28.1.2018 (Jer. 9, 22-23): Selbstinszenierung, Ruhm und Rühmen

Jer. 9, 22-23 Das rechte Rühmen

22 So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.

23 Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR.

 

1.      Einleitung

Lasst uns mal über Posen reden. Posen.

Ich meine nicht die fünftgrößte polnische Stadt, wenn ich von Posen rede.

Posen oder hochdeutsch ‚Selbstinszenierung’ ist in der westlichen Welt, also auch hier in Raunheim, eines der aktuell vorherrschenden Themen.

Wie soll es auch anders sein, wenn die Großen dieser Welt, des Landes oder der Stadt oder derjenigen, die sich für die Größten halten, eigentlich nur rumposen anstatt sich auf ihren Job, ihre Aufgabe zu konzentrieren.

Wenn einer Ober-Poser in den USA sich allein darauf konzentriert, sich selbst – gegen alle Wahrheit – ins helle, grelle und falsche Licht zu stellen, dann muss man eigentlich nicht verwundert sein, dass POSEN zum Inbegriff der westlichen Existenz wird. Und bitte, all diese Besserwisser gegen Trump sind doch letztlich auch nur Poser, die sich durch Lächerlich-Machen von Trump in ein „richtiges“ Licht, in das Licht der Wahrhaftigen rücken wollen. Ist nicht gerade das, ein besondere Art des Posen, das GUTMENSCHEN-POSEN? Ich gut, der schlecht?

Ich liebe ja Zahlen. Nehmen wir die Anzahl der Selfies. Man schätzt mindestens 100. Mio. pro Tag. Die Anzahl jener Bilder, die man online zum Besten gibt und selbst sich eher zum Poser - von was auch immer - macht, steigt ins Unermessliche. Rumposen scheint zudem das wichtigste Schulfach überhaupt zu sein. Denn wer nicht rumpost ist ein Looser, ein Verlierer im Kreis der Selbstinszenierung. Posen oder – das wissen die wenigsten der jungen noch – kommt von Posieren. Und das bedeutet: sich selbst in besonderer Körperhaltung, als Modell, mit was auch immer in gekünstelter Attitüde präsentieren.

O.k. bleiben wir ehrlich. Wer will nicht schön, geliebt, begehrt und idealerweise Reichsein ohne im Dschungel Maden verspeisen zu müssen. Übrigens recht nahrhaft. Aber das ist eine andere Posergeschichte. (J).

Dass solche Darstellungen von Selbstinszenierung nicht ungefährlich sind, hat jüngst auch eine Studie gezeigt. Demnach kommen ca. 100 Personen im Straßenverkehr oder sonst um, während sie Selfies machen. Nun - davon sind aber allein 2/3 in Indien.

Und Indien hat 40-mal mehr Verkehrstote als Deutschland bei nur halb so vielen Fahrzeugen auf der Straße als bei uns. (Indien 150.000 Tote - Fahrzeugbestand von 28 Mio. [22 Mio. PKW + 6,5 Mio. Nutzfahrzeug; Deutschland 4.000 Tote bei 57 Mio. FZG; [D- 46. Mio. PKW + 9 Mio. Nutz-FZG]).

Ungeachtet dessen, ist aber die wesentliche Art und Funktion des Selfies, nicht nur sich zu posen, sondern das, was man gerade macht. Und zwar ein Selfie von jedem Alltagsblödsinn, weil man meint, das sei WICHTIG. Beim Zähneputzen, Hausaufgaben machen, Chipstüten öffnen, Rumlaufen oder Shoppen und was auch immer.

Auch wenn die Älteren scheinbar davon eher verschont sind, Vorsicht. Es geht um Eitelkeiten und allein um die Bedienung von Smartphones.

Es geht um das Thema Selbstinszenierung. Wie ich mich selber im Markt der Konkurrenz selber darstelle. Das gab und gibt es auch ohne Handy.

Und selbst im neuen Blickkontakt werden Sie das Posing mitbekommen.

Selbst gestern im Museum mit den Konfis war deutlich, dass viele der Kunstwerke eigentlich Poserbilder sind. Goethe in der Toskana. Oder die Porträts. Selbstinszenierungen.

