Thema: Alles kann anders sein

Röm 8, 18-23/25

Hoffnung für die Schöpfung

18 Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.

19 Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden.

20 Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat –, doch auf Hoffnung;

21 denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.

22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt.

23 Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes.

24 Denn wir sind gerettet auf Hoffnung hin. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht?

25 Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.

 

 

1.       Einleitung

Die Frage nach den eigenen Sehnsüchten, Wünschen und Erwarten verstellt uns Menschen oft den Blick für die Befindlichkeiten im realen Leben. Das, was ich mir, was wir uns ausmalen, erhoffen oder auch schlicht eher nicht vorstellen können, wird dabei in einer seltsamen Konsequenz im Hirn, im Körper und im Handeln ausgeblendet.

So kommt es immer wieder vor, dass wir von Ereignisse, Entwicklungen, Veränderungen schlicht nicht nur überrascht werden, sondern vielfach uns derart überrollt fühlen. Und wir meinen, die eigene Welt ist gerade untergegangen. Betrachtet man die Geschichte großer Nationen von ihrem Untergang oder von deren Zurücksetzung in die hinteren Geschichtsreihen her (Hethiter, Ägypter, Assyrer, Babylonier, Griechen, Römer, Inkas, Sowjetunion), dann fällt auf, dass fast immer eine ähnliche Entwicklung der Ausblendung von Ereignissen zu einem nationalen Trauma und dem dann folgenden Untergang führte. Vielfach - und das scheint identisch mit dem persönlichen Verhalten der Mehrzahl von Menschen - wird in einer hochzivilisierten, ausdifferenzierten und lange bestehenden Ordnungsstruktur irgendwie das Bewusstsein für Veränderung betäubt. Diese Betäubung führt dann im Ereignisfall zu einem Entsetzen und einem Nicht-Wahr­haben-wollen.

Heute am Volkstrauertag erinnern wir uns bewusst an die Tragödien, die dieses Betäuben vor Realität in unglaubliche Tötungs- und Kriegsmaschinerien geführt haben. Die Ressourcen des menschlichen Fortschritts werden dann nicht für den Fortschritt, sondern für die Zerstörung des Anderen, um seiner selbst willen eingesetzt.

Das Drama beginnt aber schon viel früher, wenn wir Menschen uns allein auf ein Prinzip verlassen: das Prinzip des Weiter-SOs.

Man kann es auch das lineare Prinzip nennen. Denn wie an einer Linie - so die irrige Hoffnung - entwickelt sich das Leben immer weiter. Was gestern gelungen, erfolgreich verarbeitet oder zielstrebig erreicht wurde, muss dann heute auch gelingen. Dies ist aber eine Illusion. Besonders deutlich wird das an vielen aktuellen Beispielen. Nehmen wir die Präsidentenwahl in den USA. Sie ist letztlich eine Wahl des Selbstbetrugs der herrschenden Politklasse gewesen. Ein Politkaste wollte sich selbst wählen. In Washington DC, also im Bezirk der us-amerikanischen Hauptstadt, haben über 95% der Wähler für Clinton und keine 5 % für Trump gestimmt. Krasser kann der Unterschied nicht deutlich werden. Niemand dort will das Neue, den Unbekannte, den Grobschlächtigen, der nicht nach den ungeschriebenen Regeln handelt.

Ungeachtet unserer Befindlichkeiten und Wünsche entstehen aber derartige Entwicklung gerade dann, wenn eine "Klasse" von Menschen schlicht die Augen vor Veränderung verschließen und gebetsmühlenartig versuchen das Gestrige in das Morgen zu beamen. Dieses Beamen, also der Wunsch der Transformation auch in die Zukunft ist dann vielfach durch ein lineares denken und Hoffen geprägt.

Die Vergangenheit wird zum alles entscheidenden Faktor der Beurteilung. was die Zukunft bringen kann, bringen darf. Letztlich ist es ein Leugnen der Endlichkeit, die allem, alles und jeder unweigerlich unterworfen ist.

