Thema: Ankommen im Gefühl seiner Gerechtigkeit

Jer. 23, 5-8 

5 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird.

6 Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: »Der Herr ist unsere Gerechtigkeit«.

7 Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der Herr, dass man nicht mehr sagen wird: »So wahr der Herr lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!«,

8 sondern: »So wahr der Herr lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel heraufgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.« Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.

 

הנה ימים באים נאם־יהוה והקמתי לדוד צמח צדיק ומלך מלך והשכיל ועשה משפט וצדקה בארץ׃ 5

בימיו תושע יהודה וישראל ישכן לבטח וזה־שמו אשר־יקראו יהוה צדקנו׃ 6

לכן הנה־ימים באים נאם־יהוה ולא־יאמרו עוד חי־יהוה אשר העלה את־ בני ישראל מארץ מצרים׃ 7

 8כי אם־חי־יהוה אשר העלה ואשר הביא את־זרע בית ישראל מארץ צפונה ומכל הארצות אשר הדחתים שם וישבו על־אדמתם׃

  

Name: Zedekia צִדְקִיָּ֣הוּ - Der Herr ist meine Gerechtigkeit

Vers 6: Zedekanu  צִדְקֵֽנוּ Der Herr ist unsere Gerechtigkeit

 

 

1.       Einleitung

Abschied hat in unser heutigen Zeit deutlich an Dramatik verloren. Bilder, wo Menschen an Häfen, Häusern oder an Bahnsteigen standen, um Abschied zu nehmen von Menschen, weil diese in die Ferne, in ein anderes Land zogen, sind heute deutlich vielfach entspannt von der emotionalen Betroffenheit. Selten sieht man am Bahnhof noch Menschen winken oder heulend am Bahnsteig. Dass das Abschiedsritual sein Bedeutung so dramatisch verloren hat, hängt wesentlich mit der neuen Mobilität und den neuen Kommunikationsmöglichkeiten des 21. Jahrhunderts zusammen. Selbst die Älteren unter uns können mit Hilfe von Kindern oder Enkel entfernte Verwandte, Bekannte, Freunde sichtbar machen auf dem Laptop, PC oder Smartphone über Hilfsmittel wie Skype oder Whatsapp reden. Menschen, die über Zehntausende von Kilometer auf der anderen Seite der Erde sind, können mit wenige Klicks erreicht, angesprochen, gesehen werden.

Für mich persönlich war folgendes Erlebnis prägend und irgendwie ein Einläuten der neuen Möglichkeiten: Als Apollo 11 am 21. Juli 1969 für 21 Stunden auf dem Mond landete, war ich 6 Jahre alt. Für mich hat sich dieser Moment in das Hirn eingebrannt. Nicht weil man zum Mond fliegen konnte, sondern vor allem deshalb, weil man Live dabei war, wenn die Sprache und Bilder aus über 380.000 km empfangen wurden. In den letzten fast 50 Jahren ist diese Form der Kommunikation und der Kontaktaufnahme zu einem digitalen Happening geworden. Eigentlich kann man heute nirgends mehr unbeobachtet, ungesehen und ungehört sein. Stille wird nun zu einem wesentlichen Gut in der heutigen Zeit; vor allem auch in Raunheim. Denn die digitale Welt mit ihrer Mobilität weltweit zeigt uns eines: Distanz ist relativ. Die Zwischenräume menschlicher Existenz werden durch die Möglichkeiten des 21 Jahrhunderts in Augenblicken gemessen. Und selbst bei der Post ist das "Tracking", das Verfolgen des Ankommens von Paketen an der Tagesordnung. Abschied und Ankommen - beides Gefühle, die eher einer Vergangenheit angehören.

Heute am ersten Advent ehren wir das Ankommens des Herrn in dieser Welt. Insofern ist Advent eigentlich nichts anderes als das 4 Wochen Tracking bis Weihnachten, am 25.12.2016. Wie soll man aber Advent feiern, wenn uns sowohl Abschied im Alltag und Freude über das Ankommen irgendwie verloren gegangen ist. Sicher es gibt wesentliche Ausnahmen. Dann, wenn uns ein Schicksal, ein Todesfall, eine radikale Berufsveränderung, ein Trennungsschmerz erreicht und sich nicht einfach wieder mit etwas Neuem locker ausbügeln lässt. Und dennoch geht im Alltag das Gefühl für Trauer bei Abschied, für Freud beim Ankommen irgendwie verloren. Dieses Gefühl, etwas zu verlieren, das Gefühl, etwas herbeizusehnen, ist uns in vielen Teilen des eigenen Lebens schlicht verlernt.

