Thema: Wähle!

Lk 10, 38-42

Maria und Marta (Lutherübersetzung von 2017)

38 Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf.

39 Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu.

40 Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihnen (Luther 1984: ihm) zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll!

41 Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. [Original: du bist in Sorge und in Mühe über Vieles]

42 Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.

 

1.       Einleitung

Die Vielfalt in unserer Gesellschaft und in unserem eigenen Leben ist ein sehr hohes Gut. Ausschließlich ist es ein Gut in unseren westlich-demokratischen Gesellschaften, weil es dort viele Dinge vielfältig gibt. Hier bei uns geht es weniger ums Lebensnotwendige wie Essen, Trinken, Gesundheitsversorgung.  Im westlichen Leben geht es nicht um die Existenzfrage, sondern um die Frage nach dem einzelne Menschen; nach dem Individuum, nach unserem ICH und einem wohlgefälligen Leben.

So wird die individuelle Entwicklung unserer Kinder zu einer Art Dogma, einem unverrückbares Gut: Das individuelle Kindeswohl wird heute als eine Richtschnur für das angesehen, wie persönliche Vielfalt sich zu entwickeln und gestalten habe. Und diese Persönlichkeiten spreizen sich derart vielfältig auf in unseren Kulturen, dass auch alles andere in einer geradezu unglaublichen Vielfalt nachgebildet wird.

Ohne Individualismus ist auch jegliche Ausdifferenzierung, also die Vielfalt von Produkten z.B. nicht vorstellbar. Eine "Kernseife" und eine Duftseife. Schauen wir heute in Seifenregal oder Shampoo-Regal, einem wird schwindlig. Aktuell teste ich Gele für die Waschmaschine. Nicht Pulver, nicht Megaperls oder Tabs. Nein - mit wasserlöslicher Folie ummanteltes Gel (drei Gele), direkt in die Trommel. Ich dachte immer ich hätte den Überblick. Weit gefehlt. Nur ein Beispiel. (Weitere: Kaffeezubereitung ...)

Die heutige Gesellschaft, die Wirtschaft, die Bildung, die Politiklandschaft, die Rentenarten, die TV Landschaft, die Musiklandschaft, die Kaffeezubereitungslandschaft und auch die Kirchenlandschaft sind derart vielfältig, dass man von einer funktionalen, also überschaubaren Vielfalt eben nicht mehr reden kann.

Heute gibt es alles so viel, dass es unüberschaubar und unverständlich wird. Hier ist nun das Dilemma des 21. Jahrhunderts. Wenn uns die Muster von Gestern nicht mehr bei der unglaublichen Vielfalt Ordnung, Struktur und gefühlten Halt geben, dann fühlen sich viele Menschen schlicht überfordert. Sie suchen nach Vereinfachungen. Keep it simple - Deutsch wie werde ich simpel ;-) oder Simplify your life verdummschludert dann das ganze Leben auf eine Synapse.

Gerade aus diesem Gefühl der Überforderung durch Unübersichtlichkeit entsteht häufig Angst und Unsicherheit. Und wenn Angst und Unsicherheit gefühlt steigen, dann entsteht das Empfinden, man gehört zur Verliererpartei zu den Looser und nicht mehr zu der Gewinnerpartei.

Heterogenität - also die Zerfaserung unserer Welt in Unübersichtlichkeit macht so Angst, dass sich viele Menschen einfachste Lösungen, meist die von gestern wünschen, herbei sehnen und herbei schreien, um die Angst zu artikulieren. Angst ist immer Treiber dieser Frage, wie gehe ich mit ausufernder Vielfalt des Lebens, mit Anforderungen der Zukunft um.

Was tue ich, wenn die Zukunft auf mich zukommen? Wie reagiere und verhalte ich mich? Was tue ich, wenn ich wählen, entscheiden muss?

2.       Bibeltext

Unser heutiger Bibeltext ist quasi ein Sinnbild für die Frage, was ist die rechte Entscheidung, die richtige Wahl. Lukas 10, 38-42 lesen.

Die Passage von Maria und Marta ist eine sehr bekannte Geschichte und auch genauso häufig falsch ausgelegt worden. Deshalb nähern wir uns mal dieser Passage so unvoreingenommen, wie es geht und schauen wir uns auch an, welche Fallen diese Geschichte in sich hat; und was Lukas uns sagen will.

Zunächst zum Umfeld: Die Geschichte der Schwestern gehört im Lukasevangelium zu einem großen Block (Lk. 9, 51 bis 19,27) der als "Reisebericht" bezeichnet wird. Dieser besondere Textblock ist in den anderen Evangelien nicht enthalten und bildet den Schwerpunkt der lukanischen Theologie: der Frage, was ist wichtig im Leben als Christ?

