21.05.2018 (Gen 12, 1-4): Befehlsketten und der Aufbruch nach Morgen

 

Genesis 12, 1-4

Abrams Berufung und Zug nach Kanaan

1 Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.

2 Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.

3 Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.

4 Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm. Abram aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran zog.

 

1.      Einleitung

Anweisungen, Befehle oder Anordnungen sind – bleiben wir ehrlich – in unserer Gesellschaft häufig nicht das Papier oder die Whatsapp wert, auf dem Sie beschrieben werden.

Versuche Sie mal Ihren Kindern einen Befehl oder eine Aufforderung zum Esseneinkaufen, dem Staubwischen oder auch nur zum Auffüllen der Getränkekiste zu geben.

Ebenso ist das Thema zäh, wenn Sie schon etwas ältere Eltern haben. Das erlebe ich zumindest mit meiner Mutter. So erweisen sich die Eltern in einem höchsten Maße widerspenstig, wenn man – natürlich nur im Guten – auf wesentliche Handlungsthemen hinweist oder einen Befehl ausspricht. „Mach weniger“ verhalt dabei ebenso ergebnislos im Orbit wie auch die Aufforderung an die Ex-Konfis die Küche ordentlich zu hinterlassen.

Dazu muss ich natürlich auch sagen, dass meine Mutter gänzlich uneinsichtig ist, wenn z.B. ich nicht alle ihre Anweisungen sofort erfüllen kann. Das ist auch ungeachtet der höchst diffiziellen Form der Anweisung an mich. Sofern ich bei meiner Mutter auftauche – liegen die Anweisungen schon als Notizzettel mit den zu erledigten Aufgaben als Begrüßung auf dem Tisch. Dass die Menge der Arbeiten eigentlich einen vollbeschäftigten Hausmeister, Internetexperten, Verwaltungsfachmann oder einen Rundumreparaturservice benötigen, sei nur so mal festgestellt. Die Unverständlichkeit meiner Mutter, dass ich nicht alles sofort nach Anforderung oder Befehl ausführen kann, ist schlicht irritierend.

Die Befehlskette, also jene Hierarchie im Leben, die sicherstellt, dass gewisse Arbeiten, Aufgaben und Verpflichtungen automatisch quasi mit wenigen Blicken oder Worten – zumindest mit leisen Flüchen – erledigt werden, hat sich in den letzten 30 Jahren generell gewandelt.

Wenn wir nun keine Verbindlichkeiten mehr innerhalb der Personen wie Kinder, Mitarbeitern, Vorgesetzten, Eltern, Politikern oder auch Pfarrern aktuell erfahren, die wir erwarten, scheint doch etwas im Argen zu sein.

Stellen Sie sich vor, dass ein Pfarrer auf die Frage, sie sind für meine Seele zuständig, sagt: Nein das bin ich nicht. Unglaublich, oder?

Wie sonst sollte denn diese Welt funktionieren können, wenn die, die wir anweisen und etwas erwarten, unsere Erwartungen schlicht ignorieren, übergehen oder auslaufen lassen.

Während in vergangenen Zeiten die Moral, die gesellschaftlichen Regeln und Riten zumindest einen Mindeststandard an geordneter Befehlskette erwarten ließ und somit einem funktionierendes Zusammenleben ermöglichen, so scheint das heute gänzlich verloren gegangen.

Während in meiner Kindheit ich im Juni bei Hitze ordnungsgemäß mit dem Kinderrechen das Heu wenden durfte (wer nicht mehr weiß, was Rechen, Heu oder Krummet ist, an dem ist diese Art der Befehlskette wie wahrscheinlich auch die deutsche Kehrwoche vorbei gegangen), VOR ALLEM im Angesicht des nahen Schwimmbades, weiß um die Wut und das Unverständnis der Befehls- und Ordnungskette.

Wenn heute aber diese Ordnung darin besteht, dass Kinder ohne sichtbare Leistungsbeteiligung Kinder die eigenen Eltern instrumentalisieren (quasi Sklavendienst zum füttern, fahren und versorgen), bleibt die Frage nach dem ordnungsgemäßen Leben einem eh im Halse stecken.

2.      Bibeltext

Auch der heutige Bibeltext liest sich wie eine Anweisung in der schärfsten Form.

