Thema: Erkenne dich - und zwar selbst

Matthäus 21, 14-17

 

14 Und es kamen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel, und er heilte sie.

15 Als aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien und sagten: Hosianna dem Sohn Davids!, entrüsteten sie sich

16 und sprachen zu ihm: Hörst du auch, was diese sagen? Jesus sprach zu ihnen: Ja! Habt ihr nie gelesen (Psalm 8,3): »Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet«?

17 Und er ließ sie stehen und ging zur Stadt hinaus nach Betanien und blieb dort über Nacht.

 
 

14καὶ προσῆλθον αὐτῷ τυφλοὶ καὶ χωλοὶ ἐν τῷ ἱερῷ, καὶ ἐθεράπευσεν αὐτούς.

15ἰδόντες δὲ οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ γραμματεῖς τὰ θαυμάσια ἃ ἐποίησεν καὶ τοὺς παῖδας τοὺς κράζοντας ἐν τῷ ἱερῷ καὶ λέγοντας· ὡσαννὰ τῷ υἱῷ Δαυίδ, ἠγανάκτησαν

16καὶ εἶπαν αὐτῷ· ἀκούεις τί οὗτοι λέγουσιν; ὁ δὲ Ἰησοῦς λέγει αὐτοῖς· ναί. οὐδέποτε ἀνέγνωτε ὅτι

·      ἐκ στόματος νηπίων καὶ θηλαζόντων κατηρτίσω αἶνον* ;

17καὶ καταλιπὼν αὐτοὺς ἐξῆλθεν ἔξω τῆς πόλεως εἰς Βηθανίαν καὶ ηὐλίσθη ἐκεῖ.

 

 

 

1.       Einleitung

Machen wir mal den Test, den Test, ob Sie ein "Homo sapiens", ein vernünftiger Mensch sind.
Biologisch ist der homo sapiens, der Mensch, - ich zitiere -  "ein höheres Säugetier aus der Ordnung der Primaten (Primates). Der Mensch gehört zur Unterordnung der Trockennasenprimaten (Haplorrhini) und dort zur Familie der Menschenaffen (Hominidae). Soviel zum Biologieunterricht.
Nun aber zum Test, dem sogenannten Spiegeltest.
Zunächst mal die einfache Frage: Was sehen Sie eigentlich morgens, wenn Sie in den Spiegel schauen? Also gehen wir mal davon, dass Sie sich morgens noch mit der Person beschäftigen, die Ihnen aus dem Spiegel entgegen schaut. Was sehen Sie da?

Sehen Sie die Ringe unter den Augen, das zerzauste Haar, die Zunge, die die pelzigen Zähne entlang fährt? Oder - sehen Sie eigentlich, wie die meisten: eigentlich gar nichts? Sie putzen, waschen, rasieren und schminken sich ohne sich wirklich wahrzunehmen. Alles wird getan, aber ohne sich wirklich wahrzunehmen.

O.k. ich höre jetzt auf mit weiteren detaillierteren Fragen, die noch kommen könnten, was Sie alles tun.

Der Spiegeltest, und das ist kein Test des Nachrichtenmagazin, will eines deutlich machen. Sind wir fähig uns selbst als Spiegelbild zu erkennen und als solche Person wahrzunehmen? Klar - wir sehen uns ab ca. dem zweiten Lebensjahr im Spiegel als uns selbst und erkennen auch die Details, so dass wir nicht dem Spiegel das Gesicht waschen, rasieren oder schminken, sondern unserem eigenen Gesicht, welches nur gespiegelt wird.

Apropos Spiegel. Der Spiegel an sich ist eigentlich eine recht junge Massenware.

Während in Altertum und Mittelalter vor allem plane, blanke Flächen aus Bronze, Silber als Spiegel galten - teils auch schon mit einer schützende Scheibe vor dem Metall, ist Erfindung der einseitig bedampften Glasscheiben keine 200 Jahre alt und erst damit ein Massenprodukt geworden für die breite Bevölkerungsschicht.

Und mit dem Spiegel wird häufig auch Eitelkeit verbunden, wie bei Schneewittchen, wer die Schönste sei. Eitelkeit wird zudem in der katholischen Kirche unter die Todsünde des Hochmuts gerecht. Eitelkeit - lateinisch Vanitas bedeutet "leerer Schein" oder nichtig - wie Luther in der Übersetzung Prediger Salomo Kap. 1, 2 übersetzt: Es ist alles eitel, also nichtig, also unwesentlich, bedeutungslos; Tand - wie man früher sagte.

