2019.02.17 (Pred. 7, 15-18): Gottes Tarifverhandlung

 

Predigttext: Kohelet/Prediger 7, 15-18 (NEUER TEXT in der neuen Perikopenordnung):

15 Dies alles hab ich gesehen in den Tagen meines eitlen Lebens: Da ist ein Gerechter, der geht zugrunde in seiner Gerechtigkeit, und da ist ein Gottloser, der lebt lange in seiner Bosheit.

16 Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest.

17 Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor, damit du nicht stirbst vor deiner Zeit.

18 Es ist gut, wenn du dich an das eine hältst und auch jenes nicht aus der Hand lässt; denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.

 

1.      Einleitung

Steigen wir mal ein in die Tarifverhandlungen.

Ist das, was Ihr oder Sie bekommen an Lohn, Taschengeld, Rente, Gehalt gerecht? Haltet Ihr die Menge an Geld, die euch täglich, wöchentlich, monatlich oder überhaupt zur Verfügung steht für ausreichend, für genug, für gerecht?

Also Konfis konkret – wie ist das? Wer meint, er bekommt gerecht Taschengeld? (Bitte anzeigen) Wer meint, er oder sie bekommt genug Taschengeld? Wer meint, es müsste deutlich mehr sein?

O.k. Soll ich auch die Anderen fragen? Ist das, was so reinkommt als Lohn, Rente zu niedrig, genug, ausreichend, zu viel – ist er gerecht?

Und mit wie viel Lohn-, Taschengeld- oder Rentenerhöhung würdet Ihr in die nächste Tarifrunde einsteigen? 1% 2,5 oder 6 % mehr.
Prozent-Rechnen scheint ja aus der Mode gekommen – selbst bei den Politkern, die dann plötzlich weit mehr % Steigerung anbieten, als sie noch Stimmen bei der Wahl bekommen, Da scheint das Motto zu herrschen, Hauptsache es wird als gerecht verkauft? Also: Wie viel sollte es mehr sein? Hinweise: Die Rente stieg in den letzten 5 Jahren um 2,6% (West), 3,6% (Ost). Die Steigerung des Nominallohns (=IST-Steigerung,) betrug ca. 2,6% (Reallohn: Nominallohn zu Inflation; also Kaufkraftabhängig: 1,6%). Soweit die kleine Tarifrunde heute.

Bevor wir nun aber in die Debatte um gerechten Lohn und Gerechtigkeit einsteigen, will ich eine kleinen Umweg machen: Denn die Frage nach Gerechtigkeit ist NIE, ich wiederhole NIE, eine Frage nach GLEICH, also alle dasselbe. Also es geht nicht darum – sagen wir alle kriegen 1.000 Euro Rente, egal wie lange jemand gearbeitet hat; also das heißt wie lange der Staat einem Geld wie viel vom Lohn abgenommen hat, damit er mir letztlich Geld als Rente auszahlt. Also alle kriegen gleich. Das ist doch gerecht:  Wer mehr als 1.000 Euro kriegt, bekommt weniger, wer weniger hatte, da wird es aufgestockt. Und beim Arbeiten: 2.500 Euro pro Monat Netto für alle – egal welche Arbeit, egal wie viel Stunden oder welche  Leistung oder Ausbildung. Das wäre doch gerecht oder?

Achtung: Der Umweg zur Gerechtigkeit geht über den Begriff der Toleranz. Wie tolerant sind wir? Wie viel gleich lassen wir ein einer Bandbreite an „Gerecht“ zu? Also ist es „außerordentlich gerecht“, „sehr gerecht“, „ausreichend gerecht“, „gerade so gerecht“ oder schon „mangelhaft gerecht“ oder schlicht „ungenügend gerecht“. Toleranz, also unser persönlicher Duldungsfaktor ist das Thermometer für Gerechtigkeit, ob wir kochen oder wohlfühlen oder erfrieren.

Und all jene die das Wort „gerecht“ oder Gerechtigkeit im Munde führen ohne Toleranzangaben, ganz ehrlich, denen dürfen wir nicht zuhören. Weil die sind einfach schlechte Demagogen, also  Verführer zum Unrecht mit eigenen Hintergedanken. So auch die Debatte um eine Grundsicherungsrente, die angeblich gerecht sein soll?

Wie aber nun ist das mit Gerechtigkeit und Toleranz? Welche Einheit hat Gerechtigkeit? Prozentsteigerung, Kalorienverteilung pro Kopf? Durchschnittsgewicht? Stromverbrauch? Wie gerecht ist es, dass manche mehr andere weniger haben, verbrauchen, bekommen, verschwenden und anderer darben? Was ist das Maß von Gerecht? Schauen wir mal in den für heute komplett neuen Predigttext in der neuen Perikopenordnung.