Das Leben in das hinein Lukas sein Evangelium und die anschließende Apostelgeschichte des Lukas schreibt, ist die Zeit um 90 nach Christus;  also über 55-60 Jahre nach dem Wirken Jesu. Es ist das Leben der dritten Generation von Christen. Die Apostel, die Jesus noch persönlich kannten, sind tot und die Jünger der Apostel uralt, oder schon tot.

Was ist wichtig im Leben der Christen dieser Generation?

Lukas stellt häufig die Frage nach dem Umgang mit Reichtum und Wohl­stand. So kommen die Erzählungen des reichen Kornbauer vor (Lk 12), die Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus (Lk 16) vor.

Wesentlich für Lukas ist das rechte Handeln auch am Nächsten: der barmherzigen Samariter (Lk 10), ZU SUCHEN nach den Verlorenen (Schaf, Groschen, Sohn; Lk 15); und nun Maria, die eines richtig als guten Teil gewählt hat. Dagegen steht Marta eher doof da, weil sie sich in der Küche abgearbeitet hat. In der Geschichte der Auslegung dieses ungleichen Schwesternpaar sind schon manche in die Auslegungsfallen getappt, wie der Theologe Gerd Theißen mal sehr schön aufgezählt hat:

Da ist die Kompromissfalle: Maria und Marta beide gute Menschen; man will Martas Zurücksetzung im Text retten. Geht nicht nach dem Text. Feminismusfalle: Frauen dürfen sich aus ihrer Hausfrauenrolle verabschieden. Nicht der Kern der Sache. Oder die Jesusfalle: Das eine was Not tut, sei Jesus selbst. Steht da nicht. Oder die psychologische Falle: Jeder habe ja einen Anteil von Martha und Maria in sich und es gehe um persönliche Selbstfindung - ganz gefährlich, weil es die Kernbotschaft schlicht auf den Kopf stellt. Oder - ohne Theißen - neuerdings, die psychosomatische Burnoutfalle: Meditative Selbstbesinnung als Lösung der eigenen Überarbeitungs- und Belastungstendenzen.

Unser Text gibt all das nicht her. Marta bleibt die Zurückgesetzte, die Verliererin in der Geschichte und Maria die Siegerin, weil Sie - und das ist das Wesentliche der Geschichte "GEWÄHLT" hat. Maria hat gewählt, Marta nicht. Auf die Wahl, die eigene Entscheidung kommt es Lukas an; nur darauf. Nach Lukas ist wichtig im Leben eines Christen, die richtige Wahl zu treffen. Zunächst: Was macht Marta: Sie wählt nicht, sondern versinkt in Alltagsthemen und Arbeit. Sie ist verhaftet in ihrem bisherigen Leben und sieht überhaupt nicht die Möglichkeit aus dem Vielen, was sie besorgt und bemüht, zu wählen. Gäste - Automatismus: also bewirten. Das ist keine Wahl, keine eigene bewusste Entscheidung, sondern ein Rückzug auf das Gewohnte, das, was alle von einem Erwarten. Oder: am unter die Räuber gefallen vorbeigehen; nur der Samariter wählt aktiv. Neue Scheunen bauen, statt die Endlichkeit im Blick zu haben. Du Narr. Falsche Wahl. Lukas führt uns vor Augen, was wesentlich im Leben als Christ ist; was zum Wesen des Christen gehört. Bereit zu sein, im richtigen Moment das Richtige zu wählen!. Die Wahlentscheidung ist es, um die es geht.

3.       Christus

Und was wählt Maria? Was ist der gute Teil, den Maria gewählt hat und der nicht mehr von ihr genommen wird? Ganz einfach.

Sie schaut Jesus in die Augen. Sie wählt den Blick nach vorne in die Zukunft. Sie ist bereit in die Zukunft als Christin zu blicken und damit sich nicht dem "bequemen, bekannten Vielen des Alltäglichen" zu verkriechen. Nein: Die Zukunft, die Gnade der Botschaft des Evangeliums werden von ihr gewählt. Nicht das Einfach des Üblichen: Sondern das EINE des Not wendigen. Eines ist somit Not / in der Not wendig zu werden; nämlich nicht die Vergangenheit, das Allerlei, sondern die Zukunft zu wählen.

