Thema: Einfach verrückt!

Mk. 3, (20/21) 31-33 - Lutherübersetzung

Jesus und seine Verwandten

20 Und er ging in ein Haus. Und da kam abermals das Volk zusammen, sodass sie nicht einmal essen konnten.

21 Und als es die Seinen hörten, machten sie sich auf und wollten ihn ergreifen; denn sie sprachen: Er ist von Sinnen.

Jesu wahre Verwandte

31 Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen.

32 Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir.

33 Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder?

34 Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder!

35 Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.

 

Neue Genfer Übersetzung

20 Jesus ging nach Hause, und wieder versammelte sich eine Menschenmenge bei ihm, sodass er und seine Jünger nicht einmal Zeit zum Essen fanden.

21 Als seine Angehörigen das erfuhren, machten sie sich auf, um ihn mit Gewalt zurückzuholen. Sie waren überzeugt, dass er den Verstand verloren hatte.

Die wahren Verwandten Jesu

31 Inzwischen waren Jesu Mutter und seine Geschwister gekommen. Sie blieben vor dem Haus stehen und schickten jemand zu ihm, um ihn zu rufen.

32 Die Menschen saßen dicht gedrängt um Jesus herum, als man ihm ausrichtete: »Deine Mutter und deine Brüder und Schwestern sind draußen und wollen dich sprechen.« –

33 »Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Geschwister?«, erwiderte Jesus.

34 Er sah die an, die rings um ihn herum saßen, und fuhr fort: »Seht, das sind meine Mutter und meine Geschwister!

35 Denn wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter.«

 

 

1.       Einleitung

Ab welchem Zeitpunkt kann ist Mann oder Frau als zuverlässig verrückt einstufen. Ja, Verrückt. Ab wann gilt ein Mann als verrückt?
Wenn es sich grundlos betrinkt? Einen Porsche kauft. Eine 25 Jahre jüngere Frau ehelicht?

Ab wann gilt eine  Frau in der heutigen Gesellschaft als zuverlässig verrückt? Wenn Sie mit 20 heiratet und sich als Hausfrau um Mann und Kinder kümmert? Oder wenn Sie sich ein Leben in veganer, spitueller Ebene aufbaut; ohne Verpflichtung oder ohne Hang zur Nachwuchsproduktion?

Wann gilt man / frau als zuverlässig verrückt, wenn man uns diese Gesellschaft ansieht? Reichte es früher vor 50/70 Jahren schon aus, sich scheiden zu lassen, um verrückt zu sein, so scheint es heute eher zum guten Ton multifunktionaler Personenbeziehungen zu gehören.

Patchwork beschrieb früher die Textiltechnik bei der verschiedene Tuche oder Lappen zu einer Decke zusammengefasst wurden; einem Art Flickenteppich eben. Heute - das ist wirklich verrückt - ist dieses Patchwork eine neue Gesellschaftsform geworden, bei der eigentlich keiner mehr weiß, von wem die Kinder sind, oder wer als Kindsvater,  Kindsmutter ist.

Ab wann gilt man als verrückt in unserer Gesellschaft? Sicher sind diese nicht mehr ganz dicht, die ihr Geld noch auf dem Sparbuch liegen haben. Nicht mehr ganz dicht, weil durch die Ritzen des Sparbuchs das Geld immer weniger wird.

Aber was ist eigentlich verrückt?  Heiraten? Kinder kriegen? Oder Kinder erziehen wollen? Oder Mitglied in der evangelische Kirche sein? Das ist nun wirklich verrückt, wenn nur noch 15 % in Raunheim dazugehören.  Verrückt - nicht? Oder, es soll sogar Männer geben, die den Namen der Frau annehmen. Total verrückt? Oder?

Verrückt ist doch alles das, was letztlich nicht mehr das (scheinbar) Normale ausdrückt. Das, was im Alltag als das Übliche, Gewöhnliche oder eben noch nicht als Krankhafte zu gelten hat. Aber sind wir nicht alle ein bisschen krank; krank an dem, was eigentlich das Normale zu sein hätte oder sein sollte oder sein müsste.

Wirr im denken und handeln - so der Duden zum Wort "verrückt".

Nun - da können wir ja an einem Finger abzählen, wenn das nicht trifft. Wenn Kinder nicht mehr in die Schule gehen, keine Absprachen einhalten, sich in die nächste Chipstüte verlieben und die Arbeit einen guten Mann oder Frau oder Gequake von den Eltern sein lassen. Verrückt, wenn das Hirn der Jugendlichen für die Whatsapp Daumen mehr Synapsen aufweisen als die für das geradeaus laufen - wie jüngst eine Studie zeigte. Verrückt oder?

