05.08.2018 (Römer 9, 1-5): Ötzi, Özil - und Asasel, der Sündenbock

 

Römer 9, 1-5

 

Die bleibende Erwählung Israels

1 Ich sage die Wahrheit in Christus und lüge nicht, wie mir mein Gewissen bezeugt im Heiligen Geist,

2 dass ich große Traurigkeit und Schmerzen ohne Unterlass in meinem Herzen habe.

3 Denn ich wünschte, selbst verflucht und von Christus getrennt zu sein für meine Brüder, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch.

4 Sie sind Israeliten, denen die Kindschaft gehört und die Herrlichkeit und die Bundesschlüsse und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen,

5 denen auch die Väter gehören und aus denen Christus herkommt nach dem Fleisch. Gott, der da ist über allem, sei gelobt in Ewigkeit. Amen.

 

Neue Genfer Übersetzung (NGÜ)

 

Der Schmerz des Apostels über die Ablehnung des Evangeliums durch Israel, sein eigenes Volk

1 Was ich jetzt sage, sage ich in der Gegenwart Christi. Mein Gewissen bezeugt mir, und der Heilige Geist bestätigt mir, dass es die Wahrheit ist und dass ich nicht übertreibe:

2-3 Der Gedanke an die Angehörigen meines Volkes, an meine Brüder, mit denen mich die gemeinsame Herkunft verbindet, erfüllt mein Herz mit tiefer Traurigkeit. Ihretwegen bin ich in ständiger innerer Not; ich wäre sogar bereit, für sie ein Verfluchter zu sein, ausgestoßen aus der Gemeinschaft mit Christus. 

4 Sie sind ja Israeliten; ihnen hat Gott die Sohneswürde geschenkt. Ihnen hat er sich in seiner Herrlichkeit gezeigt, mit ihnen hat er seine Bündnisse geschlossen, ihnen hat er das Gesetz und die Ordnungen des Gottesdienstes gegeben, ihnen gelten seine Zusagen.

5 Sie sind Nachkommen der Stammväter, die Gott erwählt hat, und aus ihrer Mitte ist seiner irdischen Herkunft nach der Messias hervorgegangen, Christus, der Herr über alles, der für immer und ewig zu preisende Gott. Amen.

 

 

1.      Einleitung

Ich bin ja nun eine Weile weg gewesen. Deshalb möchte ich es langsam angehen lassen, damit Sie sich wieder an meinen Predigtstil gewöhnen können.

Also. Machen wir es für heute einfach. Eine einfache Frage: Was haben Ötzi und Özil gemeinsam?. Ötzi, der Mann aus dem Eis und Özil, der Mann aus der Verbannung. O.k. Beide Namen fangen mit „Ö“ an. Beide Namen haben nur 4 Buchstaben, also sind also four Letter Words“.

Aber was noch?

Die Antwort ist einfach. Sowohl Ötzi als auch Özil waren die anderen. Sie wurden gejagt, verfolgt, beschossen und letztlich – auch wenn Sie sich in eine Nische retten konnten – letztlich für die ach so homogene Gemeinschaft erlegt. Denn Sie waren Fremdkörper. Also solche die Anderen, die die Gemeinschaft bedrohten, ausnutzten und letztlich irgendwie in die Eiswüste oder Fußballwüste gejagt werden mussten.

Ötzi und Özil – die anderen, die Fremden, die, die wenn Sie nicht mehr nützen – aussortiert werden und zum Sündenbock gemacht werden.

Die anderen, die Fremden sind dabei oft Neugier einerseits und Angst/ Bedrohung andererseits zugleich. Und die Linie zwischen beiden, Also Neugier und Angst sogenannte ist eine dünne Linie, die beim Überschreiten der Linie von einem ins andere Extrem umschlagen kann. Beim Überschreiten wird dann der Ötzi oder Özil zum Sündenbock.