2.       Bibeltext

Paulus beschäftigt sich im heutigen Predigttext mit dieser aufgeworfenen Frage der Veränderung, der Vergänglichkeit also der Frage, was unser Heil ist, das uns aus der Zukunft uns entgegen tritt. Paulus berichtet den Christen in Rom um das Jahr 50 nach Christi Geburt und keine 20 Jahre Kreuzigung und Auferstehung seines Brief über das Leben im neuen Geist und in einer neuen Ära. Er verwendet vor unserm Bibeltext dafür das Begriffspaar - Fleischlich und Geistlich. Fleischlich, dass ist das Leben, welches vergänglich ist. Geistlich ist das, was das Leben und den Tod in der Herrlichkeit Gottes überdauert. Hier geht es nicht um eine Trennung von Körper oder Seele, wie die Altgriechische Philosophie diese aufbaut. Paulus geht es um eine einfachere Sache. Es wird unweigerlich etwas grundlegend anderes geben. Das, was die Römer, die Christen, alle Menschen und selbst alle Kreatur und die Schöpfung heute noch auszeichnet, wird in der Herrlichkeit Gottes, die wir durch Christi Tat als Geschenk "erworben" haben, gänzlich anderes sein.
"Alles wird anders sein." Und diese "anders" beschreibt Paulus nun in dem Text, der für die heutige Predigt vorgeschlagen ist: Text lesen.

Der Text ist ein Hymnus, ein Loblied auf das, was einst kommen wird.

Es geht weniger um die Kreuzigung und Auferstehung. Denn diese sind zwar Voraussetzung für die Gnade Gottes in Christus, die den Glaubenden zuteil wird. Paulus geht es vielmehr um die Zukunft der Herrlichkeit, in der das Gestrige keinen Platz mehr hat. Darin entsteht das Hoffen auf morgen allein durch das Veränderte, das Neue; das, was auch den Wehen, aus den Schmerzen in dieser Welt, aus dem Vergänglichen, Belastenden herauskommt. Es entsteht eine neue Schöpfung, aus der heraus alles, was bisher war, so gänzlich anders ist.

Theologisch spricht Paulus von der Parusie, der Wiederkunft Christi, die die neuen Welt, die neue Schöpfung ankündigt. Der Ort nennt sich theologisch Eschaton. Es-chaton ist die Lehre von den letzten Dingen. Den Sachen also, die jenseits dessen sind, was vergänglich ist, Bestand haben.

3.       Christusgeschehen

Betrachten wir das Christusgeschehen vom Advent, dem Ankommen des Jesus von Nazareth, seinem Leben und Wirken und auch das Sterben und Auferstehen, dann wird im christlichen Glauben gerade diese Handlung in der Welt als der Startschuss für das restliche Leben gesetzt. Konkret bedeutetet das eigentlich: Christen warten auf die Wiederkunft der Auferstandenen und auf diese neue Welt und die neue Schöpfung. So erhoffte es die Jerusalemer Gemeinde, der durch den Schreiber Lukas in der Apostelgeschichte ein Sockel für das Idealbild einer Gemeinde gesetzt wurde. Aber letztlich lungerten diese Christen, alimentiert durch Paulus, herum und haben sich von der Welt getrennt. Das Ausbleiben der Wiederkunft des Auferstandenen setzt sich bis heute fort. Und so kann erst Kirche entstehen. Unsere Kirche der EKHN gibt es nur, weil wir immer noch auf diese Wiederkunft des Herrn warten. O.k. - eigentlich warten nur noch wenige. Eigentlich haben wir uns ziemlich fest in der Gesellschaft etabliert, haben Kirchenrecht und Organisationsformen entworfen und kehren uns eigentlich einen Kehrricht darum, ob der Herr wiederkommt. Denn - wenn der Herr wiederkommt, dann müssten wir Pfarrers und Bischöfe und Päpste den Schlüssel wieder abgeben und letztlich das Regiment dem Herrn überlassen. Man stelle sich das nur mal vor: Da klopft der Herr an der Pforte zum Petersdom und sagt: Hallo. Da bin ich. Wo sind meine Schlüssel?

Freunde, aber nicht nur dort. Was wäre denn hier in Raunheim?

