Thema: Eine neue, gemeinsame Zukunft

JAHRESLOSUNG

Ezechiel/Hesekiel 36,26a (Einheitsübersetzung): Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.

Ezechiel/Hesekiel 36,26a (Luther 2017):  Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben.

וְנָתַתִּ֤י לָכֶם֙ לֵ֣ב חָדָ֔שׁ וְר֥וּחַ

 

1.       Einleitung

Holger ist einer meiner ältesten Freund in meinem Heimatort.

Das Besondere an Holger ist, dass er ein neues Herz hat. Im Jahr 2014 hat er die 200. Herztransplantation in Deutschland erhalten Dazu muss man wissen, dass jährlich zwischen 200 bis 300 Herzen in Deutschland von Spender auf Empfänger transplantiert werden.

In Holgers Familie ist kein Mann in direkter Linie über 50 Jahre geworden. Vater, Onkel, Bruder - alle schon lange an der genetischen Herzschwäche gestorben. Holger ist wie ich nun 53 Jahren und nun im 2. Jahr mit dem neuen Herzen. Das Warten auf ein neues Herz war und ist kräfte- und nervenzehrend, weil ein komplizierter Prozess der Auswahl erfolgt.

Die Entscheidung über die Aufnahme eines Patienten in die Warteliste für die Herztransplantation wird von einer ständigen, interdisziplinären und organspezifischen Transplantationskonferenz des Transplantationszentrums getroffen. Daran ist auch mindestens ein Mediziner beteiligt, der nicht unmittelbar in das Transplantationsgeschehen eingebunden ist. Dabei spielen Alter, Gesundheitszustand, psychische Verfassung ebenso wie die Prognose des Überlebens. Dann heißt es warten auf den Tod eines anderen, eines geeigneten Organspender und der Zuteilung durch Eurotransplant. Ca. 750 bis 1.000 Menschen stehen auf der Warteliste in Deutschland und nicht jeder erhält ein neues Herz und hat Aussichten auf ein einigermaßen geordnetes Leben nach der Transplantation. Häufig kommen die Spenderherzen nicht aus Deutschland, sondern aus benachbarten Eu-Ländern, bei denen die Frage der Spender anders als in Deutschland geregelt ist. In Deutschland muss man aktiv zustimmen. In Österreich beispielsweise muss man dagegen aktiv widersprechen, dass mein KEIN Organspender sein will.

Holger hat sein Herz bekommen und nach ersten Komplikationen ist er nun auch ziemlich stabil. Diejenigen vom KV, die bei der Beerdigung meines Vaters dabei waren, haben sich mehr über Holgers und meinen Mundart-Slang irritiert gezeigt, denn über seine körperliche Situation. Man merkt es nicht direkt und er lebt mit Frau und zwei Kindern nun als 'beherzter' Rentner mit Lebenserwartung von 25 Jahren mit Spenderherz. Medikamente, Krankheiten und Ansteckungen sowie die Abstoßung des Spenderorgans sind ein permanenter Begleiter und wesentlichen Kriterien für die - ich sage mal - Haltbarkeit eines Spenderherzens.

Nun werden Sie sich sicher fragen, warum ich so ausführlich in dieser Predigt über Herztransplantationen redet.

Für uns Menschen, die wenig gesundheitlichen Stress mit dem Herzen haben, ist das Herz oft ein Symbol für ganz andere Aspekte als der wesentliche Pumpmuskel für das Blut in unserem Körper. Wir verschenken Herzen aus Schokolade und allgemein dienen Herzformen für ein Liebesbeweis. Wenn wir sagen >Es kommt von Herzen.< meinen wir ja nicht, das muskuläre Organ, das mit rhythmischen Kontraktionen und ungefähr 0,16 Bar Blutdruck uns die Röte ins Gesicht pumpt. Sondern wir wollen eine besonders emotionale Zuneigung ausdrücken.

2.       Bibeltext/Jahreslosung

Wenn wir uns heute also der Jahreslosung nähern, so geht es ja eben nicht um eine Herztransplantation. Oder doch?

