Thema: Vertrauen und Zutrauen

2. Tim 1, 7-10

 

7 Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

8 Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes.

9 Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt,

10 jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium,

 

1.       Angst und Furcht?

Überblickt man heute die Themen, die uns als Menschen bewegen, scheint nur eines wesentlich vorzuherrschen: Angst.

Angst vor dem, was noch auf uns zukommen kann. Angst vor Überfremdung. Angst vor Geldverlust. Angst vor Anschlägen.

Und gerade heute am 11. September sind uns Älteren die Bilder der Anschläge von New York und Washington vor 15 Jahren noch deutlich in die Netzhaut gebrannt. Die Welt schien zusammenzufallen, indem die Twin-Towers in NY einstürzten. Unsere Welt der Sicherheit stürzte ein.

Angst, Furcht, Unsicherheit sind auch heute wesentlich bestimmende Themen. Die Sicherheit der eigenen Zukunft scheint deutliche Risse und Brüche bekommen zu haben.

Diese Ängste werden uns allgegenwärtig vor Augen geführt und für politische Verengung benutzt. Man muss schon recht abgehärtet sein, wenn man sich dieser Angst nicht selbst ergibt und letztlich – das ist die Folge – egoistisch aus Eigeninteresse wird. Jede Angst, jede Furcht wirft uns auf uns selbst zurück. Jede Angst wird deshalb so bedrohlich, weil sie individuell, nur für uns spürbar, erlebbar, fühlbar wird.

Bei Schulprüfungen, bei ungewisser Zukunft, bei Neuanfängen, bei der Frage, wo mein Erspartes noch sicher ist oder auch wer mich im Alter pflegt. Bei Urlaubsreisen und  allgemein bei Angst vor Anschlägen.

Angst an sich ist nichts Schlimmes. Wenn aber die Angst überhand nimmt, dann kann sie das eigene Leben und das Handeln derart beeinflussen, dass wir nicht mehr das eigene Leben gestalten, sondern allein versuchen, das Bestehende abzusichern.

Menschen, die Phobien (das griechische Wort für Angst) haben, wissen, um was es geht. Nicht mehr das Leben freudig zu leben, ist dann Ziel, sondern die Abwehr und Vermeidung der Angst wird zum lebensbestimmenden Inhalt.

Nehmen wir die Mysophobie: Angst, vor Schmutz - so dass man glaubt sich andauernd Waschen oder Reinigen zu müssen.

·        Oder die Agaraphobie: Angst, angefasst zu werden.

·        Bekannter ist, Klaustrophobie: Angst vor engen Räumen.

·        Cacophobie: Angst vor Hässlichkeit; die scheinbar mit jeder Modellshow zuzunehmen scheint.

·        Didaskaleinophobie: Angst vor der Schule oder vielleicht vor dem KU.

·        Ablutophobie: Die Angst vor dem Waschen oder Baden.

·        Pathophobie: Angst, krank zu werden. Heute häufig verbreitet bei Eltern, wenn es um ihre Kinder geht.

·        Arachnophobie: Angst vor Spinnen.

·        Oder Lygophobie, Nyktophobie, Scotophobie, Achluophobie: alles Ängste vor Dunkelheit. Gerade in der Kindheit spielt diese Angst eine wichtige Rolle, wie man mit Dunkelheit umzugehen lernt.

·        So gibt es nicht nur die Angst vor dem Älterwerden: Gerascophobie, sondern auch die Angst vor alten Menschen: Gerontophobie.

·        Und krankhafte Perfektionisten leiden häufig an Atychiphobie: Die Angst, Fehler zu begehen.

Ich höre jetzt auf. Denn es kribbelt schon. Liest man aber die Liste der Phobien beispielsweise bei Wikipedia im Internet bekommt man schon beim Lesen ein grauseliges Gefühl und man kann erahnen, wie viele lebensbestimmende Ängste Menschen im Griff haben; wie lähmend eine Angst sein und werden kann.

Was hat das alles mit dem heutigen Predigttext zu tun?

2.       Bibeltext

Text verlesen.

