Beerdigungsansprache Walter Becker * 26.08.1937 / + 21.10.2016

Beerdigung am 26.10.2016 in Niedereisenhausen

"Ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bauwerk." 1.Korinther 3,9

 

Einleitung

Was macht das Leben aus? Was sind die Dinge, die wirklich wichtig, richtig sind und die uns in unserem Handeln prägen und leiten?

Sind es die Jahre der Dynamik, der Jugend und des jungen Erwachsenenlebens? Oder die reifere Zeit, in denen sich Leben und Formen verfestigt haben? Oder ist es die Zeit der Not, der Anfechtung, der Krankheit, der Demenz? Was macht das Leben von uns aus? Wodurch werden wir geprägt und prägen unser eigenes Umfeld?

Betrachten wir das Leben von Walter Becker - so kann uns schwindlig werden, was der Gehandengel, Ingeborgs Mann, unser Vater auf die Beine gestellt hat. Es ist schlicht müßig aufzuzählen. Denn, wo sollte man beginnen? Beim Fußball, SR, Rechtsausschuss. In der Kommune? Bei der Schutzhütte, dem Sportheim, oder hier am Friedhof? Beim Gesangverein, bei den organisierten Urlaubs-Busfahrten; oder auch im Betrieb "Schläfer"; oder bei Trummitersch Günter? Oder beim gewohnten Sitzplatz in der Kirche sonntags in Obereisenhausen? 900 Jahr Feier? So gibt es Hunderte von Begebenheiten, Erlebnisse mit dem Walter Becker, dem Gehandengel. Viele Menschen, die heute noch durch irgendwas, irgendwo, irgendwie von ihm geprägt, angestoßen oder einbezogen wurden.

Und für viele symbolisierte der Gehandengels Walter Schild und Schutz, der Fels, der Verlässliche, der, den man immer anrufen konnte.

Als Triebfeder von Initiativen oder Ansprechpartner für Krisenfälle; fast immer über alle politischen, ideologischen Grenzen hinaus.

Nicht, dass das falsch verstanden wird. Das Leben mit dem Gehandengel, so schön und vor allem herausfordernd es war, war nicht immer ein Zucker­schlecken: Wenn man Beton für irgendein Sportheim, eine Schutz­hütte oder für Sitzbänke rund um Eisenhausen mischen durfte.

Auch wenn unsere Mutter Ingeborg als taffe Frau galt und gilt, so war die Ehefrau Heim und Schutz für uns Kinder; und wir als Familie noch häufig eingebunden in das, was eben gerade anstand, notwendig war, gemacht werden musste. 60 gemeinsame Jahre mit unserer Mama, in Zuneigung, Liebe - und natürlich straffer Organisation - oft im Hintergrund von Mama organisiert - und von ihr mit 2 Fingern getippt; und der kreative Geist der Familie; wie auch der Vers auf seiner Todesanzeige: von unserer Mama. Und mit dem Gehandengel gab es natürlich auch Stress und Streit; zu hause wie draußen. Und dennoch mit dem Touch der Versöhnung.

Und selbstverständlich dann der Rollenwechsel zwischen Mama und Papa, die nun durch die Demenz von Papa tapfer und mutig den Gehandengel gepflegt, getragen hat und auch manchmal ertragen musste.

Unterstützt von unglaublich vielen Menschen, hier mal nur einige erwähnt;  die, die das tägliche Autofahrten für den Gehandengel durchführten: Schwotz, Reinkarl, Waltraut, Arno oder Herwig. Es gäbe viele mehr zu nennen. Danke an euch alle, es hat ihn sehr gefreut.

Und zum 80 Geburtstag, heute genau vor 2 Monaten, waren viele Menschen geschockt, was aus dem Gehandengel geworden war. Das Bild, das viele sich von seinem Leben machten, erhielt nun eine neue Firnis, einen neuen Blickwinkel. Was macht das Leben letztlich aus?

Beerdigungstext

Der Bibeltext für die Beerdigung ist der Lehrtext seines Todestages am letzten Freitag, dem 21.10.2016 aus 1.Korinther 3,9

"Ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau."

Ackerfeld - der Boden, aus dem es wachsen und gedeihen kann. Bau - die Schutz- und Freiheitsräume, in denen das Leben seine Möglichkeiten erhält.

Was macht das Leben aus? Und Paulus beantwortet unsere heutige Frage mit einer klaren Antwort. Es macht nur eines das Leben aus: Nämlich - das Leben weiter geht. Und wir sollen der Nährboden, der Acker für die Gerechtigkeit, den Frieden und die Gemeinschaft sei. Wir sollen der Bau sein, also die Räume schaffen, damit das Leben des Evangeliums weitergeht.

Gott baut auf uns und nutzt unsere Gaben und Fertigkeiten, um das Leben zu gestalten. Was macht das Leben aus? Es ist dieses: Das Leben geht weiter. Denn keine Aussage unserer Bibel kann die Botschaft des Evangeliums klarer, besser, deutlicher und auch trauriger ausdrücken: Egal was passiert - das Leben geht weiter.