Der geliebte Teddy weg, kaputt - dann gibt es einen Neuen. Das alte Auto - Neu günstig geleast. Und - Warum sollte man sich auf Weihnachten freuen, wenn man eigentlich schon alles hat? Was soll da in den 4 Wochen des Advents eigentlich als Gefühl des Ankommens gefeiert werden? Das Neue, das was kommt, wird zur Belastung der eigenen Person. Welche Geschenke für wen und wann. Freude auf Ankommen - Hmm. Und so ist verständlich, warum Menschen auch Weihnachten, Advent hassen.

2.       Bibeltext

Der Bibeltext steht heute im 23. Kapitel des Buches Jeremia. Hier geht es - entgegen unserer heutigen Erfahrungen - um ein HERBEI-SEHNEN, um den Wunsch dass etwas komplett neu werden soll. Wir befinden uns in der Zeit des König Zedekias (also um 626 vor Christi Geburt), das Südreich Juda ist eingeengt zwischen Großmächten und immer wieder deren Machtspielen ausgesetzt. Dem König Zedekia (= der Herr ist meine Gerechtigkeit) verkündigt der Prophet die Zerstörung des Reiches Juda und mahnt an, dass der Glaube wieder Einzug halten solle. Weitere Bausteine des Jeremia-Buches berichtet von der Mahnung Jeremias an die Könige und er prophezeit die Verschleppung der Juden nach Babylon durch den König Nebukadnezar. Insofern spiegelt unser Text heute eine wesentliche Rolle, weil er nicht nur negativ redet und zur Umkehr mahnt, sondern auf das Ankommen einer neuen Zeit und eines neuen König verweist:

TEXT LESEN.

Die besondere Auseinandersetzung zwischen dem ziemlich nervigen Propheten Jeremia und dem König Zedekia liegt darin, dass der König sich wieder von der Gerechtigkeit Gottes abwendet. Gerechtigkeit soll beispielsweise alle 50 Jahre, im Jobel-/Erlassjahr (verdeutscht: Jubel), dadurch erfolgen, dass die Sklaven frei gelassen werden und damit der Mensch wieder von vorne beginnen kann. Die Gerechtigkeit soll wieder ankommen, ein Advent sein in Israel.

Zu Beginn hat Zedekia dies auch befolgt, aber die Elite im Staat heizte dem König so sehr ein, dass er die Freilassung zurücknahm und die freigelassenen Menschen wieder durch Gewalt ein zweites Mal dauerhaft versklavt wurden. Das ist nicht die Gerechtigkeit Gottes tönt Jeremia. Und deshalb beginnt er auch in unserem Text eine interessante Wortverdrehung des Namen Zedekia (der Herr ist meine Gerechtigkeit) zu Zedekanu (der Herr ist unsere Gerechtigkeit). Real- und Politsatire im 7. Jahrhundert vor Christus und ganz ohne Jan Böhmermann.

Und wir können davon ausgehen: Die normalen Menschen haben herzlichst darüber gelacht. Gott will Gerechtigkeit für uns alle und nicht allein für den König Zedekia! Das ist die Botschaft, die der Prophet verkündigt. Auf diese Gerechtigkeit verweist der Predigttext, eine Gerechtigkeit, die nicht dem einzelnen, sondern allen Zuge kommt.

Wesentlich ist dabei, dass Gerechtigkeit NICHT GLEICHFÖRMIG ist, sondern immer dem Schwachen mehr zugesteht als dem Reichen. Wer meint, Gerechtigkeit sei Gleichheit, der irrt gewaltig; zumindest nach der biblischen Ansicht.

3.       Christus

Als Christen warten wir auf das Ankommen dieser UNGLEICHE, UNFAIREN, TENDENZIÖSEN und letztlich UNGLAUBLICHEN Gerechtigkeit in Jesus von Nazareth als kleiner Windelkacker in Bethlehem. Gott selbst kommt an, in dem, was alltäglich, allmenschlich, allgegenwärtig ist. Nix mit König mit Prunk oder Seidentüchern, sondern die einfache alltägliche Geburt an einem Ort des  Übergangs, dem Ort, wo niemand eigentlich wohnt, dem Ort des Viehstalls. Auch wenn wir zu Weihnachten den kleinen Racker Jesus gerne verniedlichen, hier kommt eine handfeste Sache in die Welt. Ein Mensch, der sich als Gottwürdig und ebenbürtig erweist und selbst das Prädikat Gottes in sich trägt. Hier kommt das Gefühl in die Welt, dass das Ankommen ein Ziel, eine Lösung, eine Hilfe ist, die niemals von uns alleine so erreicht, gefunden oder gewerkelt werden kann.
Advent - das ist das Ankommen des Gefühls der Gerechtigkeit, die vielleicht uns gerade nicht zu Diensten ist, sondern wohl eher denen, die es wirklich benötigen.

Wie kommen wir eigentlich dazu anzunehmen, dass Gottes Gerechtigkeit meine Gerechtigkeit sei, also die, die ich mir wünsche und haben will?

Sicher - der Herr in Christo ist der Retter aller Menschen - zweifelsohne. Aber ist er auch der, der mir meine Gerechtigkeit bringt?

Bringt der Herr mir in diesem Advent 2016 meine Gerechtigkeit?

4.       Ankommen im Gefühl seiner Gerechtigkeit

Und frage ich mich ehrlich, frage wir uns ehrlich: Ist dort ein Gefühl, dass diese Freude des Ankommens SEINER Gerechtigkeit noch in uns wohnt? Blicken wir in uns und schauen, was wir gerade für Gedanken haben, wenn wir an das kommende Weihnachten denken. Denken wir da wirklich an die Gerechtigkeit, die über anderen ausgegossen wird?

Und wenn heute der erste Advent ist, seien wir ehrlich zu unseren Gefühlen des Ankommens, der Freude, die vor uns liegt und auch der Trauer des Abschieds: Sind wir wirklich noch fähig, an etwas anderes zu denken als an die eigenen Wünschen, Besorgungen, Wohltaten?

Ist es wirklich so, dass wir entspannt, gespannt auf die Bescherung warten, die uns seine Gerechtigkeit gegenüber den Schwachen, Armen, Kranken, entrechteten? Oder wollen wir nicht eher die Sklaven des Konsums weiter für arbeiten lassen, damit wir in den Genuss unsere eigenen Freude kommen wollen? Sind wir nicht eher verspannt, wenn wir an Weihnachten denken? Macht hoch die Tür, die Tor macht weit - jupp - das singt sich super. Aber wer das heute Abend mit der Haustür macht (hoch die Tür und das Portal auf) ist doch schlicht ein Narr oder nicht. Riegeln, Verschließen und digitale Überwachung - das sind die Anzeichen des Alltag der eigenen Gerechtigkeit. Wie sonst soll unsere Versicherung denn funktionieren. Unsere Versicherung, dass wir uns selbst aus dem Sumpf ziehen, um immer weiter, schneller und letztlich als ein Vermögender der eigenen Selbstgefälligkeit zu werden.

Was wäre denn, wenn wir in dieser Zeit des Ankommens, uns der Frage nach seiner Gerechtigkeit stellen? Was würde anders werden?

Ganz ehrlich: Ich weiß bald nicht mehr, was ich Menschen schenken sollte, die a) alles haben, b) sich kaum noch freuen können und c) nach dem Kassenbon zum Umtausch fragen.

Da mache ich es doch wie alle: Ich schenke meine Gerechtigkeit, GeldGutscheine, damit die anderen ihre Gerechtigkeit selber kaufen können.

O.k., o.k. - Ich weiß, ich bin ungerecht und unehrlich: Denn, wer von uns könnte sich dem Lebkuchen, dem Marzipan oder nur dem Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt entziehen? Ich nicht.

Und dennoch macht mich nicht nur mein malader Fuß nachdenklich, über mein An- und Fortkommen in dieser Welt, sondern vor allem die Erkenntnis, dass es nicht meine Gerechtigkeit ist, die in die Welt kommt, sondern seine. Wie die Gerechtigkeit des Herrn aussieht? Was diese Gerechtigkeit letztlich von mir fordert? Welche Wege des Abschieds, Wege des Ankommen ich durch diese seine Gerechtigkeit gehen muss?

All dies weiß ich nicht. All dies kann ich nicht einschätzen heute am 1. Advent des Jahres 2016. Eines scheint mir aber gewiss: Wenn ich, wenn wir nicht wieder ein tiefes Gefühl der Trauer bei Abschied, ein freudiges Jauchzen beim Ankommen entwickeln, wird auch dieses Advent lediglich in einer einzigen Währung gemessen: der Gerechtigkeit, die allein uns selbst zum Vorteil neigt, statt zum Dienst für die, die es nötig hätten.

Oder mit dem Lied, was wir gerade gesungen haben: Wie soll ich dich empfangen, und wie begegne ich dir.

Und wisst ihr was, wir singen diese eine Strophe nochmals als Abschluss der Predigt. Nr. 11, Strophe 1. / Singen / Amen

Herr, schenke uns deine Gerechtigkeit und mache uns schlau dich zu empfangen. Amen.


 

EG 11, 1:

Wie soll ich dich empfangen und wie begegn ich dir,

o aller Welt verlangen, o meiner Seele Zier?

O Jesu Jesu, setze mir selbst die Fackel bei,

damit, was dich ergötze

mir kund und wissend sei.