7.1.2018 (1. Kor. 1. 26-31): Berufen zur Erfahrung eigener Wirksamkeit

1. Kor. 1, 26-31

26 Seht doch, Brüder und Schwestern, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme sind berufen.

27 Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist;

28 und was gering ist vor der Welt und was verachtet ist, das hat Gott erwählt, was nichts ist, damit er zunichtemache, was etwas ist,

29 auf dass sich kein Mensch vor Gott rühme.

30 Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der für uns zur Weisheit wurde durch Gott und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung,

31 auf dass gilt, wie geschrieben steht (Jeremia 9,22-23): »Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!«

 

1.      Einleitung

Martin Luther schrieb heute am 7.1., aber im Jahr 1527 einen Brief an Philipp von Hessen. Er schilderte darin von einem Problem, was er schon im Vorwort zu seiner Deutschen Messe Anfang 1526 benannt hatte. Ihm fehlten die Menschen, die die Inhalte der Reformation dem gemeinen Volk vermittelten.

Seit dem Jahr 1525 bzw. Anfang 1526 hatte er dieses Problem, ein großes Problem. Das Problem war nicht, dass er erst kürzlich aus dem Mönchstand in den Stand der Ehe mit der übrig gebliebenen Katarina von Bora getreten war.

Das Problem der Reformation ganz am Anfang war, dass er keine evangelischen Pfarrer gab; besser keine Pfarrer, die die Lehre Luthers in die Praxis umsetzen konnten.

Wie auch? Wer außer Luther konnte genau wissen, was nun das besondere und der Rahmen für eine reformatorische Kirche sein sollte. Denn es gab die evangelische Kirche noch nicht.

Das Problem also war: Luther hatte es mit Priestern der römischen Kirche zu tun, und diese waren vielfach nicht geeignet für die neue Aufgabe.

Wie sollte man also Menschen in ein neues Aufgabenfeld berufen, welches bisher so noch von niemand ausgeübt wurde?

Ich hatte in einem meiner Reformationsvorträge davon berichtet.

Das Problem war also: wie findet man Menschen, die für eine Aufgabe berufen werden können, die eigentlich noch nicht ganz ausgeformt ist.

Glücklicherweise war Luther kein Einzelkämpfer, der für die praktische Umsetzung alles selbst erfinden musste.

So wurde zunächst die Menschen angesehen und bewertet, die schon Pfarrer (römische) waren. Es wurden Probepredigten verlangt, Menschen befragt und letztlich auch – heute würde man sagen: Tests oder Audits – bei den katholischen Pfarrern durchgeführt, um dreierlei festzustellen:

bulletVoraussetzung: Geschicklichkeit für den Beruf
bulletVerstand die Aufgaben des Berufs wahrzunehmen
bulletBefähigung und Gaben, die Aufgaben in der Praxis des Berufs auch umzusetzen.

Geschicklichkeit als Voraussetzung; Verstand für den Ausbau und die Weiterentwicklung sowie die Gabe der praktischen Anwendung sind die drei wesentlichen Faktoren, die Luther benennt, damit jemand in den Beruf des Pfarrers berufen werden kann. Es ist bei Luther ein Beruf, ein Handwerk, was verstanden werden muss.

Blickt man heute in die Runde, so fällt auf, dass das Problem Luthers sich eigentlich nicht wirklich grundlegend geändert hat. Sicher – Pfarrer hat es eigentlich hinreichend, ob aber alle die drei Eigenschaften erfüllen, ist eine andere Frage.

Aber wie in jedem Beruf stelle sich die gleichen Fragen.

Schaut man die Gesichter der Konfirmanden und fragt, wozu seid ihr „geschickt und geeignet“, um welchen Beruf mit welcher Neigung, Lust und Befähigung zu ergreifen, ist bisher noch häufig hängen im Schacht.

Die ersten Praktika werden gemacht. Jetzt wird es wichtig. Denn haben die jungen Menschen vertrauen in die eigenen Gaben und Fertigkeiten? Welche habe sie überhaupt? Habe wir diese gefördert? Hier hakt es häufig. Denn nehmen wir uns noch Zeit Kinder und Jugendliche anzuleiten, durch das Heranführen an alltägliche Arbeiten mit möglichen späteren beruflichen Aufgaben vertraut zu machen? Wie kann später Verantwortung übernehmen, wenn er/sie den Müll nicht raus bringen muss, Essen nicht zubereiten oder Kuchen backen lernt oder handwerkliche Fertigkeiten mehr von uns sieht.

