09.06.2019 Pfingsten: Entlassen aus der religiösen Unmündigkeit

 

Joh 14, 15-19(20-23a)23b-27 - Evangelium-Lesung und  Predigttext

 

Die Verheißung des Heiligen Geistes

15 Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten.

16 Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit:

17 den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.

18 Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch.

19 Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.

20 An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch.

21 Wer meine Gebote hat und hält sie, der ist's, der mich liebt. Wer mich aber liebt, der wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.

22 Spricht zu ihm Judas, nicht der Iskariot: Herr, was bedeutet es, dass du dich uns offenbaren willst und nicht der Welt?

23 Jesus antwortete und sprach zu ihm:

23b Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.

24 Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat.

25 Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin.

26 Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.

27 Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie

 

1.      Einleitung

Habe ich euch eigentlich schon mal die Geschichte von Friedrich Tiedemanns Gehirn erzählt. Ja Friedrich Tiedemanns Gehirn,

Nein ? Ok. Das passt dann auch heute ziemlich gut zum Pfingsttag und was Pfingsten für den Glauben an Gott für die Welt bedeutet; also welche Bedeutung Pfingsten für die Welt hat.

Also: Friedrich Tiedemann. Friedrich Tiedemann war ein Anatom aus Kassel des 19. Jahrhunderts. Geboren 1781 geboren und 1861 gestorben. Als leitender Anatom und Professor der Universität Heidelberg beschäftigte er sich mit experimenteller Naturwissenschaft; also nicht mir der theoretischer Erforschung von Dingen, sondern durch Versuche oder durch das Sezierung von Menschen und Tieren ging er den Sachen auf den Grund. So ist er auch in seiner Forschung unter anderem dadurch berühmt geworden, dass aus den Gehirnuntersuchungen auf eine Beziehung zwischen der Größe des Gehirn (gemeint ist das Durchschnittsgewicht) und zu dem Intellekt oder der Geisteskraft des Menschen oder einer Rasse schließen konnte. In einer Zeit ohne Röntgen, Ultraschall oder MRT - also Bildgebungsverfahren um in den Menschen zu sehen ohne ihn aufschneiden zu müssen – öffnete er Schädel und wog Gehirne; häufig an Toten. Tiedemann wollte verstehen, wo der Geist des Menschen sitzt. Geist das war für Tiedemann die Fähigkeit des Menschen sich selbst als höheres Wesen wahrzunehmen. So kam er – im Gegensatz zu der vorherrschenden Forschungsmeinung – zu der nachgewogenen Erkenntnis, dass Gehirne von Schwarzen oder Frauen zwar weniger wiegen, aber im Blick auf das gesamte Körpergewicht ähnlich schwer seien.

Man kann sich vorstellen, dass die angebliche Feststellung, Gehirne von Franzosen seien nur durchschnittlich 1300 gr schwer, während die deutschen Gehirne 1390 gr. also ‚schwerer’ seien, fast zu einem Krieg führte. Tiedemanns Gewichtsmessungen des menschlichen Geistes anhand des Gehirns galt  als Standard der Forschung. Also: Größeres Gehirn und damit größerer Geist und Intelligenter.

2.      Bibeltext

Jetzt kann man sich ja fragen, was das mit Pfingsten zu tun hat und dem heutigen Predigttext. Schaun wir mal.

Der heutige Text steht im Johannesevangelium. Ich habe diesen auf dem Blatt für Sie abgedruckt.

Johannes, also das Evangelium, welches so ganz anders ist als Matthäus, Markus oder Lukas. Diese drei Evangelien gehen scheinbar lebensgeschichtlich nacherzählend, von Geburt bis Auferstehung vor.

Johannes beginnt aber anders, nämlich religionsphilosophisch. „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott“. Literarisch bewegen wir uns im Johannesevangelium im Vergleich zu den synoptischen Evangelien in einer anderen Welt. Die Reden Jesu prägen das Evangelium des Johannes. Die Reden dienen als Themenreflexion. Auch die Taten und Wunder Jesu sind dabei Verdeutlichung der Reden und Themen.

Grob lassen sich drei Bereiche festhalten:

I: Kap. 2 bis 12 – Jesus offenbart sich vor der Welt mit Weinwunder, Auferweckung, Wandeln über den See.

II: Kap. 13 bis 17 – Jesus offenbart sich vor den Seinen, den Jüngern und uns als Gemeinde.

Die verbindenden Glieder der beiden ersten Abschnitte sind die „ICH BIN“ Wort als Aspekte der Selbstoffenbarung Jesus als Christus in der Welt

III. Kap. 18-20 – Jesus Erhöhung und Verherrlichung

Bindeglied ist hier der Begriff LIEBE, der als eine Handlungs- und Wesensbestimmung für Jesus und seine Anhänger bestimmt ist.

