Predigt zum Sonntag Estomihi

Text: Lukas 18, 31-43

Thema: Verstehen und Verständnis

1.         Einleitung

Helau und Alaaf. Die Narrenzeit hat uns wieder. Ausgelassen feiern können, ohne nachdenken und sinnieren. Ohne auf jedes Wort zu achten oder alles auf die Goldwaage zu legen. Jeder hat Verständnis (na ja – fast jeder) für die Narreteien, die so Landauf, Landab getrieben werden. Die Büttenreden, also die Reden an einer Bütte (einem offenen Fass, das zur Weinlese genutzt wurde), sind gespickt mit allerlei scharfen Aussagen und vielen unverblümten Wahrheiten. Die Zeit des Karnevals, also die Zeit vor dem Beginn der Passionszeit ab Aschermittwoch, ist nicht nur die Zeit des Ausgelassen Seins, sondern auch die Zeit der Wahrheiten. Es geht um die Dinge, die sonst nicht angesprochen werden und nun durch Scherz und Klamauk vermittelt werden. Nicht jeder Scherz ist sofort zu verstehen. Nicht alles, was gesagt wird ist für jeden verständlich. Mit einigen Aussagen kann man nur etwas anfangen, wenn man die Rahmenbedingungen kennt.Diese Rahmenbedingungen machen den Witz und das Verstehen aus. Was nützt die beste Büttenrede, wenn diejenigen, die vor dem Redner sitzen nicht die Hintergründe kennen. Auch die Ausstaffierung der Menschen dient dazu, von der eigentlichen Rolle des Redners abzulenken und die Botschaft deutlich zu machen. Wenn ein Redner sich z.B. als Pfarrer verkleidet auftritt, ist schon klar, was kommen wird. Also auch das Äußere soll das Verstehen erleichtern. Die Wahrheit geht dann leichter über die Lippen und die Worte schneiden zwar hart, aber doch weich, weil es eben Faschingszeit ist. Jeder hat doch schließlich Verständnis dafür, was während Fasching alles passiert. Verstehen und Verständnis.

2.         Predigttext

Auch im Predigttext wird das Thema von Verstehen angesprochen. Es geht um Verstehen der Rahmenbedingungen von Jesus in dieser Welt. Die Geschichte, die uns Lukas hier vermittelt ist in zwei Abschnitte eingeteilt.

Zum einen ist es die sogenannte dritte Leidensankündigung, das heißt , das Jesus vorhersagt, dass er gefoltert und ermordet wird.

Zum anderen ist anschließend von Lukas die Geschichte des Blinden ein­gefügt, der scheinbar besser die Rahmenbedingungen sieht als andere.

a) Was will uns die Leidensankündigung sagen? (Verse 31-34)

Jesus sammelt die engsten Vertrauten um sich und berichtet von der Zukunft. Nicht nur der Erfolg ist den Jünger bekannten auch die Verfolgungen und Nachstellungen. Dennoch ist der Vers 34 sehr deutlich, dass die Jünger nichts verstehen und scheinbar auch kein Verständnis für die Ankündigung. Solange alles in geordneten Bahnen läuft, wollen die Gedanken die Zukunft ausschließen. Scheinbar wie bei uns, wenn wir in einem Urlaub sind und nicht an die Heimreise denken wollen oder dass die Faschingszeit zuende geht. Sie begriffen nichts! Sie wollten auch nichts begreifen. Weil die Jünger das Unvermeidliche nicht sehen wollten. Der Menschensohn ist das Thema, also derjenige, der von Gott gesandte Prophet für das Volk, der als Sinnbild des Sohnes Davids für die Juden auf die Welt kommt. Lukas schreibt aus der Sicht der Auferstehung. Er beschreibt den Unglauben und das Nicht Wahrhaben wollen, was mit Karfreitag und Ostern auf sie zu gekommen ist. Es ist dies die Wahrheit, dass wir diesen Jesus nur aus der Geschichte von Ostern her richtig verstehen können.

b) Die Wunderheilung des Blinden von Jericho.

Es ist schließlich der Blinde, der diese Weisheit ausruft. Es ist einer, der nicht sehen kann, was vor ihm oder hinter ihm ist. Dieser Blinde schreit die Wahrheit in die Menge, um Jesus anzusprechen. Die Wahrheit, dass Jesus der Sohn Davids, der Gesalbte, der Messias ist. Der Blinde erkennt die Chance seines Lebens. Und er will gerettet und geheilt werden. Er wird von Jesus geheilt, weil Jesus gerade die Menschen mag, die die eigenen Chancen ergreifen, um die eigene Situation zu verändern. Nur der, der verstehen will und auch Verständnis aufbringen kann für das nicht Gewöhnliche, wird sehend.

3.         Christlicher Bezug

Was heißt das für Christen und unsere Kirche?