Der Spiegeltest ist letztlich eine Frage nach der Eitelkeit von Menschen oder Tieren. Wer beispielsweise Essensreste auf der Backe hat oder Nasenhaare, die raus wachsen, der will diese entfernt haben, um das Gesicht, das Bild von einem Selbst möglichst klar, eindeutig, angepasst, eben NORMAL zu haben. Und die Anzahl der Gesichtsoperationen nimmt stetig zu. Der Spiegeltest testet zweierlei, erkenne ich mein Gegenüber als mich selbst (Tiere tun es nicht) und bin ich eitel genug, "Mängel" zu beseitigen. Der Spiegeltest offenbart nun also diese beiden Fähigkeiten.

2.       Bibeltext

Die heutige Geschichte aus dem Predigttext beschäftigt sich mit diesem Thema, wie und mit welcher Güte man oder frau sich selbst wahrnimmt und unter eitlen Bedingungen retuschiert; wie mit einem Bildbearbeitungsprogramm.

Mt 21, 14-17 lesen.

Diese kleine Passage aus dem Matthäus Evangelium ist in sich gut abgeschlossen und dürfte von den Evangelisten Matthäus in seine Passionsgeschichte eingebaut sein.

Unmittelbar vor und nach dem heutigen Predigttext geht es um den ersten Tage Jesus in Jerusalem nach dem Einzug an Palmsonntag.

Jesus treibt die Geldwechsler und die Geschäftemacher aus dem Tempel.  Anschließend zieht er sich nach Bethanien zurück, wo er übernachtet. Mitten hinein ist unsere Geschichte gesetzt, als eine weitere Auseinandersetzung mit den Pharisäern und Schriftgelehrten, also denen die alles Besser wissen.

Es geht im Text um das, was hinter all den beide Auseinadersetzungsthemen "Blinde/Lahme heilen" und "Kinder um der Wahrheit willen Kind sein lassen" steht. Und die wesentliche Frage beschäftigt sich mit der Thema des Spiegeltestes. Wie nimmst du dich selbst wahr? Und wie gehst du mit dieser Wahrnehmung um? Bist du eitel, bist du überheblich, willst du dir die Welt so ideal wie für dich normal färben oder siehst du dich wirklich? Da sind zunächst die Blinden und Lahmen, die eigentlich überhaupt nicht zu den Normalen, sondern ausgestoßenen gehören.

Es ist nur ein Vers (14): "Und es kamen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel, und er heilte sie." Boom: Und er heilte sie. Mal einfach so.

Was bedeutet das denn anders als körperlich Eingeschränkte, Behinderte im Gehen und Sehen sind, mal so nebenbei wieder MOBIL zu machen. Jesus macht die Menschen wieder "mobil". Sie sehen und gehen wieder. Er wird zum Arzt oder altdeutsch: zum Heil-land, der wieder heil macht. Und die Kinder? Jesus lässt diese einfach als Menschen gelten. Kinder dürfen, können uns sollen Kind sein dürfen, weil Sie unverstellt noch sich selbst sehen und nicht lediglich ein Trugbild, ein Scheinbild, was ich sein sollte. Kinder haben von dem Stieren in das eigene Gesicht noch keine Falten, krummen Nasen oder Ohren entdeckt. Sie sind noch auf der Suche nach sich selbst und auf der Suche nach Freiheit und Gestaltungsdrang - jenseits von Eitelkeit (sofern nicht schon anerzogen).

Blinde/Lahme werden mobil, beweglich - das ist ein Wunder.

Kinder werden als Kinder ernsthaft wie Menschen betrachtet.

Und die Normalos (die Pfarrer), die den Spiegeltest der Eitelkeiten problemlos bestehen, lässt Jesus einfach stehen; wie Unmündige, wie Lahme, wie Ausgestoßene.

3.       Christus als der Heilsbringer

Jesus stellt die Welt auf den Kopf: In seinen Handlungen, seinen Reden, und letztlich als Christus in seinem Sterben und Auferstehen. Nichts ist gespiegelt oder vereitelt durch Eitelkeit. Sondern die Welt steht Kopf, indem die, die unten sind, oben sind und die, die Kind sind, ganz Menschen sein dürfen. Unsere Eitelkeit, unseren Spiegeltest haben wir verloren in Kreuz und in Auferstehung. Wir haben diese Eitelkeit (eigentlich) verloren, weil Gott uns in Christus einen Spiegel vorhält, der uns ganz und gar nur uns sein lässt, als wahre Menschen und nicht mehr als Abbild, Scheinbild, Eitelkeit oder Modepüppi - ob Mann oder Frau oder was auch immer.

