19.08.2018 (Apg. 3, 1-10): Wunder gibt es immer wieder. (Vorstellung Konfirmanden mit anschließendem Gemeindefest)

Apg. 3, 1-10

Die Heilung des Gelähmten

1 Petrus aber und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, zur Gebetszeit.

2 Und es wurde ein Mann herbeigetragen, der war gelähmt von Mutterleibe an; den setzte man täglich vor das Tor des Tempels, das da heißt das Schöne, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gingen.

3 Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen.

4 Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an!

5 Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge.

6 Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher!

7 Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest,

8 er sprang auf, konnte stehen und gehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott.

9 Und es sah ihn alles Volk umhergehen und Gott loben.

10 Sie erkannten ihn auch, dass er es war, der vor dem Schönen Tor des Tempels gesessen und um Almosen gebettelt hatte; und Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie über das, was ihm widerfahren war.

11 Als er sich aber zu Petrus und Johannes hielt, lief alles Volk bei ihnen zusammen in der Halle, die nach Salomo genannt ist, und sie wunderten sich sehr.

12 Als Petrus das sah, sprach er zu dem Volk: Ihr Männer von Israel, was wundert ihr euch darüber oder was seht ihr auf uns, als hätten wir durch eigene Kraft oder Frömmigkeit bewirkt, dass dieser gehen kann?

13 Der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, der Gott unsrer Väter, hat seinen Knecht Jesus verherrlicht, den ihr überantwortet und verleugnet habt vor Pilatus, als dieser ihn freisprechen wollte.

14 Ihr aber habt den Heiligen und Gerechten verleugnet und darum gebeten, dass man euch den Mörder schenke,

15 aber den Fürsten des Lebens habt ihr getötet. Den hat Gott auferweckt von den Toten; dessen sind wir Zeugen.

16 Und durch den Glauben an seinen Namen hat sein Name diesen, den ihr seht und kennt, stark gemacht; und der Glaube, der durch ihn gewirkt ist, hat diesem die Gesundheit (Holoklärion- Vollständigkeit, Unversehrtheit...)  gegeben vor euer aller Augen.

17 Nun, liebe Brüder, ich weiß, dass ihr's aus Unwissenheit getan habt wie auch eure Oberen.

18 So aber hat Gott erfüllt, was er durch den Mund aller seiner Propheten zuvor verkündigt hat: dass sein Christus leiden sollte.

19 Tut nun Buße und bekehrt euch, dass eure Sünden getilgt werden,

20 auf dass Zeiten der Erquickung kommen von dem Angesicht des Herrn und er den sende, den er für euch zum Christus bestimmt hat: Jesus.

 

1.      Einleitung

Ist es nicht ein Wunder, dass wir heute so ein schönes Wetter haben?

Ich schätze mal, dass die vielen Gebete um das Wetter-Wunder Gott dazu bewegt haben, die Wolken zur Seite zu schieben und der Sonne Anweisung zu geben, dass wir ein Bestrahlungsstärke von 700 Watt/pro Quadratmeter zu verzeichnen haben. Nun – diesen Sommer können es auch einige Watt pro Quadratmeter mehr gewesen sein. Möglicherweise will Gott das Wunder der Energiewende ja auch tatkräftig unterstützen.

HALLO? Gott und Wetter – das soll ein Wunder?

Mal ganz ehrlich: Wer hat heute für schönes Wetter beim Gemeindefest gebetet. Keine Scheu? O.k.

Und wer dafür, dass es nicht so heiß werden soll? O.k.

Hat in unserem Leben wirklich das Wetter noch etwas mit Gott zu tun oder einem Wunder? Oder ist es nicht vielmehr so, dass die kleinen Wettergötter im Fernsehen oder auf der App des Smartphones uns die Wetterentwicklung viel wunderbarer voraussagen als wir das mit den Gebeten beeinflussen können?

Sicher – es wäre doch fantastisch, wenn wir so eine Wunder-App hätten. Mal kurz eingetippt ins Smartphone und ZOOOM schon eine Note 1 in Mathe, der Mülleimer von Engeln zur Tonne gebracht oder das Konto wundersam vom Soll ins Haben gewandelt. ZOOOM – Das wäre auch der richtige Namen für diese Miracle- oder Wonder-App, die Wunder-App, die uns durch ein Smartphone-Gebet sofort alle Wünsche wunderbar erfüllen kann. Ein Stossgebets-APP und - ZOOOOM alles ist verschwunden, was uns im Alltag oder durch Krankheit, Gebrechen oder Sorgen bereitet.  