Und betrachten wir das Normale - so fällt schnell auf, wie verrückt es sein kann, sich gerade normal zu verhalten. Wer heute KEIN Handy hat ist doch Unnormal. Und es soll echt noch Menschen geben, die KEIN Onlinebanking machen oder das Zwitchern von Twitter für den Paarungsruf des Klapperstorchs halten. Das ist doch wohl verrückt oder?

Um es kurz zu machen: Verrückt ist das, was unsere Gedanken an einen anderen Ort rückt. Verrücken, Versetzen, etwas anders sehen oder ausdrücken. Das Normale wird verschoben im Leben. Noël in unserer Kita Arche Noah ist so Verrückter meiner Gedanken. Er sieht alles anders als wir uns. Und super ist es, wie nicht wir ihn integrieren, sondern wie er unser Koordinatensystem "ver-rückt" aus seiner Sicht. Eine verrückte, eine faszinierende Welt.

Und dennoch ist gerade diese Welt, die immer wieder glaubt, auf dem richtigen Weg zu sein; so auch die Angehörigen von Jesus

2.       Bibeltext

Predigttext lesen: Mk 3,31-35  

Verrückt oder - dieser Jesus. Seine eigene Mutter und seine Geschwister zu verleugnen.

Aber vorerst: Völlig verrückt! Jesus hatte Geschwister. Mindestens 4 Brüder (Mt. 13,55f/Mk. 6 Jakobus, Joses, Judas und Simon) und noch einige Schwestern, deren Namen nicht überliefert werden. Jesus der Sohn Gottes hatte irdische Schwestern - verrückt nicht. Markus, der uns diese Begebenheit berichtet, macht schon im Vers 21 deutlich, dass Jesu Mutter (also die heilige Maria) und seine Brüder ihn (Jesus) für durchgeknallt hielten: Vers 21: "Als seine Angehörigen das erfuhren, machten sie sich auf, um ihn mit Gewalt zurückzuholen. Sie waren überzeugt, dass er den Verstand verloren hatte."

Jesus war für die eigenen Verwandten "verrückt". Sein Platz war nicht der Stelle, wo Sie ihn sehen wollten. Der Stuhl, auf den Jesus sich nun setzt, in dem er einer Berufung folgte, war einfach verrückt, einfach anders, verändert, so gänzlich anders als es das Normale für den Ältesten eines Zimmermanns vorsah.

Der Evangelist Markus operiert hier an der Grenze von mündlicher Tradition zum Verfassen der Geschichte in einem Evangeliumsroman. Das Evangelium, welches er - wie einst Truman Capote in den 1960er Jahren den Tatsachenroman - erfand Markus die literarische Form des Evangeliums. Er wollte dabei eine wichtige neue Erscheinung über das Erzählen hinaus aller Welt verdeutlichen: Der Jesus, von dem berichtet wird, ist der Messias und sein Wirken als erwachsener Mann offenbart in allem seine besondere Rolle als Sohn Gottes; und diese ist auch häufig ziemlich verrückt. Dieser Jesus legte sich mit der kirchlichen Obrigkeit an, übertritt bewusst Gesetze um für Gerechtigkeit zu demonstrieren; und wie hier - stößt er seine Angehörigen deutlich vor den Kopf, weil er deren Nähe und Normalität nicht mehr als BEGRENZUNG des eigenen Lebens akzeptieren kann. Die Angehörigen wollen Ihren Jesus, den gehorsamen Zimmermannssohn, der die Familie nicht blamiert und den alle von Kindheit kennen.

Jesus dagegen folgt einem Auftrag, der weit größer ist, als der Bewegungsraum, den seine Familie ihm zugestehen will.

3.       Jesus, der verrückte Messias

Denn die Aufgabe, die Markus schon im ersten Satz beschreibt, ist eindeutig: "Dies ist der Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes."
Verrückt oder. Der Anfang von allem Neuem, was nur noch verrückter werden kann. Es ist dies der Anfang von etwas, was sich nicht mehr in den normalen, alltäglichen Bahnen kleinkarierten Denkens erfassen und begreifen lässt. Wer in Jesu Dimensionen denkt, der verändert die Blickrichtung. Der verschiebt den bisherigen Mittel- und Nullpunkt des eigenen Lebens. Wer so agiert, der VER - RÜCKT die komplette Lebensperspektive auf einen neuen Fokus.