Das Leben geht weiter - für Walter Becker. Im Reich Gottes, im Himmel oder wie wir das auch immer mit menschlichen Begriffen nennen wollen. Das Leben geht weiter - ja für Walter Becker, für den Gehandengel. Das ist die frohe Botschaft, die er und wir als Evangelium hoffen, glauben und verkünden. Unser aller Leben geht weiter; auch über den Tod hinaus.

Das Leben geht weiter - auch hier für dich Mama, für uns alle. Mit Trauer und viel Leere, Fragen und Einsamkeit, mit Verlust und der täglichen Erinnerung. Denn überall umgibt uns die Frucht, das Gedeihen von Walter Becker. Meinem Vater war sehr wohl bewusst, dass er gemeinsam mit anderen hier in der Friedhofskapelle eine Kühlanlage und einen Aufzug hier einbaut, die auch er selbst benötigt und heute im Sarg benutzt hat. Und unvergessen die Probefahrt mit dem Sarg Aufzug - stehend mit Eckhard Trumpler - und just eine Friedhofsbesucherin erschreckt.

Das Leben geht weiter. Und, Freunde - ich hätte es nicht geglaubt - mit einer Härte, die mich immer noch erschüttert. Gerade in der größten Not von Walter und Ingeborg gibt es Wesen, die versuchen dies aus Eigensinn und zum Eigennutz ausnutzen. Unglaublich. Aber auch hier gilt: Das Leben geht weiter und wird mit der Klarheit und Direktheit vom Gehandengel beantwortet. Und im Notfall ruft man die Engel Gottes herbei. Davon sitzen genügen hier. Denn wir sind es, die als das fruchtbare Ackerfeld Gottes und der Bau Gottes für andere einstehen. Das Leben geht weiter; hier wie dort.

Übertragung

Nährboden Gottes zu sein, das ist die Botschaft des Evangelium im Angesicht des Todes. Denn die Botschaft Christi macht uns allen nur eines deutlich: Ja, auch mein Leben geht weiter. Selbst in der größten und heftigsten Anfechtung, Krise, Verwundung und Belastung.

Ja, das Leben geht auch dann weiter, selbst wenn das Leben hier zu Ende geht. 

Und gerade diese Gewissheit, die Gewissheit des entgrenzten Lebens trägt. Es ist die Gewissheit, dass Gott uns als sein Ackerfeld nutzen will, damit die Frucht unserer Arbeit auch gerade von anderen genutzt werden kann und diese dann ihr Potenzial entfalten können. Gott will uns als sein Bauwerk nutzen, damit wir Räume schaffen, die andere mit ihrem Leben füllen dürfen. Ohne jede Übertreibung: Bei Walter Becker, beim Gehandengel ist das Gott in einer unglaublichen Weise gelungen. Freunde, das war teils beängstigend und setzt uns immer noch in Erstaunen.  

Und dennoch konnten wir uns darauf verlassen, dass sein Ackerfeld Frucht und Zukunft trug und träg; dass sein Bau Räume für andere geschaffen hat.

Als schon einmal im Zuge der 900-Jahr Feier der Gedanke aufkeimte, er könnte das Bundesverdienstkreuz erhalten, durfte ich mal vortasten; vielleicht sogar zum Besuch von Johannes Rau hier in Niedereisenhausen. Die Antwort vom Gehandengel war klar: >Hm, dofo wird ke Loch gegrowe und ken Ste[h] gesaßt.< [Davon wird kein Loch gegraben und kein Stein gesetzt]. Bumm, alles gesagt.

2013 war es dann vielen ein besonderes Bedürfnis; Armin und Ulrike voran. Als er im Februar 2014 nun die höchste Auszeichnung erhalten sollte, gab es vorab eine kleine Begebenheit: Landrätin Kirsten Fründt - ganz neu im Amt - die die Laudatio für das Verdienstkreuz halten und mit dem hessischen Finanzminister übergeben sollte, sagte (sichtlich nervös): Herr Becker, das ist für mich das erste Mal mit dem Verdienstkreuz.

Mein Vater war an diesem Tage sehr klar in seiner Demenz und meinte mit seinem trockenen Witz und Charme: "Wissen Sie, Frau Landrätin. Wir schaffen das. Für mich ist es auch das erste Mal."

Das Leben geht weiter; selbst wenn wir vor scheinbar unlösbaren Aufgaben stehen; vor Bergen, die wir nie glauben überwinden und erklimmen zu können. Das Leben geht weiter. Ja, das Leben geht weiter, selbst, wenn wir alle einst des Todes sind. Denn das ist die Kernbotschaft des Evangeliums: Es geht weiter.

Und so können, dürfen, sollen wir - auch im Gedenken an den Gehandengel ausrufen: Ja, wir sind Gottes Ackerfeld und Gottes Bauwerk.

Und mit den Worte meiner Mutter:

Getragen im Leid; getröstet in Verzagtheit
in eigener Welt gefangen - im Hoffen und Bangen,
was war und was ist - vergessen
man kann es nicht ermessen
Geborgen in Gottes Hand, frei im erlösenden Land.

Amen.