Die Jahreslosung für das Reformationsjahr 2017 lautet: Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.

Der Vers stammt aus dem Buch des Propheten Hesekiel, Kap. 36, V.26a. Betrachten wir uns den Propheten Ezechiel oder Hesekiel mal genauer.

Unzweifelhaft ist Ezechiel eine historische Figur, die im 6. Jahrhundert vor Christus lebte. Er war Kind eines Priester und Zeitgenosse der Propheten Jeremia und Daniel. Ezechiel ist ein ins Exil verschleppter Prophet. Er lebte vor allem in Babylon, weil er mit der ersten Exilwelle des Jahres 598 v. Chr. durch Nebukadnezar II nach Babylon verschleppt wurde; zeitgleich mit dem abgesetzten jüdischen König Jojachin. Wir wissen aus dem Buch Ezechiels/Hesekiels, dass er in Mesopotamien in der Nähe Babylons sein Exil zugewiesen bekam und dort über 20 Jahre hoch angesehen als Prophet lebte. In Israel, Juda hat er - so die bisherigen Fakten - nie gelehrt.

Ezechiels Prophetentum ist von einer scharfen und direkten Kritik an der Vielgötterei und Götzendienst in Babylon getragen. Ezechiel prägt die Heiligkeit des Gottesnamens, des Monotheismus und gilt als wesentlicher Vater der Priesterlicher Theologie, die Aspekte des Alten Testamentes bis heute im jüdischen Glauben bestimmt. Demnach sind die Priester die "Wächter Israels" (Ez 36) und haben die Aufgabe, die religiöse Ordnung besonders in den Blick zu nehmen. Mehrere Stellen des Buches Ezechiel verweisen auf seine herausragende Bedeutung bei den Juden in der Vertriebenengemeinde von Babylon, der Diaspora. Der Ältestenrat, das höchste Gremium beispielsweise, besucht ihn, sitzt vor ihm und lässt sich von ihm beraten.

Im Kap. 36 führt Ezechiel aus, wie die Erneuerung der Gemeinde erfolgen soll: Gott hilft, nicht um der Menschen willen, sondern er hilft, damit sein Name wieder heilig werde und als solcher wieder Achtung, Respekt und Ansehen genießt. Die Vertreibung der Israeliten aus Jerusalem und die Zerstörung des Hauses Gottes durch Nebukadnezar soll wieder in einen Sieg verwandelt werden. Dies geschieht durch Bekehrung der Menschen:

V26: Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben.

27 Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun.

3.       Christus - die Organspende Gottes

Als Christen ist uns dies Handlung Gottes wohl bekannt. Gott rettet uns nicht um unserer Selbst willen, sondern damit er Gemeinschaft mit uns haben kann. Nicht wir müssen uns freikaufen, moralisch verhalten, um seiner Gnade würdig zu erweisen. Sondern Gott selbst spendet sich für uns. Und insofern ist das, was wir mit dem Sühnetod Christi am Kreuz beschreiben, eigentlich nur ein anderes Bild für die "Organspende" Gottes an uns. Gott selbst spendet seinen Leib, damit wir leben können.

Wie bei einer Organspende üblich geschieht dies ohne Zutun des Empfängers, ohne seinen Verdienst oder seine Berechtigung auf ein Organ eines Anderen. Nein - die Organspende Gottes in Christus ist der eine neue Akt, der das Leben wieder lebenswert macht.

Auch wenn wir heute als Menschen in den meisten Fällen nicht mehr diese Abhängigkeit, die Unselbständigkeit verspüren können, so liegt das an dem Ersatzgötzen, den wir geschaffen haben. Dieser Götze heißt "Freiheit", mit der scheinbar alle Selbstbefähigung des Menschen ausgedrückt wird. Eigene Freiheit sei das höchste Gut des Götzendienstes. Pustekuchen. Was nützt dir deine, mir meine gesellschaftliche, partnerschaftliche, finanzielle und soziale Freiheit, wenn du mit deinem Körper in einem unfreien, endlichen, sterbenden System von Zellen, Organen oder Haut lebst. Du kannst nicht aus deiner Haut; selbst mit den besten Schönheitschirurgen nicht. Du kannst nicht aus deiner Haut. Du kommst nicht aus deinem Körper.