2.      Bibeltext

Und wie nicht anders zu erwarten, beschäftigt sich auch unser heutiger Bibeltext mit diesem Thema der Selbstinszenierung; und zwar schon vor über 2600 Jahren. Beim Propheten Jeremia hat das noch ein anderes Wort. Dort wird vom Rühmen, vom Selbstrühmen gesprochen.

Jeremia 9, 22-23 vorlesen.

Nun. Eigentlich muss man zu dem Text ja nicht mehr fragen, was will der Schreiber uns sagen. Denn die Antwort ist so einfach wie der Text.

Text nochmals lesen. DAS will der Text uns sagen. 

Um aber die Umstände zu betrachten, in die hinein der Prophet Jeremia hier schreibt oder agiert, sei kurz die Zeitgeschichte des Textes erklärt.

Jeremia lebte und wirkte von ca. 620 vor Christus im Königreich Juda bis zur Niederlage gegen den babylonischen König Nebukadnezar (um 587 v. Chr.). Die Niederlage führt dann zur Deportation, dem Exil der judäischen Oberschicht nach Babylon.

Das Buch des Propheten Jeremia in der Bibel ist dabei aufgrund der 33 Jahre, die berichtet werden, in sich höchst uneinheitlich, vielleicht sogar eine redaktionelle Komposition.

Im ersten Teil des Jeremia-Buches, in dem unser Predigttext steht, kritisiert Jeremia die Gottesdienste zur Zeiten des Königs Jojakim. Jojakim ist der 20. König nach König David. Er wird vom ägyptischen Pharao eingesetzt. Und die aufstrebende Macht der Babylonier macht nun dieser ägyptischen Abhängigkeit in 597 ein Ende. Die Propheten – so auch der Prophet Urija (Jer. 20, von Jojakim hingerichtet wegen Hochverrat) verkünden den Untergang; u.a. weil sich die Gottesdienste nicht mehr um den Gott Jahwes drehen, sondern immer mehr Einflüsse assyrischer und ägyptischer Götter bemächtigen.

Unser Text und Jeremia setzt um 600 v. Chr. an. Und bleiben wir auch ehrlich: Die Propheten von damals nerven wie die von heute. Sie wissen immer alles besser. Sie haben einfache Lösungen, die man nur befolgen müsse und schwupp sei das Glück oder Gott auf deiner Seite.

So auch Jeremia auch so. Und dennoch sollten wir diese schwarz/weiß-Propheten nicht zu leichtfertig niedermachen. Sicher – niemand würde sich heute trauen, Jeremia oder die alttestamentlichen Besserwisser, also die Propheten als Traumtänzer oder gar erfolglos im Blick auf die damalige Zeitgeschichte zu bezeichnen. Dies wäre ein gefährliche Art mit diesen Warnungen und der prophetischen Besserwissereien umzugehen.

Die Frage, die sich stellt, ist, was ist die Intention des Jeremia? Was will er mit seiner Kritik des Rühmens erreichen? Jeremia steht in Konkurrenz zum König. Der König versucht sein Volk zwischen den Fronten der damaligen Weltmächte; im Ost (Babylon/Assyrien) und im West (Ägypten) diplomatisch zu balancieren. Er posiert unter der Konkurrenz der Welt.

Und hier greift Jeremia an: Nicht Reichtum, Kompromiss oder Weisheit oder Diplomatie ist der Angriff, sondern die Art, wie aufrichtig Menschen mit diesen Talenten umgehen. Es geht um den Umgang der Fähigkeiten unter der Bedingung der Konkurrenz – das ist das Thema. Also: Wie gehe ich mit meinen Talenten und Ressourcen um, wenn ich in Konkurrenz zu anderen stehe? Wie verhalte, verkaufe, taktiere ich in diesem Konkurrenzkampf?

3.      Christus - konkurrenzlos mit der Gnade Gottes beschenkt

Die christliche, die evangelische Antwort ist einfach, weil die Antwort nur eines ist: nämlich „konkurrenzlos“.

Alles, was wir vom Evangelium wissen, kennen und verstehen wollen, zeigt nur auf eine Aussage, wenn es um den Konkurrenzkampf in der Welt geht: Gott macht uns konkurrenzlos.