Unvergesslich für mich bleibt der Film „Bruce allmächtig“ (Bruce allmighty, 2003); eine Komödie mit Jim Carrey als gefeuerter Reporter. Freundin ist Jennifer Aniston, Gott gespielt von Morgan Freemann, der Bruce seinen Job angeboten bekommt, weil Gott Urlaub machen will. Ungeachtet dessen, ob man das so darstellen darf, ist eine Szene mir eingebrannt: Auf die Frage, was man als Gott so zu tun habe, zeigt Gott auf einen kleinen Registrierschrank, in dem die Gebete sind, die es zu bearbeiten gelte. Beim Öffnen des Auszugs will die Schublade gar nicht aufhören, sich auszuziehen und ist mindestens 50 Meter lang; voll mit Gebeten.

Süffisante Antwort Gottes – tja, das waren die von der letzten Stunden.

Hat Gott also wirklich so viel Zeit, sich mit jedem Gebet zu beschäftigen?

Warum sollten wir dann noch um Wetter, Essen oder Arbeit beten, wenn das je – zumeist – von uns problemlos erledigt werden kann oder könnte.

Warum sollte sich Gott um Welthunger oder Weltfrieden überhaupt kümmern, wenn wir das – EIGENTLICH – doch problemlos selbst organisieren könnten. Wozu eigentlich noch Wunder, wenn wir es selbst könnten?

Ein Wunder (griech. θαῦμα [thauma]) ist – wenn man Wikipedia Glauben schenken mag – ein Ereignis in Raum und Zeit, welches der menschlichen Vernunft, den Theorie oder Gesetzmäßigkeiten der Wissenschaft widerspricht. Dass man Wunder als „übernatürlich“ versteht, ist aber eine neue Erkenntnis, die eine Art Glaube an Naturgesetze voraussetzt. Zwar sind „Naturgesetze“ auch heute nicht mehr so gesetzmäßig wie menschlich gedacht; aber immer noch herrscht das Verständnis vor, dass Natur, also auch das Wetter, nach berechenbaren Einflussfaktoren nach dem Ursache-Wirkungsprinzip abläuft. Also: Wetter – nix zu tun für Gott?

Beten um Wunder - also ein reine Selbstbefriedung von Unsicherheiten?

2.      Bibeltext

Im heutigen Predigttext geht es auch um eine Wundergeschichte. Erzählt wird diese in der Apostelgeschichte. Die Geschichte der Taten der Apostel ist ein Buch im Neuen Testament; eine kleine „historische“ Beschreibung der Anfänge des Glaubens in seiner sich verfestigenden Struktur.

Die Geschichte für heute geht so:

>Es ist Gottesdienstzeit in Jerusalem und auch die beiden Apostel Petrus und Johannes gehen in das Gotteshaus. Dabei begegnen die beiden einem Bettler. Dieser Mensch bettelt, weil er nicht gehen kann und damit nicht normal arbeitsfähig ist. Dieser an den Beinen oder Rückgrat zerbrochene Mensch ist immer dort; und hat einen festen Platz, an dem er bettelt. Also normaler Alltag: Gottesdienst - und alle außen rum machen, was sie so zum Gottesdienst machen.

Eigentlich wollen Petrus und Johannes vorbeigehen. Aber das monotone Rufen des Bettlers schreckt sie auf: „Eine milde Gabe“, „Etwas Geld fürs Essen“ oder „Bitte nur große Scheine einwerfen“. Wir wissen nicht, was der Bettler gerufen hat. Dürfte so lauten wir heute, in den Großstädten dieser Welt. Alles zum Gottesdienst steht auf normal. Einige gehen hin, andere holen Brötchen, wieder andere betteln.

Nun aber gehen die beiden Apostel zu dem Bettler und wecken ihn aus dem Alltagstrott auf. Geld gibt’s keines, sondern eine Ansage: ‚Schau mich an.’ ‚Blick auf.’ ‚Nimm mich wahr.’ Der Alltag wird durchbrochen, wenn auch erst in der Erwartung auf den großen Schein. Was aber die Apostel dem Bettler geben, ist kein Geld, damit er weiter sein Bettleralltag fristen muss, sondern Ihre Gabe ist unvergleichlicher: Der Mensch, der im Alltag betteln muss, erhält seine volle Würde, sein Ansehen, seine „körperliche Unversehrtheit“ (griech.: ὁλοκληρίον [holoklärion] – siehe Vers 16b) zurück: „In Christi Jesu Namen – sei gesundet! Steh auf! Geh!“ Der Mensch, der betteln musste, kann nun wieder laufen. Knochen, Rückenwirbel, Nerven in ihren Bahnen und die Durchblutung tritt wieder ein. Der Mensch, der betteln musste, ist nun ein Mensch, der im Alltag wieder selbst laufen kann.<