1. Mose 12, 1-4

Abram um den es geht, ist der spätere Abraham. Die Namensänderung – wie zum Beispiel beim Papst hat hier auch eine mythologische Bedeutung.

Abram/Avram ist hebräisch (אַבְרָם Avram) mit der Bedeutung „der Vater ist erhaben“ oder „er ist erhaben in Bezug auf seinen Vater“. Der Name ist einen Rückbezug auf Abram Vater, quasi wie Heinrich der IV, der auf den Heinrich den III folgt.

Erst im Kapitel 17 des ersten Buches der Bibel wird der Namenswechsel vollzogen; zu von Abram zu Abraham, was in Gen 17,5 als „Vater der Menge an Völkern“ gedeutet wird.

Das komplette erste Buch der Bibel, also 1. Buch Mose oder auch das Buch Genesis (Schöpfung) ist in der theologischen Forschung seit über 100 Jahren wesentlich unter den Aspekte der Sagen, Mythen und Worterklärungen gedeutet worden. So gibt es Geschichten, die uns Namen erklären. Woher kommt der Name Bethel (Himmelsleitern nach Jakob, Gen. ) oder auch Abraham, der nun als Stammvater Israels und auch der christlichen und muslimischen Religion hoch verehrt wird.

Ungeachtet, ob diesen Mythen, Sagen oder Ätiologien (also Geschichten, die uns einen Namen oder ein Verhalten oder ein Ereignis erklären wollen) real sind, waren oder sein dürfen, haben diese Geschichtenerzählungen wesentliche Bedeutung in den Gesellschaften erlangt. Ob nun eine Erde in 6 Tagen (also in 144 Stunden oder in 8.640 Minuten oder in 518.400 Sekunden) erschaffen wurde oder in Jahrmillionen evolutionär sich entwickelt hat, ist beides ein Mythos. Diese Mythen versucht – mehr oder weniger für eine Generation - verstehbar zu machen, was wie warum und wo so ist, war oder sein soll.

Ob man Kinder wie Oskar oder Emilia Sophie bildhaft eine >Schöpfungsgeschichte in 7 Akten< erzählt oder eine Story, dass die Entstehung der Erde ein Knall sei, der dann wie 1000 Oskars 1000 Jahre mal 1000 Emilias in Jahren gebraucht hat, muss nun jeder selbst entscheiden. Wir verstehen, was wir verstehen wollen. Wir handeln, was uns als Handeln eingelernt und vermittelt wird. Wir leben in unseren Bezügen aus Familie, Gesellschaft oder Riten und Anordnungen. Und je nachdem wie diese Erzähl-, Befehls- oder Erziehungsketten reißen, desto schwieriger wird der jeweilige Neuanfang in geordnete und – punktuell verstehbare - Begründungsmuster.

Abram wird in unvergleichlicher Weise eine Zukunft vorhergesagt, wenn er sich diesem Befehl, der Anordnung oder dem Drang nach Zukunft unterwirft. Gott drängt den Menschen Abram zum Aufbruch, sicher in ein neues Land, aber viel mehr in eine Zukunft, die wieder die Gegenwart und Vergangenheit von den eigenen Nachkommen ist. Abram folgt dem Befehl, der Anweisung und wählt damit die Zukunft, den Aufbruch und die Hoffnung, dass das Morgen anders ist und wird als heute.  

3.      Christus als verbindendes Glied über Traditionen und Befehlsketten hinaus

Für Christen ist der Morgen, die Zukunft immer anders als das Gestern oder das Heute. Es ist ein Mythos zu glauben, durch Christus sei am Kreuz und in der Auferstehung gerade KEIN Traditionsabbruch erfolgt. Jesus hat die Befehlskette durchbrochen; für die Zukunft von uns allen.

Und dieser Traditionsabbruch in Christus mit dem Establishment der Tradition ist auch das wesentlichste Element des Evangeliums.

In Christus ist Tradition nicht eine zu bewahrende Geschichte oder Vergangenheit, sondern eine zu prüfende Aufgabe, ob die Tradition immer noch den Aufbruch in die Zukunft ermöglicht.

Eine Befehlskette, ein Gesetz, eine Erziehung funktioniert nur, wenn alle Glieder mitmachen, wenn alle Gesetze, Gebote, Anordnungen und Befehle unhinterfragt befolgt werden. In Christus ist dieser Abbruch der Tradition offenbar, weil sie damals nur noch Show war.

Wir predigen aber nicht Gesetz, Erziehung oder Befehlsketten um ihrer selbst willen, sondern im Blick auf das, was das Evangelium aus der Gewohnheit, der Bequemlichkeit oder der Verweigerung der Zukunft macht.

Das gefällt nicht jedem und Jesus hat den wenigsten in der damaligen Zeit gefallen. So ist es auch nicht die Aufgabe der Christ zu gefallen, oder sture Befehle, Gesetze oder Ansichten zu befolgen, sondern zu fragen: Sind wir auf dem Weg in die eigene Zukunft? Sind wir das? Auf dem Weg in Gottes verheißene Zukunft? Oder klammern wir uns an die Befehlsketten, die Traditionen der Vergangenheit, weil wir der Ansicht sind, Christus muss meine Ansicht unterstützen.

Wesentlich ist dabei, dass Christus zu uns selbst spricht. Und in Christus selbst wird aber diese Kette, diese durchbrochene Kette durch Kreuz und Auferstehung in einer unglaublichen Weise neu verbunden. Denn dieser Ausblick auf die Zukunft ist durch das Evangelium immer wieder neu und für jeden Menschen einzelne als Angebot etabliert. Gott spricht zu uns – direkt und nicht mehr durch eine Befehlskette von Päpsten, Pfarrern, Ältesten oder Politikern. Dieser Aufbruch in die Zukunft ohne die schweren Ketten der selbstgesetzten Vergangenheit wird in Christus zu einem tragfähigen Startblock; für jeden Einzelnen. Meine Oma hätte gesagt: Ob Jesus dein Heiland sei, entscheidest du selbst; wie Abram, der dadurch erst zur Person im Angesicht Gottes und der Väter vieler Völker wurde; durch den Traditionsbruch. Er wird Abraham!

4.      Heute

Was entscheiden wir? Sie? Ihr?

Seid Ihr selbst für Euch und auch Eure Seele verantwortlich? Seid ihr befreit von den Befehlketten, den Vorurteilen, den Eigenarten in Kopf, Hand und Land, damit wir fähig sind, die Zukunft zu ergreifen.

Oder eiern wir über den Platz? Lustlos, kraftlos und saftlos und sind sauer, dass uns nicht die Trauben in den offenen Mund fallen?

Der Verlust des Zukunftsdrangs ist über all zu spüren. Verstecken wir uns hinter den Bedenkenträgern, den Showstars, die Tradition beschwören um ihrer selbst willen? Oder nehmen wir den Gestaltungsauftrag an, in dem Land, was reich, sozial und leistungsfähig sein könnte. Nehmen wir das an, statt Jammerlappen einer Tradition oder einer Befehlskette sein zu wollen.

Wie ist das 2018? Bei manchen Jugendlichen und Erwachsenen fehlt der Drive zur Zukunft. Und solange die Versorgung mit Chipstüten, mit Strom und mit TV-Soaps hinreichend abgedeckt scheint, herrscht die Meinung vor: Warum soll ich in die Zukunft wollen, wenn das Nest so bequem ist.

Nun – weil wir träge, überheblich und erfolgsverwöhnt sein wollen.

So entsteht heute eine Aufgabe zum Aufbruch.

Die Aufgabe, die wir haben, ist einfach: Erziehung. Erziehung zur Zukunft.

Zunächst: Erziehen wir uns bitte selbst zur Zukunft. Nicht ich bin das Maß aller Dinge. Ich darf mich eben NICHT wichtig nehmen! Das ICH ist die Gefahr des Untergangs. Denn: Die eigene Wichtigkeit wird nicht durch mich selbst gebaut, sondern durch die Gewissheit auf Zukunft in Christus.

Sodann: Erziehung zum Blick für andere - dass wir wieder merken, dass die Menschen um uns M I T - Menschen sind.

Schließlich: Erziehung zum Miteinander mit anderen in die Zukunft.  Das ist die Hoffnung auf Zukunft im Evangelium; jetzt, heute und morgen.

 

Amen

Herr, schenke uns die Bereitschaft deinem Ruf in die Zukunft zu folgen, damit wir Hoffnung für andere sein können. Mache Mut! Amen.