Wie kann ein Mensch seine Berufung finden, wenn er oder sie nicht in der Entwicklung der Gaben und Fertigkeiten gefördert wird?

2.      Bibeltext

Auch Paulus beschäftigt sich mit der Frage der Berufung in seinem Brief an die Korinther, dem heutigen Predigttext.

Predigttext lesen: 1. Kor. 1, 26-31 Paulus beginnt diesen Brief mit einer klaren Ansage an die Gemeinde in Korinth.

Seht, blickt auf – und werden euch eurer Berufung bewusst.

Wenn ihr das tut – so Paulus dann sind auch alle Frage, die ihr an mich gestellt habt, einfach zu beantworten.

Wenn ihr seht und versteht, was eure Berufung ist, dann könnt ihr eure Fragen nach Ehe und Ehelosigkeit 7,1), Jungfrauen (7,25), Götzenopferfleisch (8,1), Geistesgaben (Charismen) (12,1), Kollekte für Jerusalem (16,1) oder auch die Frage von Blutschande (5,1 Sohn mit Stiefmutter zusammen lebend), von Rechtsstreitigkeiten zwischen Gemeindeglieder vor römischen Gerichten (6,1ff), oder auch der Umgang mit Prostitution (6,12ff), von Missstände beim Abendmahl (11,18) oder die Art der Totentaufe (=Vikariatstaufe 15,29 – auf die sich die Mormonen berufen) selbst beantworten.

Liest man den Brief des Paulus mit heutigen Augen so ist das Leben, welches sich für die Gemeinde in Korinth zeichnet, so herrlich zerrissen und normal wie hier in Raunheim auch, wenn wir über Kruzifixe, über Gottesdienstzeiten oder die Maria hinsichtlich ihrer Anbetungswürdigkeit streiten. Eigentlich alles normal damals wie heute. Wenn da nicht die irrige Vorstellung von Menschen wäre, es müsste aber harmonischer, friedlicher und scheinbar christlicher zugehen – auch in der Bibel; vor allem dann – wenn man selbst anderer Meinung ist und die eigene Harmonie auch die Harmonie des anderen sein muss. Wenn meine Meinung die Meinung des anderen sein soll, also ein Meinungsaustausch stattfinden soll, werden ja alle Register gezogen, um sich und seine Ansicht durchzuboxen; damals in Korinth wie heute in Raunheim. Denn es darf nicht sein, was nicht sein darf und es soll bitteschön so schön bleiben wie seinerzeit als es noch kein Wasserklo gab. Die Harmonisierung der Vergangenheit oder die Idealisierung von heiler-Welt-Vorstellungen versperrt aber den Blick für die Botschaft des Evangeliums. Dort geht es nicht um Harmonie oder Friedliches Zusammenleben allein, sondern um das Wesentliche.

Hier setzt Paulus ein. Zunächst gibt es mit unserem heutigen Bibeltext eine eindeutig Empfehlung: Seht auf. Hebt den Kopf, damit ihr die Welt und ihre Dinge wahrnehmt. Seht auf und blickt hin, auch dahinter, denn „Seht auf eure Berufung“, also auf das, was euch als Aufgabe und Beruf gegeben ist. Paulus macht eine Zäsur, einen Einschnitt, ein Statement besonderer Art: Nicht die Meinungen der Welt, die vorgeblichen wesentlichen Dinge wie Wissen, Logik, Reichtum oder Tradition bestimmen die Berufung der Christen, sondern die Erwählung Gottes, der gerade diese menschlichen Rettungsanker ablehnt.

3.      Christus, die Berufung, die Nachfolge

Die Torheit, die Erwählung des Gekreuzigten durch die Auferstehung, ist der Schlüssel der Berufung. Gott sieht den Menschen durch die Brille des Christus an. Insofern sind der menschliche Tand, das Gewusel und Gerenne um Wichtigkeit, Besonderheit und Ansehen nicht weiter als eine Abkehr von der Berufung, die durch den klaren eindeutigen Blick entsteht; wenn wir denn aufblicken und uns nicht von den Niederungen des menschlichen Blendwerks ablenken lassen.  