3.      Christus

Was ist also ein Wunder, also die Durchbrechung unseres Alltag, anderes, als dies: Alles kommt stimmig an seinen Platz. Wenn unser Leben im EINKLANG mit sich selbst ist – das ist das Wunder. Wenn wir in dieser Fülle der Erkenntnis, des Fühlens, Denkens, des Glaubens, Wissens als eine unversehrte Einheit, eine Stimmigkeit mit uns sind, werden, bleiben.

Das hat nichts mit dem jämmerlichen Ganzheitlichkeitsgequatsche zu tun. Denn wir können diese Holo-Klarheit, diese volle Stimmigkeit eben nicht selbst erzeugen, sondern sie ist ein Geschenk. Die Annahme ist das Wunder. Und alles, was wir vom Evangelium wissen, ist dies: Jesus Christus ist das einzige Gebet, die einzige Stimme, durch die wir in Namen Gottes zu einer wunderbaren Stimmigkeit, zu einer solchen unvergleichlichen Unversehrtheit gelangen können.

Gott durchbricht den Alltag. Alltag, der uns zu Boden blicken lässt, wie bei diesem körperlich Gelähmten. Aber auch die von Alltag verzehrten, gebrochenen Menschen blicken zu Boden oder heute Smartphone. Die von Selbstzweifel zerfressen – blicken zu Boden. Die von Scham und Schuld Getroffenen – blicken zu Boden. Und die Kirche, die Angst um ihre Zukunft hat, diese blickt auf den Boden der Finanzkasse. Dieser Blick auf den Boden, dieses um sich selbst drehen – dieses Sich einkreisen um sich selbst (Sünde = incurvatus in seipsum => Predigt 31.10.2017) ist es, was uns die Wunder und das Wunderbare der Welt verdeckt.

4.      Heute

Kranke, Sterbende, Verlorene, Schuldige und wir im Alltag – wir alle können diese Wunder der Unversehrtheit, der Vollständigkeit, der inneren Stimmigkeit mit uns, mit Gott erleben.

Dann, wenn wir aufsehen; uns sehen.

Was ist es anderes als ein Wunder, wenn Menschen mit sich, dem Partner, der Familie, der Miterben, der Gesellschaft, der Welt und mit Gott  im Reinen (Holoklärion eben) sind. Wenn diese angenommen haben, was sie und uns im Alltag vollständig, stimmig, angenommen macht.

Dieses Zustand der inneren und äußeren Unversehrtheit, das eigene Akzeptieren und Verstehen, das ist das Wunder, welches in Christus uns geschenkt wird.

Die kleinen Wunder des Alltags, also die Noten, das Zimmer aufräumen, das Miteinander umgehen (auch in der Ex-Konfi Chaos WG im Pfarrhaus) und all diese Dinge, sind mögliche Anzeichen, weil diesen eines vorauszugehen scheint, wenn Sie eintreten: Die Fähigkeit, den Blick aufzuheben und den anderen und nicht sich selbst alleine zu sehen.

Nach dem aufrechten Gang gilt es häufig wieder den aufrechten Blick zu erlernen. Den Blick aufrichten und aufgerichtet, die Welt, das eigene Leben, die Menschen um uns aufrecht sehen; STIMMIG in der eigenen Welt. Beim Gelähmten unserer Geschichte war das umgekehrt; durch den aufgerichteten Blick kam der aufrechte Gang. Bei uns geht es mehr um das Gehen, das Leben und das Stehen mit dem aufrechten Blick.

So gibt es immer wieder neue Wunder, die allein dadurch zum stimmigen, unversehrten Alltag werden, wenn wir diesen Glauben, diese Erfahrung, diese unglaubliche Nähe der inneren Unversehrtheit, des Akzeptiert-Seins, der Stimmigkeit im Alltag spüren dürfen.

Dann entsteht Wunderbares im Alltag, und so gibt es diese Wunder immer wieder; als Geschenk!  Amen

 

Amen

Herr, wecke uns auf, dass wir aufsehen und deine Gabe der Unversehrtheit, der Stimmigkeit, der Klarheit in uns spüren. Amen.