Matthäus 25, 14-30
Der größte Selbstbetrug in der Geschichte der Menschheit
ist, zu glauben, dass man mit wenig Aufwand immer mehr bekommen kann. Diesen
Selbstbetrug hat es zu allen Zeiten, in allen Kulturen und bei allen Völkern
gegeben. Dieser Selbstbetrug, dieser Virus, an sich allein zu denken, für sich
alleine glauben leben zu können, ist schlimmer als jede Rezession (Zersetzung).
Und ich weiß auch nicht, wer uns in Deutschland und der westlichen Welt diesen
Floh in das Ohr gesetzt hat, dass wir nur richtig an der Börse zocken müssen,
nur beim Handeln pfiffig genug sein und möglichst Jobs bekommen, die viel Geld
und wenig sinnige Arbeit haben.
Da wird derjenige für doof verkauft, der sich der Börsensucht nicht hingibt.
Der, der ehrlich ist, dumm sein soll oder der, der mehr leistet als er Geld dafür
bekommt, den Sinn des Lebens nicht verstanden hat.
Die Zahl der Ehrenamtlichen geht zurück. Sich für andere einzusetzen, wird
selbst in der Kirche professionalisiert, was nichts anderes bedeutet, das man
Geld dafür bezahlt . Selbst bei Professoren drängt sich der Eindruck auf als würden
Sie ihr Heil in Instituten und Firmen suchen, um die eigenen Lehre (Leere??)
finanziell und egozentriert aufzuwerten. Der Selbstbetrug beginnt dort, wo ich
der Meinung bin zu wenig zu bekommen und zuviel dafür zu tun. Lieber soll die
Markenjeans vom Laster fallen, als dass ich mit meiner Hände oder Kopf Arbeit
den Gegenwert erbringe. Dieser Virus des Selbstbetruges hat sich scheinbar in
unsere Kultur und - so wie wir aus
der historischen Forschung wissen – in fast allen Hochkulturen irgendwann
festgesetzt. Der Virus hat ein Zeichen: die Überbetonung des Individuums, des
einzelnen. Der Einzelne ist da Wichtigeste. Unsere Erziehung zielt darauf ab,
den ach so mündigen Bürger zu erzeugen mit dem Ergebnis, dass die Zahl der
verwöhnten Bürger zunimmt. Weltmeister im Kritisieren die Weltmeister –
statt tatkräftig die eigene Rolle und Aufgabe im Leben auszufüllen der eigenen
Rolle.
Der Selbstbetrug dreht sich um alles, nur nicht um die eigenen Aufgaben, die
eigene Rolle, die ich für andere erbringen sollte. Und bitte, es geht nicht um
„schwach“-sinnige Aussteigerparolen, sondern um die Verantwortung und die
Verpflichtung der eigenen Rolle im Leben.
Von diesem Selbstbetrug, sich nicht in die eigene Aufgabe
und Rolle zu fügen, berichtet auch der Predigttext. Da ist ein Versager, der
nur an sich selbst denkt, seinen eigenen Vorteil und sich nicht in Hierarchien
einordnen kann. Heute würden wir sagen: Der denkt an sich. Die beiden anderen,
die den Buckel krumm machen, sind doch die Blöden – oder?
Das Gleichnis, das uns Matthäus hier in sein Evangelium platziert hat, hat eine
wichtige Funktion. Es ist das Schlussgleichnis von dreien. Das erste berichtet
von klugen Knecht, der sich völlig in der Gegenwart verliert ohne wie im
zweiten Gleichnis, der klugen Jungfrauen, den Blick auf die Zukunft und das
Warten auszurichten. Unser Gleichnis versucht nun beide Bereiche, Gegenwart des
Reiches Gottes und die Zukunft, die Wiederkunft Christi zu vernetzen.
Gleichnisse, hier exakt eine Parabel, sind nichts anderes als der Versuch einer
„Lebensdeutungen mit einer Pointe“ (pointierte Lebensdeutung!).
Es gibt viele Deutungsansätze für das Gleichnis. Es wird als
„Krisengleichnis an die jüdischen Schriftgelehrten“ gedeutet, die als
Verwalter des „Schlüssels des Himmelsreiches“ (J.
Jeremias) gemeint sind. Oder als Aufforderung für das Reich Gottes zu wuchern.
Die Lebensdeutung des Gleichnisses ist simpel, genau so wie
die Pointe.
Der Boss vertraut seinen Mitarbeitern, Knechten je nach Fähigkeit etwas als
Aufgabe an. Der eine bekommt 5 Talente (ca. 180 kg) Silber. Möglicherweise sind
das 30.000 Drachmen (1 Talent = 6000 Drachmen) der damaligen Währung, also ca.
150 durchschnittliche Jahresgehälter. Heute wären das ca. 4,5 Millionen €
(bei durchschnittlichen 2.500 € Monatseinkommen). Der zweite bekommt 2 Talente
(ca. 1,8 Mil. €) und 1 Talent (ca. 1 Mil. €).