Jungst wurde ich gefragt, was denn evangelisch Dienen und Diakonie sei. Die Antwort ist einfach. Es ist nicht ein Bückling Dienen. Es ist auch nicht ein hirnloses Tunmüssen, was andere wollen. Dienen im evangelischen Sinne ist eine Auftragserfüllung. Wir sind berufen, eine Aufgabe für Gott zu erfüllen; an Menschen. Die Pflicht zu Dienen gilt Gott gegenüber, nicht den Menschen, die glauben, wie Christen seinen die Erfüllungsdeppen der Nation. Damit wird deutlich was Berufung NICHT ist. Berufung ist kein Selbstzweck seine Wünsche und Ideen durchzusetzen. Berufung heißt sich verantworten müssen. Dienen heißt einen Auftrag für und im Namen Gottes zu erledigen.

Nach unserem Verständnis ist das Leben eben kein Selbstzweck, sondern eine Verpflichtung im Angesicht der Heilstat Gottes und unserer Gewissheit, dass wir sterben müssen; eine Zielbestimmung für das, was und wie wir das eigene Leben gestalten. Wir sind als Christen beauftragt, wahrhaftig, mit erhobenem Kopf und geradem Rücken Wahrheit und Wahrhaftigkeit zu reden und zu verkünden. Deshalb ist es entscheidend, dass wir unser eigenes Leben in eigener Verantwortung gestalten; aber vor dem Angesicht Gottes. Das ist unsere Bestimmung und das ist unsere Berufung in der Welt.

Wir können nicht so tun als wäre das Thema Glaube, Gott, Gebet eine geschützte Nische in meinem Leben. Wir können nicht Gott wie Nippes in die Ecke stellen, hervorholen wenn gebraucht und abstauben wie einen nützlichen Gegenstand. Blickt auf, was eure Berufung ist.

4.      Heute: Erfahrung eigener Wirksamkeit

Wie lässt sich das lernen, was meine Berufung ist in diesem Leben?

Wie kann man jungen Menschen mitteilen, was für sie dran ist?

Letztlich ist es einfach: Unsere Aufgabe besteht darin, Menschen die Erfahrung eigener Wirksamkeit zu vermitteln.

Die Erfahrung eigener Wirksamkeit.

Wie kann ich selbst diese Erfahrung von der Wirksamkeit meiner Handlungen oder meiner Gaben machen? Letztlich nur so, dass wir die Botschaft ernst nehmen: Du, und du und du und ich sind angenommene Kinder Gottes, Berufene in seine Gnade.

Dies stärkt das Rückgrat, die Lust auf Handeln, die Lust Erfahrungen eigener Wirksamkeit zu machen. Dies erzieht zur Verantwortung.

Und wisst ihr was? Ich bin traurig. Wie wenig ich von dieser positiven Erfahrung der eigenen Wirksamkeit in unserer Jugend noch sehe. Wie wenig Drang nach Selbstbehauptung, nach Austesten, nach Aufbruch zu spüren ist. Hier ist die Aufgabe der Älteren gefordert.

Das Leben beginnt immer wieder neu - mit jedem Atemzug, mit jeder Bewegung und Handlung. Wann machen wir den Jugendlichen und letztlich uns wieder diese Berufung deutlich. Wann machen und haben wir Mut, dass wir selbst Kinder, und damit Begnadete Gottes sind? Wann vertrauen wir wieder in unsere eigene Wirksamkeit, weil Gott dieses Vertrauen in uns setzt.

Wie soll ein Kind Zutrauen lernen, wenn nichts zugetraut wird?

Wie soll ein Jugendlicher seine Gaben austesten, wenn er lediglich in eine ökonomisierte Schule und Ausbildung gepresst wird?

Wie soll Partnerschaft vertrauensvoll gelernt werden, wenn Beliebigkeit, aktuelle Neigung letztlich Vertrauen verdrängt.

Wie soll das gelingen? Paulus sieht das einfach: Kopf hoch. Blicket auf. Und schaut euch eure Berufung an als Kinder Gottes an. Vertraut darauf.

Ihr seid berufen, die Wirksamkeit des eigenen Handelns zu erfahren, um damit Zukunft im Horizont des Lebens bis zum Tod hindurch zum Leben zu gestalten.

 

Amen

Herr, hebe unseren Kopf und Blick auf, damit wir unsere Berufung entdecken und anderen auch helfen diese wieder zu finden.

Amen.