Wäre es da nicht ebenso "problematisch"? Die Schlüssel zur Pfarrkirche am Main abgeben. Die Schlüssel für das Gemeindezentrum und der Kirche am Stadtzentrum nicht nur aushändigen, sondern allein IHM das Regiment in Raunheim überlassen? Und selbst hier im Martin-Luther-Haus. Wie wäre es dann, wenn wir wirklich alles abgeben müssten und in das Wirken des Herrn stellen? Könnten wir das? Könnten wir uns und unsere Dinge, dem Herrn überlassen, der uns aus der Zukunft entgegen tritt?

4.       Heute

Wir eingangs beschrieben, ist die größte Nachlässigkeit, evangelisch gesehen vielleicht der Kern dessen, was wir Sünde nennen, die Selbstüberschätzung der eigenen Person, Ansicht oder Kirche. Wer linear fortschreibt, bei dem hat sehr wohl der Satz "Die Hoffnung stirbt zuletzt" Wahrheitsgehalt. Für uns Christen ist diese Satz NONSENS, ohne Sinn. Denn nicht die Hoffnung stirbt, sondern die alte Kreatur, die alte Schöpfung, die alten Gedanken und das Festhalten am Liebgewonnenen. Sicher, es wäre vermessen, von mir zu behaupten, dass mein Laufen mit Krücken oder mein Fahren im Rollstuhl wegen meiner Achillessehnenruptur von mir liebgewonnen wird. Aber eines ist wesentlich.

Wenn der Glaube an die Hoffnung jenseits des Lebens verloren geht, dann klammere ich mich an das Hier, an das Jetzt, an das, was ich mir zu meinem irdischen Götzen gemacht habe. So sagt Luther: Woran ich mein Herz hänge, das ist mein Gott. Und er meint nichts anders als dieses:
Wer immer die Vergangenheit als einzige Grundlage für Veränderung nimmt, wer immer nur die Jahre der linearen Entwicklung der Beziehung, der Familie, der Karriere, des Einkommens oder auch der politischen Zukunft, der wird Schocks ohne Ende erleben. Wie die Politikklientel von Washington. Es ist egal, ob man Trump mag, unmöglich findet oder Clinton. Denn allein die Hoffnung auf das lineare Fortschreiten zu setzen, ist aus evangelischer Sicht nur eines: dumm. Es ist schlicht dumm zu glauben, es geht einfach alles weiter. Und so sind die Ereignisse, die uns erschüttern, letztlich nur zu einer Erkenntnis gut: Alles kann anders sein.

Alles, was ich bis gestern, heute und morgen erhofft, gewünscht und geplant habe, kann durch wenig dann gänzlich anders werden.

Niemand garantiert politische Stabilität allein durch bestehende, etablierte Parteien. Den ukrainischen, afrikanischen Frühling haben wir irgendwie alle begrüßt. Die radikale Umwälzung aller bisheriger Systeme. Aber hier in Deutschland. Auch wenn wir uns das hier nicht vorstellen können oder wollen. Es ist schon da.

Denn diese Hoffnung auf Gestern ist schon mit der alten Schöpfung in seiner Endlichkeit gestorben.

Was unsere Aufgabe als Evangelische in dieser Welt ist, bleibt um so drängender: Wir müssen die Zukunft so gestalten, dass nicht das Gestrige siegt, konserviert oder gegen alle Aufbrüche bewahrt wird, sondern dass wir uns vorbereiten, auf das, was uns aus der Zukunft entgegen kommt. Dieses ist etwas neues, was Gewaltiges, was radikal Veränderndes. Es ist die Hoffnung, die auch jenseits des Wartens auf den Tod Hoffnung etabliert. Die Hoffnung in Christus, dass - egal ,was alles anders wird - die Zusage an die neue Schöpfung, an das Ende der Endlichkeit, die Zusagen aus Kreuz und Auferstehung uns frontal trifft und herausfordert.

Alles kann anders sein, was wir uns denken, hoffen und wünschen. Und unsere Aufgabe besteht darin, dieses als Aufforderung für die neue Zukunft zu nehmen.

Amen.

Herr, reiß auf die Sicht der Dinge. Bereite uns und leite uns in deiner Wahrheit in deine Zukunft. Amen.