4.       Heute

Was nützt uns diese Freiheit, dieses Anbeten eines Götzens, der uns vorgaukelt, wir könnten, wir dürfen, wir machen - nur weil wir wir sind?

All jene von uns, die durch Krankheit, durch Unfall, durch Elend oder durch die Begrenzung unserer Freiheit aufgrund körperlicher Einschränkungen oder Tragödien wie Demenz, Krebs oder was auch immer   diese ENDLICHKEIT, dieses Ausgeliefert sein, erfahren haben, wissen um die Tragweite einer Heilung. Heilung durch Organspende, Medikamente, finanzielle Hilfe oder allein durch Menschen, die uns gut tun.

All dies löst in uns ein Thema aus, wie es die Jahreslosung im Reformationsjahr 2017 ausdrücken will: Ein geschenktes neues Herz und einen eingelegten neuen Sinn.

Dies ist der Weg zurück in die Zukunft. Eine Zukunft, die gestern noch verdeckt, verborgen schien. Zukunft ist das Geschenk Gottes, nicht Freiheit. Denn Freiheit kann genommen und verbraucht werden. Die Zukunft aber, und das neue Bewusstsein, diese geschenkte Zukunft selbst und neu gestalten zu können, ist die Dynamik, der Drive, das Dope, die Hoffnung, die Befreiung, das eigene Leben neu, verändert wahrzunehmen.

Holger hat diesen Drive erfahren. Nach anfänglichen Problemen ist nun die Zeit des Einrichtens mit dem neuen Herzen. Dass dies zu neuem Geist und neuen Verfahren führt, merke ich immer, wenn wir was unternehmen. Kein Händeschütteln - Bakteriengefahr. Desinfektionen im Restaurant der Bestecke und - wirklich krass - kein Reden mein Essen. Warum kein Reden beim Essen? Nun; mit jeder Aussprache, egal welcher werden auch Speichel und Tröpfchen auf den Essensteller des Gegenübers befördert. Nicht angenehm der Gedanke, dass wir beim Essen und Reden auf den Teller des anderen Speicheltröpfchen befördern, spucken. Sicher ungewohnt. Aber eines muss ich sagen. Sich auf das Essen zu konzentrieren ohne Gespräche und dabei dennoch gemeinsam zu essen, ist für mich nicht nur eine Herausforderung geworden, sondern auch ein Genuss besonderer Güte. Es ist eine innere Meditation, die das Essen wieder in den Vordergrund drängt. Nicht die Nahrungsaufnahme, sondern das Essen. Bewusst sehen, riechen, auswählen, kauen, warten und schlucken. Diesen neue Geist hat Holgers neues Herz in mir angerührt. Ok. Ich gestehe, nicht immer und dennoch immer dann, wenn ich daran denke, was eine Organspende letztlich für eine unglaubliche Gabe für die Zukunft des anderen ist. Deshalb auch der Organspendeausweis auf der Rückseite der Jahreslosung. Was Sie damit machen, ihr Thema.

Gott selbst ist in Christus uns als Organspende völlig bedingungslos zugesprochen. Damit wir ein neues Herz und einen neuen Geist erhalten.

Und wie man auch immer diese Jahreslosung für 2017 interpretieren will. Für mich ist sie ganz konkret, ganz klar und ganz persönlich fühlbar. Nicht nur wenn ich Holger sehe oder an ihn denke, sondern wenn ich als Menschen jeden Tag neu mir bewusst werden, was es bedeutet, Zukunft geschenkt zu bekommen. Zukunft, die uns bereit machen kann, uns, unseren Körper und unsere Mitmenschen als das zu sehen, was sie in den Augen Gottes sind: Die gemeinsame Zukunft.

Amen.

Herr, schenke uns Geduld und Gewissheit, dass du uns trägst, uns hältst und uns Zukunft schenkst, hier wie dort. Amen.