Hierin muss genauso klar über Marta entschieden werden, wie über den reichen Kornbauern, den Narr der immer das Gleiche tun will - Scheunenbauen statt in seine Zukunft als Christ zu schauen. Wie über den reichen Jüngling oder die, die am Beraubten und Verletzten vorbeigehen wie der Pharisäer oder der Schriftgelehrte . Noch deutlicher: Marta ist nicht zu retten, weil Sie nicht gerettet werden will. Sie verkriecht sich im Allerlei von Gestern und isoliert sich so von der Wahlmöglichkeit, von der Entscheidung, was richtig im Leben als Christ wäre.

Die Rettungsversuche der (Haus-) Frau Marta sind - betrachtet man die Predigtgeschichte - zudem schon durchsichtig: Während man den Reichen Jüngling, den Kornbauern oder den Pharisäer und schriftgelehrten aufgrund ihrer falschen Wahl opfert, hat die Predigtlandschaft häufig Angst das gegenüber den Frauen zu machen. Nein - Marta ist für Lukas genauso verloren wie der reiche Jüngling, der Pharisäer oder der Kornbauer. Verständnis für arbeitserfülltes Küchenleben - ok. Aber hier geht es um was komplett anderes. Warum sollte es Marta bei Lukas besser gehen als alle den anderen "Männern", die bei Lukas für die falsche Wahl und Entscheidung als Negativbeispiel herhalten muss.

Nämlich die Wahl, ob ich mein Leben mit Blick auf die Hoffnung in Christus wahrnehme, als meiner eigenen Zukunft zum neuen Leben in Christus. Oder - ob ich so weitermache wie bisher.

4.       Heute

Fragen wir es griffig für uns heute. Verschließen wir die Augen vor den Anforderungen, die sich an uns als Christen in dieser Welt stellen oder nicht? Schauen wir der Zukunft - egal wie gefährlich diese sein könnte - in die Augen oder drehen wir uns um und wählen den Blick zurück in die Vergangenheit in das Vielerlei und Allerlei des Gestrigen, des Gewohnten und dem, was uns Sicherheit zu versprechen scheint.

Wir haben die Wahl als Christen. Marta wendet sich von Jesus ab; sie blickt in die Vergangenheit. Und bitte hört auf die Marta in uns, oder deren Position oder sinnvolles Rumwurschteln zu verteidigen. Selbst wenn ihre Plätzchen 5 Sterne bekommen. Marta hat falsch gewählt und  - verloren! Nicht das Allerlei, das was alle schon immer machen und in uns eingewohnt ist, macht unsere Zukunft als Christen aus, sondern allein unsere Zuwendung zu Christus. Sind wir bereit, in die Augen der Zukunft zu blicken; unserer Zukunft als die Hoffnung der Zukunft in Christus.

Maria schaut in die Augen Jesu. Er schaut ihr aus der Zukunft, aus der Verheißung als ihre Zukunft entgegen. Maria wählt das eine Notwendige zum guten Teil - oder wie es in Kolosser 1,12 mit dem gleichen Wort (merida; μερίδα) steht, den Teil, der unser heiliges Licht Gottes ist.

Und so fragt uns der Text mit Lukas heute: Was wählen wir als Christen in unserem Leben? Wählen wir die Zukunft? Drehen wir uns den Menschen zu? Wollen wir die Herausforderung annehmen, die das Leben als Christ breit hält? Sehen wir mit wachen Augen, was die Zukunft Christi in dieser Gesellschaft als Aufgabe fordert; und stellen uns ihr?

Oder wollen wir zurück an den Herd, an den Schreibtisch, auf die Couch, an das Vielerlei des Alltag und das Allerlei des Lebens. Wollen wir das oder das? Wie wählen wir? Vergangenheit oder Zukunft in Christus?

Das ist die Frage an Estomihi, ob ich darauf vertraue, dass Gott mein starker Fels ist oder das, was ich in meinem bisherigen Leben als selbstgebastelte Rettungsanker und Rückzugsgebiet in Entscheidungsfragen eingerichtet habe. Du Narr, ist die Antwort Gottes an den reichen Kornbauern. Narr - und damit sind nicht närrische Zeiten mit Lustigkeit gedacht. Sondern: Du Narr, du - ja du, Marta - hast das Falsche gewählt als galt die Zukunft in dein Herz zu lassen. Denn du hast das Gestern gewählt nicht die Zukunft, die ich dir verheißen wollte.

Was wählen wir? Ein Tipp: wenn die Zukunft an unsere Tür klopft, können wir eines von Maria lerne: Kopf hoch, Augen auf, und mutig der Zukunft entgegen. Amen.

 

Herr, hilf, dass wir den Kopf für deine Zukunft heben und schenke uns deine Zukunft. Amen.