Glaube allein reicht nur dann, wenn er verständig ist und verstehen will. Glaube, der Rechthaben will, ist nicht gefordert. In der Reformation wurde dies darin ausgedrückt, dass die evangelischen Kirchen eine Bildungsreligion sind, die den Menschen dazu verhilft, sich, andere und das Leben zu verstehen. Das setzte in der Reformation mit der Ausbildung in Lesen und Schreiben ein. Schulen galt es zu bauen und zu unterhalten, damit die Menschen in dem Land die Heilige Schrift und alle weiteren Schriften lesen konnten. Deshalb übersetzt Luther die Bibel in die normale Sprache, ins Deutsche, weil er den Menschen das Verstehen und das Verständnis des Glaubens und dieses christlichen Gottes näher bringen will.

Darum ist es unsere christliche Aufgabe, die durch die Reformation klar ausgesagt ist, Bildung, Verstehen können und wollen zu fördern. Sie gehört zu dem evangelischen Grundverständnis. Das hört sich gut an, hat aber gerade auch dazu geführt, dass Menschen sich von Gott und Kirche abwenden, weil sie vieles verstehen und eben kein Verständnis mehr dafür aufbringen können. Es geht nicht um die Menschen, die wegen der Kirchensteuer austreten, sondern diejenigen, die mit der Institution Kirche und Gott nicht klarkommen. Es sind die evangelischen Kirchen gewesen, die diesen Weg gezeichnet haben und wir als Kirche müssen auch heute darunter leben, was wir als Aufgabe. Die Entwicklung, die die Kirchen zur Zeit erleben in unserem Land, sind die Folgen der Bildung der Menschen. Sicher treten noch andere Situationen wie Reichtum, Wohlstand, Frieden hinzu. Aber nur durch die Mündig-Machung der Menschen besteht die Möglichkeit, sich zu entscheiden. Die christliche Aufgabe bleibt dennoch ungebrochen. Die Aufgabe, den Menschen nicht nur Glauben und Glaubensinhalte zu vermitteln, sondern auch die Möglichkeiten für das eigene verantwortliche Leben zu eröffnen. Jesus tut dies auf zweierlei Weise:

1.       Verstehen durch An- und Hinterfragen des Normalen

Das Normale ist zu durchschauen und zu hinterfragen. Jesus macht es an vielen Stellen vor. Das hinterfragen der Religion, der Regeln und  Gebote (Sabbatgebote) oder der politischen oder gesellschaftlichen Regeln wie Ehe, Sexualität und Freund- oder Feindschaft. Verstehen im christlichen Sinne heißt hinterfragen und anfragen im Horizont der christlichen Botschaft.

2.      Verständnis für das Besondere (Wunderheilungen)

Durch die Wunderheilungen ermöglicht Menschen die Möglichkeiten und ein neues Verständnis für Leben. So wie es auch Lukas in dem Beispiel berichtet.

4.         Heute

Was heißt das für uns heute?

a)   Verstehen, d.h., Chancen erkennen und wahrnehmen

Christ-sein heißt somit auch die eigenen Chancen erkennen und wahrnehmen. Was tut ich Normales, was engt ein und lässt meine Ressourcen brachliegen? Was könnte ich noch in meinem Alter tun? Was ist meine Aufgabe und wo könnte meine Hilfe und Fürsorge noch gefragt sein? Ob als Kinderbetreuerin oder als lebenslustiger Mensch, der vielleicht in der Faschingszeit andere belebt. Und das Alter spielt sicher eine Rolle, aber auch im Alter können Brötchen gebacken werden; vielleicht sind die nur etwas kleiner.

b)   Verständnis, d.h. anderen Möglichkeiten aufzeigen und fördern

Wer die Wahrheit hinterfragen kann und Versteht, was die Welt in ihrem innersten zusammen hält, der kann auch für Verständnis sorgen und werben. Es geht um das Helfen und Fördern von Möglichkeiten bei Menschen um uns herum. Ob das unsere Kinder sind, die Eltern, die Mitarbeiter oder Nachbar. Christliches Verständnis ist das Verständnis für die Möglichkeiten anderer. Sicher sind unsere Wunder anders als die von Jesus. Und dennoch bewegt das christliche Verständnis viele Menschen, weil ihnen dadurch dieMöglichkeiten eröffnet wurden. Sei es im Kindergarten, in der Schule, bei Ausbildungsplätzen, in der Versorgung Behinderter, in der Diakonie, die Hilfe in der weiteren Welt – um nur einige zu nennen.

Verstehen und Verständnis - das ist die Botschaft an diesem heutigen letzten Sonntag vor der Passionszeit: Es zu erkennen und wahrzunehmen und Möglichkeiten zu fördern für das bessere Leben hier in dieser Welt.

Und das Verstehen, das Gott uns schenkt, ist größer als alles, was wir erfassen können in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen