08.07.2018 (Mk 10, 13-16): Mythos, am Beispiel Kinder.

Markus 10, 13-16

 

Die Segnung der Kinder

13 Und sie brachten Kinder zu ihm, damit er sie anrühre. Die Jünger aber fuhren sie an.

14 Als es aber Jesus sah, wurde er unwillig und sprach zu ihnen: Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes.

15 Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.

16 Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie.

 

 

Jesus segnet die Kinder (Neue Genfer Übersetzung)

13 Es wurden auch Kinder zu Jesus gebracht; er sollte sie segnen. Aber die Jünger wiesen sie barsch ab.

14 Als Jesus das sah, war er ungehalten. »Lasst die Kinder zu mir kommen!«, sagte er zu seinen Jüngern. »Hindert sie nicht daran! Denn gerade für solche wie sie ist das Reich Gottes.

15 Ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht wie ein Kind annimmt, wird nicht hineinkommen.«

16 Und er nahm die Kinder in die Arme, legte ihnen die Hände auf und segnete sie.

 

 

1.      Einleitung

Betrachten wir unser eigenes Leben, die Geschichten und Erlebnisse, die wir erfahren, durchgemacht haben, so fällt bei den Erzählungen - hoffentlich – uns selbst auf, dass wir teils Dinge ausschmücken oder dramatischer darstellen als diese in der Wirklichkeit vielleicht geschehen sind.

Wenn wir von früher erzählen, sei es von Erfolgen, Misserfolgen oder besonderen Erlebnissen ist es fast normal, dass diese Geschehnisse im Rückblick leicht einer gewissen Dramaturgie geschuldet oder durch häufige Wiederholungen weitere Ausschmückungen und Besonderheiten erhalten. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, weil die Verarbeitung von besonderen Erlebnissen in unserem Leben durch die damit verbundenen Gefühle und auch durch das gegenseitige Berichten mit einer besonderen Form der Erlebniserzählung verbunden wird.

Je nach dem, wo wir uns am 9. November 1989 befunden haben, je nachdem wo wir beim Sommermärchen, dem 7:1 gegen Brasilien, beim letzten Pokalfinale, oder gerade auch bei persönlichen Urlauben oder Erlebnissen befunden haben, werden die Stimmungsbilder und -erlebnisse mit Interpretationsbildern der jeweiligen nachfolgenden Zeit und der Häufigkeit der Erzählungen zu einer scheinbar unglaublichen Erzählung verknüpft. Wenn Menschen von Krieg erzählen – so das Sprichwort, ging es weniger um die Gräueltaten oder das Gemetzel, die Verwundungen und Verluste, sondern um besondere Erlebnisse der Kameradschaft, des Erfolges oder des wundersamen Überlebens.

Wenn wir heute von früher erzählen, beginnt schon sehr früh in der Nachbetrachtung in einem durchaus besonderen und teils wundersamen oder dramatischen Licht zu erzählen. Also wenn wir heute von früher erzählen, schwingt immer auch – vielleicht bei Männern mehr als bei Frauen (aber auch hier werden wir gleichberechtiger!) – einer Spur des als Besonders und des als Außergewöhnlich empfundenen Erlebens wieder. Für diese Art der „Interpretation“ von Ereignissen gibt es einen Begriff: Mythos. Und es gehört zum Kern des Menschseins, dass wir Vergangenheit entweder in der Jetztbetrachtung eine besondere Bedeutung beilegen, und diese in einen größeren, wichtigeren Zusammenhang gestellt wissen wollen als es in der Realität war.

Anders als bei Sagen, Legenden, Fabeln oder Märchen gilt ein Mythos (sofern dieser Begriff nicht in seiner umgekehrten Bedeutung als ideologische Falle oder Lügengeschichte verwendet wird) als eine Erzählung, die Identität, eine übergreifende Erklärungen, einen Lebenssinn und eine religiöse Orientierung als eine weitgehend kohärente, zusammen hangende Art der Weltbedeutung und Welterfahrung vermittelt.

Auch in dem Umgang mit religiösen Erfahrungen und Erlebnissen gibt es diese Form der Mythenbildung. Wichtig ist dabei, dass es bei – sagen wir mal – ausgeschmückten Erzählungen immer auch ein Kern der Wahrheit und vor allem Wahrhaftigkeit der Erzählenden enthalten ist.

So muss und darf man scheinbar wundersame Erzählungen wie vom durchs Meer wandernde Volk Israel, eines Kampfes David gegen Goliath oder auch von Heilungserleben von Menschen um Jesus nicht zu schnell in das Reich der Sagen oder Märchen oder gar Lügen abtun; was dem Mythos schlicht nicht angemessen wäre.

2.      Bibeltext

Ich möchte anhand des heutigen Predigttextes diese Art der Mythologisierung deutlich machen. Deshalb werde ich Sie – für manche vielleicht schwer nachvollziehbar – in eine Art Entzauberung eines Texte hinein nehmen, was – und das ist auch die Absicht – Sie möglicherweise an eine Grenze des bisherigen Interpretationen zum Text.

Ich lese aus Mk. 10, 13-16.

Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret Ihnen nicht, denn ihrer ist das Himmelreich.

Ist das nicht eine schöne Geschichte. Schon mein Nachsatz (ihrer ist das Himmelreich) ist nicht korrekt. Korrekt ist, denn es heißt Reich Gottes.

Diese Erzählung der „Kindersegnung“, die einen hohen Wirklichkeits- und Wahrheitsgehalt beinhaltet, wird übermäßig mythologisiert und einseitig interpretiert; fast wie ein Dogma. Alle Kinder erhalten das Himmelreich.

Ist dem so? Ungeachtet, wie alt ein Kind ist (also von 2-10 oder bis 25 in Deutschland), scheinen einige Kinder doch schon auch sehr wohl das Böse zu repräsentieren. Massenvergewaltigung durch 13 Jährige an einer 12 Jährigen. Kinder, die durch Waffengebrauch Massenmörder werden; auch in Deutschland wie Erfurt und Winnenden zeigen. Kindersoldaten (ab 10 Jahre), die brutal Völkermord begehen. Kinder kommen in den Himmel? Nirgends steht dies im heutigen Predigttext.

Zunächst (1.): Diese Geschichte macht deutlich wie einfach es ist, unser Gehirn zu beeinflussen. Dass Kinder ziemliche Nervensägen, Egoisten, Sklaventreiber der Eltern sein können, verträgt sich nicht mit dem Bild von den lieben, netten und auch so süßen Rackern! Und – ganz ehrlich – manchmal bin ich der Ansicht, dass die Erfindung der Einwegwindel – so hilfreich und nützlich es sein kann – häufig auch dazu führt, dass durch die mit Superabsorber und spezifischen Polymersalzen angereicherten Zellstoffen (Vielfaches an Feuchtigkeit aufnehmend), die Kinder mit den eigenen Dingen, was sie so von sich geben, nicht mehr direkt konfrontiert werden, sondern gewärmt und wohlig vor sich hinmüffeln dürfen.

Nichts an den Kindern ist insgesamt und ohne Kritik hübsch.

Es geht auch nicht im Predigttext um die Mythologisierung von Kindern oder von Jesus im Umgang mit den Kindern.

Denn (2.): Die Botschaft des Predigttextes ist viel einfacher.

Denn wieder einmal geht es eigentlich nicht um das bisher gewohnte, also die herzelieben Kinderlein bei Jesus. Die Kinder behandelt Jesus überhaupt nicht anders als den Gelähmten, der rumschreit oder durchs Dach abgelassen wird oder die Hure am Brunnen oder die Steuereintreiber oder wenn auch immer. So haben wir wieder einen Mythos in der Bibel, der dadurch entsteht, dass es Überschriften gibt, wie der ungerechte Haushalter oder die Segnung der Kinder.

Es geht um die Jünger in dieser Erzählung und um das Verhalten der Jünger. Was tun die Jünger Verkehrtes? Die Jünger glauben zu wissen, was Jesus will. Sie wollen abgrenzen und nicht eingrenzen. Sie spielen Bodyguard. Sie glauben schützen und beschützen zu müssen statt zu Verstehen, was es bedeutet: Das Reich ist nahe herbeigekommen.

3.      Christus - Gott mischt sich wieder ein!

Was bedeutet dies? Das Reich, die Königsherrschaft Gottes [Basileia tou theou] ist einer der wichtigsten Begriffe der Interpretation durch den Evangelisten Markus. Die Forschung ist sicher, dass dieser Terminus „Königsherrschaft Gottes“, gerade wesentlicher Verkündigungsbestandteil von Jesus als Christus war, ist und sein soll (lehret Sie!).