Es gibt keine Konkurrenz um die richtige Handlung, das richtige Erfüllen von Gesetzen, Normen oder Prozessbeschreibungen. Gottes Handlung in Christus gibt nur eines: Niemand ist deine Konkurrenz um die Gnade Gottes. Wir müssen nicht buhlen, nicht überziehen, nicht posen, um die Gnade Gottes. Das ist die Botschaft des Evangeliums: Niemand ist dein Konkurrenz. Und: Du bist für niemanden Konkurrenz. Du. Ich. Wir sind konkurrenzlos geliebt, behütet, getragen, geschützt und zuletzt in Gottes Reich ohne irgendein Posing aufgenommen. Nicht wegen dir, sondern weil in Christus allein, dir diese Gnade geschenkt ist.

Niemand ist irgendjemand Konkurrenz, wenn es um das Glück, die Gnade und den Zuspruch Gottes an uns Menschen geht. Warum also posen?

4.      Heute: Sich „verkaufen“ wollen oder müssen?

Wenn dem so ist, dass der Markt der Gnade Gottes ohne Konkurrenz ist, also Rühmen, Selbstinszenierung, Gefälligkeiten nicht und niemanden helfen, dann stellt sich die Frage, warum wir glauben, uns in dieser Welt „verkaufen“, „anpreisen“, rühmen oder gar wichtig machen zu müssen.

Und ja – auch ich bin davon betroffen. Denn die Welt lebt davon, dass wir uns gegenseitig zur Konkurrenz machen. Das Posen wir zum Erfolgsfaktor, nicht das Leben an sich. Das sich verkaufen müssen zum Lebensinhalt. Die Aufrechterhaltung der Maske und der Oberfläche wird Lebensaufgabe. Ich darf nicht als schwach, arm, verletzt oder was auch immer erscheinen. Sonst – ja was sonst? Sonst gehe ich in der Konkurrenz unter?

Aber was ist, wenn Leben Geschenk bedeutet in die welt der Konkurrenzlosigkeit hinein? Leben in die Welt, die selbst ein Leben über die Welt hinaus schenkt? Warum also muss ich mich so wichtig nehmen?

Nicht, dass man mich falsch versteht. Ich bin nicht die Spaßbremse und gegen Freude am Gelingen oder das die Eintracht siegt. Auch nicht gegen den Geschmack an gutem Essen, Kleidern oder Geselligkeit. Nein, darum geht es nicht. Denn wie sollte ich sonst die vielen Freudigen Dinge des neuen Blickkontaktes gering schätzen, wenn etwas Stil, Niveau hat und insgesamt schlicht Freude bereitet?

Es geht um die Art des „Sich-Verkaufens“. Denn, wenn ich um meine Konkurrenzlosigkeit aus Gottes Gnade mir im Innersten bewusst bin, dann darf ich wohl meine Stärken und Vorlieben darlegen.

Ja, ich darf mich als „konkurrenzlos“ verkaufen in dieser Welt, weil – und das ist das entscheidende – mir diese Konkurrenzlosigkeit als Geschenk in Christus gegeben ist.

Sicher – das kann überheblich erscheinen oder machen. Und dieses selbstbewusste Auftreten kann andere - auch bedauerliche Reporter - neidisch machen, die unbedingt in Konkurrenz zu mir treten wollen. Das wird nicht gelingen, weil es diese Konkurrenz nicht vor Gott gibt; nun in der eigenen Illusionswelt. Konkurrenzlosigkeit bedeutet die Verpflichtung zur Wahrheit, Klarheit und Aufrichtigkeit.

Wir dürfen uns auf dem Markt der Eitelkeiten problemlos „verkaufen“, wenn wir uns selbst als von Gott begnadete Menschen ansehen, die nicht Konkurrenz zu jemand sind. Und:  Niemand ist unser Konkurrent; um unser Glück im Leben oder der Gnade Gottes.

Nichts macht uns zu minderwertigen Menschen gegenüber anderen die mehr sind, mehr haben oder mehr sein wollen. Nichts und niemand kann uns diese konkurrenzlose Gewissheit nehmen, dass Gott uns auf dem Markt der Gnade, auf dem Markt des Lebens und auf dem Markt der Wahrhaftigkeit in unglaublicher Weise KONKURRENZLOS einmalig, unverwechselbar, geliebt, getragen und gehalten gemacht hat

Das ist es – Wir posen nicht um unser Willen, sondern um der Verkündigung dieser Botschaft willen, die da lautet: DU BIST KONKURRENZLOS geliebt, konkurrenzlos beschenkt von Gott in Christus.  

 

Amen

Herr, danke. Amen.