Der Eingangsvers (V. 7) beschäftigt sich auch mit Phobien, Ängsten im Leben: "Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit."

Betrachtet man die Umstände, in die hinein diese Verse geschrieben werden, wird deutlich, warum der Schreiber eine erbauliche, ermahnende, eine pastorale Rede hält.

Die zwei Briefe an Timotheus - angeblich des Paulus an seinen Mitstreiter - gelten als sogenannte pastorale Briefe. Das bedeutet, dass sich die Briefinhalte mit dem Verhalten und dem Leben als Christen beschäftigen. Die Briefe dürften ca. 70 Jahren nach Jesu Wirken auf Erden, also um 100 nach Christi Geburt geschrieben sein. Dem Schreiber, dem Pastor geht um den Zustand des christlichen Lebens in der Gemeinde; im Allgemeinen. Eine konkrete Gemeinde wird nicht benannt, sondern der Schreiber der beiden Briefe beschäftigt sich mit generellen Hinweisen und Anregungen; wie den Fragen nach Leitungsämter (1. Tim 3), Umgang mit Reichtum (1. Tim 6), Verhalten als Sklave (ebd.), Schönheitsidealen (1. Tim 2,9ff) oder: " Spöttern soll man aus dem Weg gehen" (2. Tim 2,19).

Pastoral sind die Briefe deshalb, weil es um eine Anleitung, um Hilfestellungen für das christliche Leben geht. Der Pastor, der Pfarrer als Schutzherr (Hirt), der seine Gemeindeglieder erbaut und ermahnt.

Warum ist das nötig? Apostel - also Menschen, die Jesus kannten - sind längst gestprben und selbst deren Schüler mittlerweile uralt oder ebenfalls tot. Eine Bibel wie wir sie kennen, an die man sich halten könnte, gibt es noch nicht. Auch sind die Strukturen der Gemeinde rund um das Mittelmeer höchst unterschiedlich.

Es gibt bisher lediglich tradierte, d.h. erlernte Ordnungen für das Christsein; und eben die Briefe. Evangelien (wir haben 4 im Neuen Testament) schwirren zuhauf herum (Thomas-, Petrus-, Kindheitsevangelium und viele mehr). Und diese Orientierungslosigkeit - besser die unüberschaubare Vielfalt von christlichen Gestaltungslösungen (fast wie heute)  verwirren die Menschen. Und Unsicherheit, Unklarheit sind wesentliche Aspekte, dass Menschen nervös, unruhig und letztlich ängstlich werden. Hier hinein will der Schreiber ordnend eingreifen. Wie macht er das?

3.       Christus = Gottes Vertrauen in uns

Interessant ist, dass der Schreiber Gott vor Christus vor dem Evangelium erwähnt, welches vor allen Zeiten schon angelegt war.

Es ist der Gott, der Weltschöpfer, der die Furcht vertreibt und der uns die nötige Kraft gibt. Die nötige Kraft für das Leben in Christus.

Dieses Leben in Christus wird als Geschenk, nicht durch unsere Leistung uns zugesprochen in Christus und dem Evangelium.

Die Furcht weicht, weil wir nicht wir uns retten müssen aus der Angst, sondern wir vertrauensvoll uns retten lassen dürfen. Dies geschieht durch einen Ruf an uns; in die Bereitschaft, dem heiligen Ruf zu folgen.

Der Ruf ist einfach: Nicht unsere eigenen Werke, sondern die Gnade Gottes in Christo allein wirkt gegen die Ängste und die Furcht.

Christi wird mit den Begriff Heiland (σωτερ [soter - Retter) beschrieben. Und vor was errettet Christus?

Ganz einfach. Vor dem, was alle Ängste bündelt im Leben. Die Angst vor dem Tod. Angst vor dem Tod, wenn man jung ist, mag sich unsinnig anhören. Aber alle Angst und Furcht sind letztlich nichts anderes als die Vorboten und das Ergebnis der Angst vor dem Leben, vor dem Tod.

4.       Übertragung

Was ist Angst anders als das Vertrauen in sich selbst zu verlieren?