Die beiden Top-Knechte verdoppeln den Einsatz. Sie erfüllen die Aufgabe, indem
sie ihrer Rolle und den Erwartungen des Bosses gerecht werden. Der Dritte
verweigert sich, die Aufgabe zu erfüllen. Außerdem – das kann er gut –
schiebt er dem Boss die Schuld in die Schuhe, nach dem Motto: ich mach Fehler
und du bist schuld: „Du bist hart und ich soll dein Geld mit meinem Mehrwert
vermehren“. Der dritte Mitarbeiter macht den klassischen Vorwurf gegen
Kapitalisten: Du willst mehr, aber das soll ich erwirtschaften. Die Pointe ist
einfach. Der Boss setzt konsequenterweise den Schmarotzer, der nur ernten will
ohne zu arbeiten, vor die Tür.
Der, der seine Rolle als Knecht nicht wahrnehmen will, der, der mehr sein will
als der Boss, der erhält eine Abfuhr. Nur der, der sich seiner Rolle und
Aufgabe für andere sinnvoll und engagiert verschreibt, hat eine Zukunft.
Leistung zählt je nach den eigenen Fähigkeiten, Leistungsverweigerung führt
zum Untergang.
Und nun? Was heißt das? Das Gerede von der
Selbstverwirkung in der Beziehung, Job, Gesellschaft bekommt einen Dämpfer. Das
was wir heute so hoch schätzen: Die eigene Entwicklung, die eigene Freiheit,
die eigenen vier Wände, das eigene Auto. All das erhält aus der
christologischen Sicht einen Dämpfer. Zwar treten einige Theologen auf und
wollen das retten durch soziologische, allegorische oder sonst wie Deutung. Aber
es hilft nicht – und glauben sie mir, es gefällt mir genauso wenig wie Ihnen.
Wir werden als Knechte gesehen. Als Menschen, die in eine Aufgabe und ein Rolle
gesetzt werden, um anderen und damit sich zu dienen. Das eigene ICH tritt hier
zurück. Gott kennt diesen unseren Individualismus nicht, den wir zu einem Gott
erhoben haben. Gott kennt die Herren und die Knechte. Er kennt die Rollen und
Aufgaben.
Als Herr hat Gott die Aufgabe – wie im Gleichnis-, individualistische
Schmarotzer, vor die Tür zu setzen. Vor allem die, die sich vielfach noch
erdreisten, Gott die Schuld in die Schuhe zu schieben, weil sie den eigenen
Hintern nicht hoch bekommen.
Als Knecht unterwirft sich dieser Gott diesen Schmarotzern, um uns die
Gelegenheit zu geben, das eigene Fehlverhalten wahrzunehmen und die eigene Rolle
so zu definieren, das meine Leistung ein Leistung für andere sein kann. Diese
Paradox, was wir in den Kirchen verkünden, ermöglich uns den Glauben. Es ist
ein Glauben, der die Selbstbegrenzung der eigenen Möglichkeiten beschreibt,
weil sich dadurch die christliche Freiheit eröffnet; nicht umgedreht.
Selbstbegrenzung der eigenen ICHs, im Blick auf die Rolle und Aufgabe.
In der theologischen Sprache heißt das: Der Knecht, der wir heute nicht sein
wollen, das ist die Aufgabe an Christen. Psychologisch gesprochen: Die eigenen
Grenzen wahrnehmen und ausfüllen. Oder Wirtschaftswissenschaftlich ausgedrückt:
Die Kernkompetenzen in den Markt eintragen. Auch wenn ich und wir aufgeklärte
individualisierte christliche Bürger dies nicht hören wollen. Was bedeutet
Christ-sein anders als die eigene Rolle und Aufgabe wahrzunehmen. Meine eigenen
Ressourcen so einzusetzen, dass ich meinen Beitrag für andere, Vorgesetzte und
Mitarbeiter, für Gott als Herr und Knecht tue. Das ist nicht modern. Das will
niemand im Lehrstoff der Schulen haben. Das ist einfach unmöglich. Und doch ist
es die christliche Aufgabe.
Und heute? Dieser unsinnige Selbstbetrug, das ICH sei
alles. Die Mode, dass Selbstbegrenzung Rückschritt sei, ist nichts anderes als
die vorweggenommene Kündigung durch den Boss. Es ist die Bankrotterklärung zu
dem, welche Spuren ich hinterlasse für andere und damit mich.
Sich nicht selbst begrenzen können – das ist theologisch ausgedrückt Sünde.
Es ist der Verlust der eigenen Rolle und der eigenen Identität. Was tue ich in
meiner Rolle als Professor, als Student, als Ehemann, als Ehefrau, als
Vorgesetzter, als Mitarbeiter, Pfarrer, als Bischof, als Kind oder als Rentner für
andere. Was ist meine Aufgabe und meine Rolle und wie setze ich meine Ressourcen
dafür ein? Bonhoeffer nannte es Kirche für andere. Und wenn ich in meine Rolle
nicht passe, weil ich nicht den nötigen Verstand für das Fach habe, die Geduld
für die Studierenden, die Muse für das Handwerk oder das Engagement, dann muss
ich überdenken, ob das wirklich meine Rolle ist. Nicht als Flucht, sondern als
Verantwortung mir und Gott gegenüber.
Es will heute keiner hören, aber das ist die Botschaft für den heutigen Sonntag: Fülle deine Rolle, deine Aufgabe für dich, aber vor allem für andere.
Und die Freiheit Gottes, die unbegreiflicher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus unserem Herrn. Amen