Dieser Fokus ist bei Markus beschrieben als das Reich Gottes. Damit meint Markus nichts anderes als die Erfahrung, dass die Verschiebung der eigenen Denkachse, die Veränderung der eigenen Blickrichtung, das Verrückten der eigenen Lebensperspektive das Wesentliche des Lebens zu sein hat. Jesus als der gekreuzigte Christus, als der erniedrigte Sohn Gottes verrückt, verschiebt jegliche Normalität im Fokus dieser Gnade Gottes. Nichts - kein Geld, kein Ruhm, keine Normalität ist die Stütze des eigenen Lebens, sondern einzig und allein, die Befähigung über das Normale hinaus den neuen Fokus des Lebens, diesen verrückten Fokus nicht nur in den Blick zu nehmen, sondern zum eigenen Lebensmittelpunkt werden zu lassen.

4.       Heute: EINFACH VER-RÜCKT.

Und  - wie wird man heute so verrückt, wie es hier beschrieben ist ?  Nun - Verrückt zu werden und verrückt zu sein ist eigentlich ganz einfach. Das eigene Leben muss die Möglichkeit erhalten, verändert zu werden.

Denn wirklich von Sinnen (also Verrückt) sind nicht die, die verrückte Dinge tun, sondern allein die, deren Sinne GAR NICHT MEHR FÄHIG sind, den eigenen Fokus, die eigene Ausrichtung im Leben neu zu gestalten. Wirklich zu bedauern ist der, dem es nicht mehr gelingt, sich zu verändern, seinen Standpunkt, seine Ansichten, sein Leben zu verrücken. Nochmals: Verrückt ist der, der sich nicht mehr verrücken / verändern kann.

Die Herausforderungen an das eigene Leben als eine Art eingleisige Lebensschiene zu sehen; die Vorstellung, dass Leben eine Linie der konstanten und unverrückbaren Parameter ist - möglicherweise mit mathematischen Mitteln gemessen - all das zeigt nur eines: diese Menschen von Sinnen sind. Nämlich so von Sinnen, dass Sie nichts mehr aus der Umwelt wahrnehmen, sehen, hören, riechen, fühlen oder erfassen. Keine Nuancen der Partnerschaftsveränderungen registrieren, Erziehung nur als ein Spiel begreifen, Beruf als pures Geldverdienen und Glauben oder Kirche als Prozessverhalten in einem Religionskonzern.

Das Evangelium ist verrückt, weil es uns Menschen etwas antut, was nicht normal ist: Wir werden aufgerufen, unser Leben selbstverantwortlich und ohne Scheu so zu gestalten, wie es die Veränderungen, das Verrücken des Lebens uns herausfordert; mit allen Sinnen. Und wir sollen niemals so verrückt sein, dass wir glauben, Leben sei sicher planbar, strukturiert gestaltbar und ein Weg ohne Abzweigungen.

Der Mensch, dessen Welt gradlinig, einsilbig, ereignislos, gleichförmig, änderungsresistent, zukunftsabweisend ist - der ist ohne Sinne, ohne Chancen für eine neue Zukunft, weil er nicht mehr in der normalen Welt mit ihren Facetten von Veränderungen, Anforderungen lebt.

All jene die sich nach Stabilität, Sicherheit und dem laufenden Band schreien (das war was wirres TV-Ding im letztes Jahrtausend von so einem Holländer; völlig verrückt) oder nach Dalli-Dalli rufen (noch TV verrückter mit einem hüpfendem Zwerg) - all jene Gestrigen, die sich nach dem Vorgestern sehnen, die sind nicht verrückbar, veränderungsfähig. sondern starre Klötze in der Gegenwart, weil - letztlich - das Leben an Ihnen und ihrer Lebenshoffnung vorbeifließt.

Die, die meine Willen tun, sagt Jesus seinen Anhängern und auch seinen Freunden und Angehörigen und auch zu uns: Diese allein sind diejenigen, mit denen Jesus sein Leben als Schwestern und Brüder gehen will.

UND - Im evangelischen Raunheim gehen wir gerade diesen verrückten Weg: Einen Weg, der die linearen Bahnen der Landeskirche, deren geplante Sicherheit und die bornierte Selbstverliebtheit in Verrückung bringen wird.

Und Freunde - das ist wirklich verrückt.

Amen

Herr, mache uns zum Werkzeug deiner Verrücktheit, damit Evangelium Salz der Erde und Licht der Welt sein kann. Herr, wir stehen bereit. Amen.