Und als ich am Samstag letzte Woche bei einer Geburtstagsfeier meines ältesten Pfarrfreundes Willi mein Deutschlandtrikot trug, war die Irritation groß. Vor allem, weil es die Nummer 10 war. Dies ist oder war die Trikotnummer von Mesut Özil. Özil – Deutscher oder Türke oder was? – ist eine Gefahr des Anderen. Ein Zwitter, der für die Fehler als Sündenbock herhalten darf. Özil – das ist der Name für den Wendepunkt der eigenen Dummheit Deutschlands. Özil und die ganze Mischpoke stehen dafür, dass wir nicht mir Fehler, Schlechtleistung umgehen können in Deutschland. Auf die Frage, warum ich ausgerechnet das Trikot von Özil trug - Natürlich war es nicht das Originaltrikot von Özil, sondern aus dem Ramschtisch von Aldi oder Lidl oder Metro für 1,99 € - sagte ich: Als Christ und noch mehr als Pfarrer stehe ich den Luschen und Verlierern und den Geknechtetem im Leben bei. Die Irritation war überschwänglich.

Denn: Wer für die anderen eintritt, muss damit rechnen, getreten zu werden; auch wenn es nur die vielen Fehlpässe der Nationalmannschaft waren oder die schlichte Dummheit der Funktionäre des DFB, des größten Sportverbandes der Welt. Vielleicht kann man von Käsmann lernen?

Aus Angst vor was auch immer, entsteht die Unfähigkeit und vor allem die Unsicherheit, und letztlich die medial überlieferte jämmerliche Dummheit, weil wir nicht mit anderen oder Fehler scheinbar umgehen können. Während dem einen Fehler im Umgang mit dem Erdogan und dem Ball zur Last gelegt werden, werden die Funktionäre irgendwie hirntot. Der Umgang mit Schuld ist – wie die das Fußballbeispiel zeigt – immer noch nicht erlernt. Und wenn, dann mal eben Nachtreten oder Sündenbock.

Apropos Sündenbock. Eine Ritus der Juden: Ein Bock wird stellvertretend mit aller Schuld beladen und in die Wüste geschickt.  Luther hat den Begriff erfunden. Er übersetzte so das hebräische „Asasel“, also die Ziege, die am jüdischen Versöhnungstag Jom Kippur mit allen Schulden, Verfehlungen und Übertretungen des Volkes beladen wurde. Damit der Bock mit den Sünden nicht zurück kam, wurde er in die Wüste nicht nur geschickt, sondern über eine Klippe gestoßen.

2.      Bibeltext

Auch der Predigttext beschäftigt sich ebenfalls mit der Frage, von Fremdartigkeit, von Neuerungen, von Fehlern und dem Umgang damit, von Veränderungen durch andere und wie man damit umzugehen hätte. Es geht darum, wenn die bisherigen Normalitäten oder besser die Traditionen komplett über Bord geworfen werden und neue Gedanken, Ideen und Interpretationen das bisherige komplett auf den Kopf stellen.

Es geht im Predigttext um den – eigentlichen – Juden Paulus, der aber als Anhänger von Christus Jesus nun eine gänzlich andere Religion vertritt, als bisher; oder ist es doch dieselbe?

Wir hören aus dem Brief des Paulus an die Römer im Kap. 9, 1-5.

Paulus kämpft. Er kämpft um den rechten Weg und die Interpretation.

Denn Paulus weiß: Er ist der andere, der Ötzi und der Özil des Christentums, weil er ein Zwitter ist. Juden und Christusanhänger. Denn Paulus transferiert – wie andere zwar auch, aber mit einer unglaublichen Klarheit und einem teils nervigen Nachdruck – die Lebenserfahrung der Kreuzigung und der Auferstehung Jesu auf sein eigenes Volk, das jüdische. Er weiß, dass mit dem Glauben an Jesus als dem Christus, als dem gekreuzigten und auferstandenen Christus letztlich alle bisherigen Glaubensgewohnheiten über Bord fallen lässt.

Man könnte sagen: Christsein ist traditionsvernichtend. Christus ist der Andere, der Fremde, der Ungewohnte, derjenige, der alles Bestehende in Frage stellt. Was gestern war; vor Karfreitag und Ostern, hat sich mit der Botschaft des Evangeliums in eine aufzulösende Tradition, in einen Neuanfang aufgelöst.

Wie heftig, kämpferisch und teils verletzend dieser Christusglaube in die Welt kommt, sollten, können und dürfen wir nicht vergessen.

Wie heftig es war, habe ich ja schon mehrfach ausgeführt. Die Judenchristen in Rom schaffen es (also DIE URCHRISTEN), dass alle Juden durch den Staat raus der Stadt Rom rausgeworfen werden. Abschiebung nennt man das heute. Die Christen werden abgeschoben, weil Sie zu anders, zu renitent, zu bösartig sind und das Zusammenleben stören.