Wir sind nicht mehr die Menschen in unserem Spiegelbild, sondern schauen in die Augen Gottes, der uns unverwandt, klar, unverstellt, direkt ansieht und uns den Weg in die Klarheit der Welt zeigt.

Das, was wir sein dürfen, ist so ganz anders. Denn eitel sein und Eitelkeit soll so vieles vereiteln, was eigentlich nicht bei uns sein in darf. Falten, Nasen, Augenringe, Ohren und was alles sonst noch korrigiert, verdeckt, verborgen werden soll.

Bei Gott ist das anders. Sein Spiegel vor Augen führt eben nicht zu diesen Überzeichnungen, sondern - so das Wunder - zu Annahme wie wir sind. Vor diesem Spiegel haben wir uns eigentlich allein nur einer einzigen Person gegenüber zu verantworten, nämlich: uns selbst.

Nicht mehr Gott gegenüber, einer Tradition, einer Mode oder einem Trend sind wir durch diese Taten Christi mehr unterworfen, sondern uns selbst; ganz und gar. Wir sind geheilt in Christus! Er macht uns mobil, egal wie wir sind und aussehen oder daherkommen.

Denn die wesentliche Frage bei einem Wunder ist doch nicht, ob jemand medizinisch wieder sehen und laufen kann, sondern ob dieser Menschen seine eigene Würde aus sich selber zieht kann. Kann er sich annehmen so wie er ist. Denn, was ist die richtige Mobilität, die richtige Gesundheit, Gesichtsfarbe, Beweglichkeit? Nichts ist richtig, wenn wir Menschen uns nicht selbst annehmen und lernen uns zu akzeptieren mit allem was wir sind. Das ist das eigentliche Wunder der Geschichte.

Auch das Wunder der Kinder. Sie dürfen spielen, lachen und toben. Sie müssen sich nicht eitlen Vorstellungen beugen in ihrer Freude und sie dürfen so sein wie sie sind; ohne die Spiegelbilder und Trugbilder der Welt. Deshalb sagen Kinder und Unmündige die Wahrheit, weil diese die Lüge der Eitelkeit noch nicht ihr eigenen nennen.

Das eigentliche Menschsein, das Gott uns zuspricht, das tritt uns in dieser Geschichte entgegen. Jesus heilt in einer unglaublichen Weise: Durch Zu- und Vertrauen, durch Mobilität und Freiheit, wahr und wahrhaft sein zu dürfen. Das ist das Unterste nach oben gekehrt. Das scheinbar Wichtige der Spiegelwelt gegen das Wichtige des Leben austauschen. Leben - ungeschminkt, unrasiert und pur. Das ist die Vergebung ohne Bedingung.

4.       Heute

Schauen wir nochmals in den Spiegel und sehe uns unsere Gesicht an. Machen wir den Spiegeltest nochmals.

Was hemmt, lähmt uns oder was macht uns blind in dieser Welt?

Was sehen wir, wenn wir mal 10 Sekunden nur in unsere eigenen Augen schauen und uns Zeitnehmen für das Wunder dieser Botschaft: Kann ich getrost mir in meine Augen schauen, weil Gott es war, der alles Rouge, alle Stoppeln, schiefen und fehlende Zähne, Falten, Nasen als völlig o.k. erkennt? Was sehe ich? Was sieht mir entgegen?

Die Impulspost unserer Kirche hat es auf den Punkt gebracht: Du siehst gut aus! Aber einen wichtigen Satz haben die vergessen:

Egal, wie besch...eiden du dich fühlst, denkst, schminkst, oder auszusehen glaubst.

Du siehst gut aus! Ein netter Satz, der aber nur Wirkung entfaltet, wenn die Eitelkeit des Spiegeltestes uns gelassen werden lässt. Gelassen statt getriebene der Modewelt oder der Eitelkeit.

Das ist die Botschaft heute. Erkenne dich selbst und erkenne, dass Gott dir die Zuversicht gibt und dir die Verantwortung für dein Leben ohne Eitelkeiten überlässt.

Amen

Herr, gib Kraft für den klaren Blick in den Spiegel unserer Selbstgefälligkeiten und Eitelkeiten, damit wir erkennen wie gut zu es mit uns meinst. Amen.