2.      Bibeltext

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im so genannten Buch Kohelet, besser bekannt als Prediger Salomo. Es ist eine Spruchsammlung von Alltagswahrheiten. Warum nun an sechs Sonntagen statt bisher einem Texte aus dem Predigerbuch aufgenommen wurden, weiß ich auch nicht so genau. Ob diese Auswahl dieser Texte aus dem Alten Testament, also aus der zeit vor dem neuen Bund so o.k. sind, wird diskutiert. Ich selbst finde den Text aber klasse. Dazu gleich mehr. Nun der Text.

Lesen Prediger 7, 15-18

Zunächst: Das Buch Kohelet - Luther es nannte „Predigerbuch“ Salomons - hat nix mit dem König Salomo zu tun. Als die Verse aufgeschrieben wurden, ist Salomo schon über 700 Jahre tot.

Der Predigttext könnte eigentlich auch bei Aristoteles stehen, einem der großen Philosophen der griechischen Antike. Denn Aristoteles hat ein Buch über Gerecht-/Richtig-sein und Gerechtigkeit (kurz: eine Ethik) geschrieben, also ein Buch, wie wir gerecht, richtig handeln und leben sollen: Die Nikomachische Ethik. Verkürzt geht es bei Aristoteles – wie beim Predigttext - darum in der Mitte zwischen Überfluss und Mangel zu bleiben; also nicht extrem zu sein und das Extreme zu meiden. Denn – so Aristoteles – nur der Ausgleich zwischen ungezügeltem Wünschen, Wollen einerseits und dem Nichts-Tun, dem Nicht-Handeln. Ethische Tugenden sind demnach, wenn man immer die Mitte, das Mittelmaß anzustreben. Sei „tapfer“ bedeutet: Sei weder ein Draufgänger noch ein Feiglinge oder Feigline (keine Ahnung wie Feigling auf weiblich heißt). Sei „mitfühlend“ bedeutet: Lass dich nicht ausnutzen noch sei herzlos.  Oder: „besonnen“ bedeutet: Z.B. Völle nicht, faste nicht zuviel; Trinke besonnen. Das Extreme ist nicht gut, bleibt besonnen. Die Antworten von Aristoteles zum richtigen Handeln und Leben klingen fast wie die aus dem Bibeltext. Im Predigerbuch ist es aber etwas negativer, kritischer setzt. So ist das Predigerbuch auch das Buch der Bedenkenträger-Christen. Das meint: Es bleibt immer eine negative Gesamtstimmung. Ich mache mal einige Bonmots deutlich: Alles hat seine Zeit. (3, 1ff).Oder: 7, 1: „Ein guter Ruf ist besser als gute Salbe und der Tag des Todes besser als der Tag der Geburt.“ Oder andere Lebenswesentliche Weisheiten wie in 10:8: „Wer eine Grube gräbt, kann hineinfallen.“ Oder 7,8: „Der Ausgang einer Sache ist besser als ihr Anfang.“ „Ein Geduldiger ist besser als ein Hochmütiger.“ Und von Chauvis gerne genommen 7, 26: „Bitterer als der Tod ist eine Frau, die ein Fangnetz ist und  ihr Herz ein Stricke und ihre Hände Fesseln .“

Also: Keine Angst vor einer klaren Ansage, selbst wenn es in der Bibel steht. Dies sind nichts anderes als nassforsche Sprüche und banale Alttagsweisheiten, würdig der Apothekenumschau, die sich auch im Predigerbuch fleißig bedient: Das Predigerbuch ist schlicht durch negative Lebenserfahrung gequirlte Klugheit, die uns vorgauckelt, dass wir durch Sarkasmus oder durch scheinbar kluge Sätze ein gottgefälliges Leben leben könn(t)en. Blödsinn.

Und deshalb liebe ich diesen Text für den heutigen Sonntag. Denn wir verkündigen nicht dieses Gesetz der Tristesse des Predigerbuchs oder irgendwelche banalen 13 Regeln der erhofften Glückseligkeit oder ein Yin und Yang des Besonnenen.

3.      Christus – Tarifverhandlungen mit Gott

Als Christen sind wir weit von den weisheitlichen Sprüchen des Predigttextes entfernt. Wir benötigen keine philosophische Ethik a la Aristoteles oder Alltagsplattheiten des Predigerbuchs. Sie haben aber eine klare Aufgabe nach Luther. Denn Sie weisen uns darauf hin, dass unsere Gerechtigkeit nicht in der gelebten Mittelmäßigkeit der Mäßigung gründet. Wir benötigen keine Weisheitsspruch aus dem 3 Jahrhundert, die einem miesepetrigen Möchtegernphilosoph entsprungen ist.