Geschehen im Jahr 49 nach Christus, als Claudius Kaiser in Rom war. Heute im Jahr 55/56, also nach 6 Jahren als die Juden und Christen, um Chrestos (wie Sueton 25,4 Satz 1 schreibt) aneinander gerieten. Kaiser Claudius vertrieben sie alle; also nach 6 Jahren des erzeugten Chaos schreibt nun Paulus seinen Brief an die Christen in Rom schreibt. Es ist die Zeit des Neuaufbruchs. Nero ist der Kaiser und Hoffnungsträger. Es wird das goldene Jahrfünft folgen, indem alles scheinbar zu Guten sich wendet in Rom. Wie Nero danach wurde, nun ja – „Oh lodernd Feuer, Oh göttliche Kraft“….

Paulus will mit dem Brief in diesen Aufbruch hinein zu Beginn Christen und Judenchristen in Rom „seine Theologie“ vermitteln.

Es ist sein Kampf als Zwitter, als Jude und Christ. Warum lehnen die Mehrheit der Juden die Botschaft des Evangeliums in Christus Jesus ab.

3.      Christus

Für Paulus ist der Glaube an Christus die Erfüllung des Gesetzes des Alten Testamentes, des „alten, bleibenden“ Bundes.

Diese theologische Botschaft ist Kern und Mitte des Paulus.

Glaube macht gerecht; nicht das Werk, nicht das Gesetz, nicht Moral, nicht Tradition. Gott selbst erfüllt die Anforderung des neuen Bundes in dem gekreuzigten, auferstandenen Jesus von Nazareth.

Jesus ist der andere, der Fremde. Der, die die Tradition über Bord wirft. Und insofern – Jesus scheidet das, was früher war und das was heute ist. Zwar ist Erwählung an die Juden eine bleibende; begründet im Bund Gottes mit seinem Volk am Berg Sinai. Aber diese Erwählung wird nun ausgeweitet auf alle Welt und alle Menschen, die an Jesus als dem Christus glauben. Diese Revolution verändert nicht nur die Tradition, sondern die gesamte Welt.

4.      Heute

Und was macht das heute? Die Debatten um Özil, Asyl, die Heimat oder was auch immer, wird für Christen nur unter einer Voraussetzung geführt:

Wir Christen sind die Anderen. Wir, die Asyl gesucht und erhalten haben; ohne Voraussetzung, ohne Asylantrag . Christen sind es die, die Heimat des Landes gegen die Heimat der Gnade eingetauscht haben.

Und – weil die Tradition nur noch dann tragen kann, wenn wir dieses Gnadenasyl annehmen, anbieten und weitertragen, können und dürfen wir die neue Zukunft gestalten. Das ist natürlich nicht immer einfach.Und möglicherweise ist uns die katholische Schwesterkirche voraus, indem Sie weltumspannend weder in Hautfarbe, Sprache, Kultur oder Rasse unterscheidet.

Was ist unsere, unsere wesentliche Aufgabe als Christen in dieser Welt, die glaubt, Herr von allem und jedes zu sein?

Die Antwort ist einfach: Wir bewahren Ruhe. Wir bewahren Ruhe inmitten der künstlichen Aufregung um scheinbare Traditionen, Heimat oder Rassen- oder Religionsdiskussionen. Denn wir wissen um die Gnade und Gewissheit, dass diese Welt nicht uns gehört. Wir sind endlich. Und wir sind ruhig und besonnen.

Und so werden die wesentlichen Fragen dieser Welt vielleicht am 6.9.2018 „gelöwt“, wenn unsere Nationalmannschaft gegen den Weltmeister gewinnen muss. Wir bleiben besonnen, wenn es um ach so aufregende Themen wie Kruzifixe in Bayern oder hier geht, oder um Asyl oder was auch immer.

Die Stärke der Gnade Gottes liegt nicht in der Aufregung, sondern in der Ruhe. Das war schon von je her das Zeichen der Christen um der Welt ihre Zuneigung zu zeigen. Märtyrer, die singend und mutig in Verbannung und ja selbst den Tod gehen. Christen des Alltags dürfen wir sein. Menschen, die besonnen sind, ruhig bleiben und andere mit ihrer Ruhe die Gnade Gottes zeigen. Amen.

Herr, schenke uns Besonnenheit und die Geduld die deine Gnade in uns wirken lässt. Amen.