TEXT: Joh. 14, 15-19/20b-27 NOCHMALS nach Ev. lesen

3.      Christus als Bringer des Geistes

Die Himmelfahrt Christi, also seine Verherrlichung nach Johannes, erfordert eine Unterstützung für die zurückbleibenden Jünger.

Die Jünger sind zu Zeiten Jesu komplett von dem Meister abhängig und treten reihenweise in die Fettnäpfchen, weil ihnen der Geist des Meisters fehlt. Denn die Jünger sind gefangen in ihren Konventionen, Erziehungsmodellen, Traditionen und letztlich auch in den religiösen Gesetzmäßigkeiten und Riten. Davon zeugen die ersten drei Evangelien übermächtig.

Die Auseinandersetzungen mit den Pfarrern und Kirchendiakonen von damals, also den Pharisäern und Sadduzäern, strotzen davor, dass das Gesetz nach Jesu Botschaft nicht mehr den Geist Gottes wiedergibt, sondern eine gestorbene Rechtsnorm darstellt, die den Menschen nicht in den Mittelpunkt zu Gott stellt, sondern die rigorose Erfüllung des Gesetzes zum Heil macht. Die Auseinandersetzungen zwischen Jesus und der Obrigkeit im Glauben ist einfach:

Bei Jesus ist Glauben an das Lebendige des Gottes sinn- und zukunftsstiftend.

Bei den Pharisäern ist Glaube das Erfüllungen an das Tote, Überholte des Textes, an die Menschen nicht beachtende Gesetze, Norm und Sinn.

In Christus wird diese komplett umgedreht. Es geht wieder um den lebendigen Gott, der Schöpfer der Menschen ist, die seine Gegenüber sein sollen; und nicht Sklaven der Gesetze, Tradition oder Riten.

Christus befreit. Er entlässt die Menschen aus der selbst gewählten religiösen Unmündigkeit. Mit Christus ist die Schöpfung zurück in die Welt gekehrt. Schöpfung als kreative Gestaltung von Leben und Zukunft.

Gesetze, Riten und religiöse Traditionen sind dann Leichenreligion, wenn diese als quälende Behinderung des Menschseins etabliert werden. In Christus ist und wird Leben zur Zukunft, als geschaffene und schaffende Zukunftsermöglichung im Angesicht der Gnade Gottes.

Kreuz und Auferstehung sind – so Johannes – die Liebesbezeugungen für die (Wieder-) Mündigmachung des Gottesgeschöpfs in einer sich selbst im Weg stehenden Welt.

4.      Heute

Friedrich Tiedemann hatte mit seiner Gehirntheorie zeitlebens einen Standard geschaffen; eine wissenschaftliche Norm, das Größe des Gehirns mehr Geist bedeutet.

Und Tiedemanns Gehirn selbst strafte dieses Dogma Lügen. Bei der Sezierung seines Gehirns nach seinem Tod stellte sich heraus, dass Tiedemanns Gehirn unterdurchschnittlich schwer war, also zu leicht. Wie konnte das sein? Nun – die Erfrischung und Gestaltung der Zukunft macht auch vor dem eigenen Geist nicht halt. Wir werden revidiert, überholt, häufig durch uns selbst. Tiedemann erst nach seinem Tod. Sein Gehirn bewies, Tiedmann lag falsch. Denn niemand wäre auf die Idee gekommen, Friedrich Tiedemann als einen blödsinnigen tumben Menschen zu bezeichnet, selbst wenn die Theorie Tiedemanns dies auch für Tiedemann selbst voraussagte. Dumm gelaufen!

Die Ausgießung des Geistes heute an Pfingsten lässt sich halt nicht wiegen oder aufwiegen oder letztlich einbinden, wie ich das will. Vielmehr ist die Tat Gottes in Christus die zweite Schöpfung des Menschen als eigenes und selbständiges Wesen, der Welt und Gott gegenüber. In Christus wird die biologische Schöpfung zu einer geistlichen Schöpfung angefüllt. Diese wird “AUSGIESSUNG des Geistes” bezeichnet oder Pfingsten. Wir sind damit nicht auf uns selbst geworfen wie bei der Vertreibung als Geschöpfe aus dem Paradies, sondern in die Arme Gottes, der uns in die Welt mit seinem Geist senden will. Das ist Pfingsten. Letztlich nennen wir das “Wiedergeburt” als neue Geschöpfe Gottes. Also wir sind gerufen und dürfen antworten und handeln, jenseits der bisherigen Konventionen, Traditionen und Riten. Auf gehts. Amen

Diese Gnade und Freiheit sei mit uns allen. AMEN.