Vor Christus ist eben vor Christus.  

Denn mit der Evangeliumsbotschaft in Christus haben sich – salopp gesprochen die Tarifverhandlung über unsere Gerechtigkeit, den gerechten Lohn oder ob und wie wir richtig handeln komplett verschoben. Der Tariflohn Gottes kennt nur eine Währung: Toleranz, also die Duldungsbereitschaft Gottes in Christus - uns und unserem Handeln gegenüber. Verheißung der Toleranz Gottes ist der Kern der neuen Bundes.Es ist ein Einheitstariflohn für alle. Ob Pfarrer oder Päpstin oder spendierfreudiger Reicher oder Kirchenloser (Verlierer, Abtrüniger). Gottes GENERALTarif, der gerade die Leistung, gemessen in Zeit, Stück oder auch Schauspielerei eben nicht ansieht, sondern nur eines:

Kommst du in den Weinberg zum Arbeiten, wenn du gerufen, angesprochen wirst oder nicht. Mehr ist nicht nötig. Das Kommen, das Herzutreten, das sich dazu gesellen – das ist die einzige banal Leistung, die den Tariflohn Gottes an uns auslöst. Gottes Toleranz überschüttet uns mit einer vollumfänglichen Gnade der Gerechtigkeit, die eben nicht nach den menschlichen Dingen bemessen wird, die nicht ein Mittelmaß darstellt, sondern das Maß aller Dinge wird: nämlich die Annahme der Gottes Toleranz in Christus. ist.

Was ist nun Gottes Toleranz, sein Tarif, seiner Preisliste?

Ganz einfach: Es ist ein Geben ohne Nehmen. Ein Geschenk ohne Forderung nach Cashback. Kurz: Diese Hand wäscht; und ein andere Hand muss eben nicht bedient werden.

4.      Heute

Und für uns ist es deshalb so einfach und auch gut, dass wir diese gesetzlichen, diese neunmalklugen Texte des Alten Testamentes hören; aber eben nicht als Handlungsanweisung, sondern in der Erinnerung wie der Tariflohn Gottes aussieht. Denn der Schreiber des Predigerbuches mag ja im kleinen nette Sachen sagen, aber er liegt im Großen, nämlich bei Gottes Gnade in Christus komplett daneben.  

Gerechtigkeit ist eben nicht das, was ich gegen mich fordere, sondern das, was ich selbst bereit bin von mir selbst an andere abzugeben.

Gerecht ist wer letztlich seine Arbeit für andere einsetzt, ohne Gegenforderung, ohne das kleinliche Aufrechnen von Stunden, Minuten oder gebackenen Kuchen. Gerechtigkeit ist toleranzlose Hingabe (gegen Aristoteles),. Besonnen ist, wer Menschen „besonnt“, also befördert in ihrem Menschsein statt zu fordern. Das ist sicher notwendiges Menschenwerk, aber eben KEINE Gerechtigkeit bei Gott. Wie im Beispiel des Evangeliums für heute, den Arbeiterinnen im Weinberg. Wenn wir auf die Gnade bei anderen sehen und MEINEN, wir wären besser, schneller, schlauer, hätten mehr getan, dann haben wir ein Problem. Denn schneller, höher, weiter ist kein Toleranzkriterium Gottes. Diese banalen Menschenzielsetzungen, die letztlich nur eines deutlich machen: Rennen nach der eigenen Gerechtigkeit, statt nach der Toleranz Gottes.

Wenn Gott sich mittelmäßig verhalten hätte, wären wir schlicht in negativer, sarkastischer Lebensangst. Nicht befreit vom Kleinkarierten und Mittelmäßigen. Wir wären verloren und dem Tod ausgeliefert.

So aber, ohne dass Gott sich in Christus vom Extremen zurück gehalten hat, sind wir befreit von dem Gefasel um Gerechtigkeit in der Welt.

Gottes Toleranz und Gottes Tariflohn in Christus gilt es die nötige Würde und das nötige gewicht in der Welt zu verleihen; weil wir gelassen bleiben dürfen. Aber solange die Welt sich mit dem Mittelmaß, dem Kleinkarierten und dem Selbst-Wichtig-Nehmen so wie heute und hier beschäftigt, so lange wird es unsere Aufgabe sein, die Toleranz Gottes, also das in Christus zu predigt und zu leben. Viel zu tun. Los geht’s.

 

Amen.

Herr, schenke flinke Hände, schnelle Füße und ein weites herz deine Toleranz zu verkünden und zu leben. Amen.