass Heuchelei Sünde ist; also eine falsche, eine egoistische Anwendung menschlicher Freiheit ist, wir die Frage nach der evangelischen Aufrichtigkeit (im Englischen – Sincere: Aufrichtig sein; Sincerity – Aufrichtigkeit) wesentlich.  Aufrichten soll das Leben mit den anderen, nicht zurück setzen. Darum geht es letztlich heute: Aufrichtig leben. Aufrichtig reden. Aufrichtig auftreten und leben. Aufrecht lieben, Aufrecht sein, weil uns der Herr in Kreuz und Auferstehung – ohne Not, ohne Heuchelei aufgerichtet hat gegenüber der Hoffnungslosigkeit, die als Lebenssünde nur den inneren Tod, das eigene Verlassen sein bringt. , Hoffnung ist Aufrichtigkeit. Aufgerichtet sein in die Zukunft hinein. Ohne Angst oder falschen Schein.

So kann auch wieder eine Tugend wie Barmherzigkeit zu einem Schlüssel für alle Krisen im Leben werden. Barmherzigkeit als Lösung der Probleme, der Sorgen, weil es möglich macht: Egoismus unter dem Blick des Evangeliums zu sehen.

Schauen wir in den Spiegel. Was sehen wir im Spiegel ohne Vorspiegeln falscher, geheuchelter Annahmen. Was sehen wir, wenn wir durch den Spiegel hindurch in unser Innerstes sehen. Sehen wir dort die Not, das Leid, das Elende, die Hilfsbedürftigkeit oder all jenen Sachen, die letztlich als Wunschbilder der Heuchelei zerplatzen.

Heucheln – so hilfreich dass sein mag für die Welt. Im Angesicht der Endlichkeit ist es ein jämmerlicher Versuch, den wir gar nicht unternehmen müssen.

Also gilt mit Luther: Heuchelt mutig, aber glaubt tapferer, weil dort die Aufrichtigkeit, das Aufrichten für unsere Zukunft in Christus garantiert ist. Amen

Herr, öffne unser Herz, unseren Mund und unsere Hände, damit das, was heuchelt,  heraus kann und nicht wieder kommen muss. Amen.