2019.04.14 (Jesaja 50,4-9): Zukunft und die Motten des Lebens

Jesaja 50, 4-9

4 Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Alle Morgen weckt er mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören. 5 Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. 6 Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel. 7 Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde. 8 Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Lasst uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir! 9 Siehe, Gott der HERR hilft mir; wer will mich verdammen? Siehe, sie alle werden wie Kleider zerfallen, die die Motten fressen.

 

1.      Einleitung

Wir müssen heute zwei Dinge zusammenbringen, die eigentlich irgendwie nicht zusammenpassten.

1. Was ist Vergangenheit? Was ist Vergangenheit? Und 2.: Was sind die Motten des Lebens? Ja, die Motten des Lebens?

Aber zuerst: 1. Was ist Vergangenheit.

Manche würden Grammatisch, aufgrund er Erfahrung, des Erlebten sich der Vergangenheit nähern. Ich mach das mal aus der Physik.

Sofern man dem zweiten Thermodynamischen Hauptsatz Glauben schenken mag, so ist unser Leben irreversibel; also unumkehrbar im Blick auf die Vergangenheit. Ist etwas gestern passiert und vergangen, so hat sich dadurch in unseres Lebens eine Richtung ergeben, die wir nicht mehr in ihren Ur-/Ausgangszustand versetzen können. So gern wir das zerbrochene Weinglas, die verlorene Brosche oder das gesagte Wort wieder in den Urzustand, also vor dem Getanen, Zerbrochenen, Verlorenen oder Gesagten zurückdrehen wollten, es geht nicht.

Zwar – nach dem ersten Thermodynamischen Hauptsatz – noch irgendwie alles was vorher war in einer Energieform vorhanden, aber letztlich nicht mehr wie VORHER. Die Scherben bilden das Glas noch, sofern man alles wieder zusammensetzen könnte. Das Verlorene ist noch irgendwie in unserem Sinn. Das Gesagte schwingt immer mit. Und dennoch bleibt es bei dem, was nun dabei: Das Vergangene ist unumkehrbar, irreversibel. Ebenso bleibt auch unsere Leben ein Haufen voller gelungener und misslungener Handlungen oder Nicht-Handlungen, ein Fülle von zersprungenen Scherben, Hoffnungen, Wünschen und Vorstellung; ebenso wie die Gewissheit des Gelungenen, Realisierten, Bebauten, Erreichtem an Glück, an Freude, Liebe und Geborgenheit.

Die Noten aus der Schule oder von Abschlussprüfungen sind festgeschrieben. Begonnene oder beendete Ausbildungen – alles passiert. Urlaube oder Partnerschaften – gelungen oder passé. Die Vergangenheit ist nur eines: vergangen; zumindest nach der thermodynamischen Physik.

Insofern sind wir alle in einem unsagbar engen Abhängigkeit von vergangenen Prozessen, Erlebnissen und Erfahrungen vernetzt, verwoben, gefangen oder befreit. Abhängig – das ist heute eigentlich out.

Abhängigkeiten vom Arbeitgeber wie ein Knecht oder Magd; Abhängigkeit als Frau vom Mann; Abhängigkeit von dem beliebigen Entscheiden einer Obrigkeit. All dies können wir uns eigentlich nicht mehr vorstellen. Und dennoch sind wir nichts anderes als dieses: Abhängig vom Vergangenen, selbst heute. Was sich aber wesentlich verändert hat, ist die Fähigkeit und die Möglichkeit des eigenen Gestaltens. Ob Frauenwahlrecht, Berufswahlrecht, Strom-/Gasversorger, die Religion oder das Heiraten, wen man/frau möchte, die Möglichkeit des Scheidens, die eigene Rente, der Ort, an dem ich wohnen will und vieles mehr. Selbst wenn es ein Netzwerk des Vergangenen ist, aus dem wir hervortreten, so ist es uns heute möglich, neues zu Gestalten für morgen; auch in Abkehr von Gestern.