Reich Gottes, Reich der Himmel oder auch die Königsherrschaft Gottes ist ein Begriff, der – so wie wir Theologen das generieren – eine einfache Aussage enthält: Gott holt sich seine Welt, seine Schöpfung zurück!

Gott schafft nicht ein Reich irgendwo als Ersatz für diese Welt, also KEIN Himmelreich im Orbit, sondern Gott greift direkt hier bei uns, in unsere Welt ein. Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen, das ist die Botschaft. Es meint nichts anderes als dieses: Gott hat nach der Sintflut sich aus der Welt wesentlich rausgehalten. Nur punktuell sind seine Eingriff wie Der Exodus oder die 10 Gebote deutlich machen. Gott lässt sein Volk auch gegen andere Völker verlieren. Und nicht Gott hat es gewollt, sondern die Menschen müssen die Folgen ihres Handelns aushalten und sind diesen ausgeliefert.

Die Botschaft vom nahen Gottesreich bedeutet nun, dass Gott systematisch in diese Welt eingreifen will und uns in Jesus Christus Gestaltungshilfen und – willen für die Zukunft in dieser Welt geben.

4.      Heute

Wie Kinder sind wir zum Reich Gottes gerufen, also zur Umkehr zu Gott, der in Christus in dieser Welt seine Herrschaft aufbaut. Aber nicht nur wie die Kinder. Jesus ruft viele andere Menschen und Gruppen zur Umkehr zu Gott auch wie die Evangelien und die Apostel zu berichten wissen: die körperlich Versehrten (Gelähmte, Blinde), die seelisch Verkrüppelten („Bessessene), die ausgestoßenen Randgruppen (wie Samaritaner, Huren, Zöllner, Heiden), die die Asyl bei Gott suchen. Ebenso aber auch – weil wir das ja eigentlich nicht sind:  die Reichen, die Pfarrer, die Gläubigen, die Manager, die Finanzhaie und alle sonst.

Wir können uns die Welt in Christus nicht mehr schön reden und es ist die Aufgabe der Verantwortlichen, diese Mythen und Schönfärberei zu benennen. Denn die, die Verantwortung tragen und Schönrederei betreiben, denen wird ja empfohlen: Schwimm mal mit einem Mühlstein nach Flörsheim. Das Reich Gottes ist reich an Asyl, an Schutz und Halt für uns Menschen, die wir Zuflucht bei Gott suchen, damit wir leben – obgleich wir sterben werden.

Und ist es nicht die Aufgabe jede Form der Mythen- und - Blümchentheologie als Irrsinn der Welt gegen seine Wiederkunft zu propagieren.

hat schon bei Jesus verloren.

Es geht nicht – in unserem heutigen Text – um die Kinder primär, sondern um die Jünger, die das Reich Gottes, also sein Aufruf zur Umkehr in dieser Welt abschotten wollen. Aber die Gottesherrschaft in dieser Welt ist es, die der Welt uns als Narren erscheinen lässt. Umkehr ist die Botschaft des heutigen Predigttextes. Dass dies in der Geschichte mal mit den Kindern umrahmt ist, ist halte so, aber auch nicht besonders! Es geht nicht um die Vergötterung der Kinder als Besonders, sondern allein in der Bereitschaft wie ein Kind von Gott die Gnade anzunehmen. Oder wie ein Lahmer, die Hoffnung auf Mobilität. Oder wie eine Blinde, nach Licht. Eine Hure nach Anerkennung oder ein Asylant nach Menschsein.

Die Jünger sind so überheblich wie manche Spieler auf dem Platz, die sich selbst zu Entscheidern, Wissenden zu Gott aufspielen.

Die Buße, der Neuanfang ist es, die das Reich Gottes eröffnet; und eben nicht – das ist der Kern des heutigen Predigttextes – wie die Jünger zu glauben, Sie hielten die Zukunft in ihren Händen und dürften diese nicht mit anderen teilen.  Es geht um die Jünger und ihr verquertes Denken:

Lasset die Kindlein zu mir kommen, weil ihr in eurem denken falsch liegt.

Nehmt euch die Armen, die Asylanten Gottes zu Herzen. Denn die Zukunft ist nicht das, was die Jünger, also die Apostel machen, sondern die, sich dem Reich Gottes in dieser Welt öffnen. Amen:

 

Herr Schenke Erkenntnis über die eigene Gewohnheit, die in deinem Reich keinen Pfifferling wert hat. Schenke Bußbereitschaft. Amen.