Furcht, dass ich nicht fähig bin, mit der Angst umzugehen. Hätte ich Vertrauen, dann nähme die Angst nicht überhand. Angst hätte mit Vertrauen keine Chance, Herr über mein Leben werden zu können.

Wer Prüfungsangst nicht überwindet, der scheitert am Vertrauen an sich selbst. Gestern im Schwimmbad beispielsweise stand ein kleines Mädchen ängstlich auf dem Fünf Meter Brett. Zittern und ängstlich. Fast wäre sie umgekehrt. Sie ist gesprungen und war überglücklich, die Angst überwunden zu haben.

Und letztlich ist Angst deshalb so erschütternd, weil sie uns eines deutlich macht: Wir sind im entscheidenden Moment allein. Bei der Klassenarbeit, beim Vorstellungsgespräch, bei der Zukunftsentscheidung, im Sterben. Sicher Menschen können uns beistehen. Die Entscheidung für das Vertrauen und gegen die Angst und Furcht wird von uns zu treffen sein.

Je mehr sich Menschen der Angst und Furcht ergeben - wie bei den Phobien deutlich wird - so wenig, wird das eigene Leben befreit.

Wer Angst hat vor Menschen, wie kann er Freunde finden? Wer Angst hat vor dem Gepflegt-Werden-Müssen - wie kann sie ohne Furcht den nächsten Tag erleben?

Wer Angst vor dem klärenden Gespräch in der Beziehung, in der Familie oder bei Erbschaften hat, wie können diese ohne Angst, Furcht agieren,

Letztlich - und Konfis hier aufgepasst - ist das die Konfirmation, die Bestätigung des Evangelisch-Seins. Dass wir uns der Angst stellen, weil Gott uns Kraft gibt, die alle Ängste überwinden kann.

Das ist: Evangelisch-Erwachsen-Werden und Evangelisch-Erwachsen-Sein. Nichts anders. Nicht das Auswendiglernen, nicht das Absitzen.

Evangelisch-Erwachsen-sein ist schlicht die Gewissheit, dass unsere Ängste, die Furcht in Gottes Kraft getragen ist.

Und mit diesem Pfund im Rücken gestalten wir Evangelischen unsere und die gemeinsame Zukunft. Wir sind als Gottes Kinder dann evangelisch erwachsen, wenn wir trotz und wegen Widrigkeiten uns auf den Weg machen, Verantwortung übernehmen, helfend gestalten.

Und ein zweites gehört dazu: sich selbst helfen zu lassen. Denn wer sich nicht helfen lassen will, versucht mittels eigenen Werken zu bestehen. Pusteblume - das mag mal gelingen, aber so wir das Leben sehr einsam.

Letztlich zählen diese Fähigkeiten nichts, diese unsere Leistungen sind wichtig für die Zukunftsgestaltung. Gott gegenüber ist das aber wie die Pusteblume. Nichts von Bestand.

Sicher - manchmal will man gar nicht erwachsen werden oder sein; schon gar nicht evangelisch: Wenn z.B. Pflichten und Aufgaben zu erfüllen sind.

Und da ist es schlicht schnuppe ob ich 14 oder 24 oder 44 oder 64 oder 84 Jahre bin.

Furcht, Angst - o.k. Kommt vor. Aber mit dem Vertrauen in den Ruf Gottes entsteht die Kraft und die Gewissheit in uns, welche uns stark macht zu bestehen, evangelisch erwachsen zu sein und zu bleiben.

Die Angst vor Unselbständigkeit, Abhängigkeit, Krankheit, Versagen, Fehlern, Zukunft - o.k. Aber alles das ist eingebettet in die Gewissheit, dass wir es nur im Vertrauen auf Gottes Kraft es schaffen können.

Denn was ist die Botschaft am heutigen Sonntag anderes als diese: Sich auf die eigenen geschenkten Fähig- oder Fertigkeiten zu vertrauen und so die eigene Zukunft selbst gestaltet - in der Gewissheit, das Gottes Vertrauen in uns niemals endet.

Amen.

Herr, stärke, kräftige und sende uns. Amen.