Die wesentliche Frage, die sich stellt, ist: Wie gehen wir mit der Gegenwart um, denn aus dieser Heraus können wir Zukunft gestalten? Wie hören wir heute, wie sehen wir uns heute, wie schätzen wir uns heute ein und vor allem, was machen wir jetzt? Und da wir NICHT in die Zukunft blicken können, nur in die Vergangenheit, sind wir auf diese ungeheuerliche Abhängigkeit unseres Lebens angewiesen. ABER immer mit der Gewissheit, dass es das Morgen, die Zukunft alleine ist, was wir gestalten, verändern und leben können.

Wie lebe ich jetzt? Wie lebe ich jetzt mit allem, was gestern erlebt habe, gestern gelacht, geweint, gelitten, gekämpft habe; also mit allem, was ich seit gestern, seit der Konfirmation bin und durch die Vergangenheit geworden bin, eben jetzt und heute und für morgen. Und: Wo ist heute meine Mitte, mein Antrieb, meine Hoffnung, mein Mut, mein Wille, meine Zuversicht im Blick auf mein Leben jetzt, hier, heute – für morgen?

2.      Bibeltext

Der Predigttext für den heutigen Sonntag Palmarum, dem Tag als Jesus mit Jubel und Palmwedeln in Jerusalem einzog und wahrscheinlich die Mehrheit der Stadt es gar nicht wahrnahm, steht im Buch Jesaja 50, 4-9.

Die Motten des Lebens sind die, uns deutlich machen, dass alles vergänglich ist. und wie das so ist, wenn es nicht vergänglich wäre, wissen die Älteren alle, wenn die Aussteuer mit Lavendel und Mottenpulver eine Geruch des Modrigen mit sich trägt und man mit einem dankbaren Lächeln und dem Mottenkugelngeruch, in das neue leben tapste.

Die Motten des Lebens, die nicht nur Kleider, sondern auch die Vergangenheit fressen, sollen und deutlich machen, dass wir uns der Zukunft zu wenden. Aber der Reihe nach.

Wir befinden uns zeitlich im Jesajabuch im zweiten Abschnitt also im Jahr 540 vor Christus; in Babylon, dem damaligen New York der Welt.

Das Buch Jesaja ist aus drei Einzelteilen: Im ersten Hauptteil (Kap. 1-39) wird vom eigentlichen Propheten Jesaja gesprochen, der um 740-700 vor Christus in Israel lebte und den getrennten Reichen Israel / Juda, den Untergang durch die Assyrer vorhersagt.

Im zweiten Hauptteil des Buches Jesaja (Kap. 40-55: Deutero-Jesaja, der zweite Jesaja genannt) wird von der Zeit der Gefangenschaft des Volkes Juda in Babylon um 540 vor Christus berichtet. Also auch aus unserem Text. Der dritten Hauptteil (Kap. 56-66: Trito-Jesaja, der dritte Jesaja) beschreibt, die für den Schreiber des heutigen Predigttextes noch unbekannte Zukunft. Unser Text ist Lied, ein Aufruhr des Gottesknechtes, ein Aufruhr die Vergangen nicht automatisch als Zukunft zu sehen. Bildhaft: „Gott weckt das Ohr.“ Gott weckt das Ohr.

Was heißt das anderes, als die alltäglichen Floskeln der Vergangenheit in ein neues Hören auf die Zukunft auszurichten. Das Ohr wecken! Nicht mehr glauben, alles sei schon gesagt, bekannt, erlebt. Denn Gott spricht zu den Müden durch seinen Diener. Gott macht Hoffung – immer noch – und das nach 45-55 Jahren der Verbannung in Babylon. Eine lange Zeit!? Die DDR gab es 40 Jahre. Die Konfirmation ist 50 bzw. 65 Jahre her. Eigentlich die Vergangenheit, die Zeitspanne eines heutigen Arbeitslebens von Jugend bis Rentenalter – dies spiegelt sich bei dem Jesajatext wider, mit ungeahnter Hoffnung.

Das Volk Israel hat kein Land, keinen Staat mehr und die Führungsschicht ist 587 v. Chr. durch Nebukadnezar in Gefangenschaft geführt worden, die meisten tot. Der Staat, die Religion Judas hat aufgehört zu existieren, wie man dies bisher gelebt hatte. Irreversibel – vergangen.

Weckt das Ohr auf; wacht auf für die Zukunft, die verändert werden kann. Weckt das Ohr, welches schon alles weiß, wie es weitergeht, wie bisher! NEIN – Zukunft ist anders machbar, denkbar, erlebbar. Das ist die Botschaft in alles Leben hinein, heute und immer. Gegenwart wird zur Zukunft, wenn wir die Vergangenheit nicht als Dogma, als UNVERÄNDERLICHES ansehen. Denn Gott selbst greift ein und lenkt die Zukunft in eine andere Richtung der Vergangenheit. Menschen, denen die Ohren geweckt werden und die nicht die Ohren vor der Zukunft verschließen, sind die Zukunft selbst, weil eben nicht alles schon gesagt, getan, erlebt wurde. Vergangenheit – ok. Unumkehrbar. Aber die Zukunft ist reversibel, veränderbar. Veränderbar - selbst wenn man mit einer Last der Vergangenheit geschlagen, gelitten durch Erlebnisse ist, gepeitscht durch Erfahrungen, geschmäht in Niederlagen, bleibt hier die Botschaft Gottes auf die Zukunft zu vertrauen und nicht nachzulassen, das Leben zu gestalten.

Die Botschaft ist einfach: Gott hält – trotz aller Erfahrungen, trotz der vergangenen Vergangenheit – die Fäden der Zukunft in der Hand.

3.      Christus – die Zukunft Gottes

Diese Hoffnung Gottes auf die neue, unsere neue Zukunft bekennen wir als Christen gerade in Christus. Er hört zu, er weckt das Ohr, er sieht mit dem Herzen, was in uns und mit uns als Zukunft möglich ist.

Kreuz als Hoffnung für uns. Auferstehung als Gewissheit der Zukunft im Leben der Gnade Gottes. Das ist die Botschaft, die über Jesaja hinaus zum Gottessohn in Christus führt und als gute Botschaft Evangelium wird. Gott weckt Ohren, stärkt den Mut und öffnet in Christus für uns die neue Zukunft; sofern wir dieses Angebot annehmen.

4.      Heute

Wie schaut es aus? Sind Ihre, eure Ohren geweckt, heute morgen; 50 oder 65 Jahre nach der Konfirmation. Oder Konfi. 49 Tage vor eurer Konfirmation. Ohren geweckt, offen und klar zum Hören auf die Zukunft, die vor euch liegt? Wo ist die Hoffnung, die Zuversicht, der Mut, mit dem wir in dieses Leben hineintreten? Wo ist die Bereitschaft, Vergangenheit vergangen sein zu lassen und Zukunft in den Blick zu nehmen? Wo ist Zukunft? Nun die Antwort ist einfach: Gott ist Zukunft. Gott trägt. Und das Evangelische ist, das wir wie Erwachsene unsere Zukunft hören, wählen, gestalten dürfen und sollen. Wie Erwachsene, aber mit kindlichem Vertrauen auf diese Gewissheit. Gott ist Zukunft. Gott ist Zukunft. Das ist die Botschaft. Und in diese Zukunft einzutreten, ist unserer tägliche Aufgabe, egal wann, egal in welchem Alter, egal mit welcher Vergangenheit. Gott ist Zukunft. und seine Botschaft an uns ist einfach; Seitd euch der Vergänglichkeit bewusst und sucht die Zukunft! Die Motten des Lebens sind Zeichen Gottes. So lautet die einzige Frage, die deine geweckten Ohren hören und beantworten muss, lautet: Zukunft auch für mich?  Amen

Herr, schenke offen Ohren, mutige Hände und eine wachen Verstand. Amen