Thema: Verlässlichkeit (Röm 9, 1-8;14-16)

Röm 9 - Israels Gotteskindschaft

1 Ich sage die Wahrheit in Christus und lüge nicht, wie mir mein Gewissen bezeugt im Heiligen Geist,

2 dass ich große Traurigkeit und Schmerzen ohne Unterlass in meinem Herzen habe.

3 Ich selber wünschte, verflucht und von Christus getrennt zu sein für meine Brüder, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch,

4 die Israeliten sind, denen die Kindschaft gehört und die Herrlichkeit und die Bundesschlüsse und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen,

5 denen auch die Väter gehören und aus denen Christus herkommt nach dem Fleisch, der da ist Gott über alles, gelobt in Ewigkeit. Amen.

Die Kinder der Verheißung als das wahre Israel

6 Aber ich sage damit nicht, dass Gottes Wort hinfällig geworden sei. Denn nicht alle sind Israeliten, die von Israel stammen;

7 auch nicht alle, die Abrahams Nachkommen sind, sind darum seine Kinder. Sondern nur »was von Isaak stammt, soll dein Geschlecht genannt werden« (1.Mose 21,12),

8 das heißt: nicht das sind Gottes Kinder, die nach dem Fleisch Kinder sind; sondern nur die Kinder der Verheißung werden als seine Nachkommenschaft anerkannt.

Gottes freie Gnadenwahl

14 Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist denn Gott ungerecht? Das sei ferne!

15 Denn er spricht zu Mose (2.Mose 33,19): »Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.«

16 So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.

 

 

1.       Was ist heute noch verlässlich?

Was hat Bestand? Auf was kann man sich verlassen? Was hat wirklich Bestand im dem Leben, das wir führen?

Strom-, Wasserversorgung oder Geld? Sicherheit des Vermögen? Oder die Rente ist verlässlich?

Ist verlässlich, dass ich die nötige ärztliche Versorgung bekommen? Dass der Nachbar nett und zugänglich ist und bleibt?

Oder kann man sich auf die Liebe und Zuneigung der Kinder oder Eltern verlassen? Und wie ist es mit den Beziehungen, die wir haben, führen? Wie verlässlich sind diese? Wie sicher ist unsere Rechtsordnung? Wie sicher ist das Leben insgesamt? Da spinnen einige wenige rum, schießen und schlagen mit Äxten um sich. Sie verängstigen die Welt, die Menschen und das eigene Sicherheitsgefühl. Wenige schaffen es uns zu erschüttern. Was bedeutet: Verlässlich?

Im Grunde ist Verlässlichkeit lediglich das, was wir uns wünschen. Wir wünschen uns Sicherheit. Sicherheit beim Autoverkehr, bei der Lebensmittelversorgung, in der Beziehung. Unser Leben ist geprägt von einem Verlässlichkeitserfahrung. Dinge "funktionieren"; und zwar so funktionieren wie ich es gewohnt bin oder es mir wünsche.

Dass morgens warmes Wasser aus der Dusche kommt. Die Kaffeemaschine funktioniert. Das Auto anspringt. Die Abläufe und Prozesse im Alltags- und Berufsleben konstant belastbar sind. Kaum jemand hat noch einen "Kartoffelkeller", indem das ganze Jahr bevorratet wird. Kühltruhen - das Non plus Ultra der 1970er Jahre; heute out. Wir verlassen uns auf die Lebensmittelversorgung. Wir sind umgeben von einer Verlässlichkeit, die uns in vielen Dingen alltägliche Funktionen abgenommen haben, alles und jedes selbst zu besogen, anzubauen, abzusichern und so weit. Alles ist wie im Schlaraffenland. Ich gehe in den Laden und habe alles, wenn ich Geld habe. Ich fahre auf der Straße, weil geteert. Ich werde versorgt, weil Sozialstaat. Eigentlich alles höchst verlässlich.

Und die höchste Unzuverlässlichkeit scheint das Dilemma des letzten Blattes an der Klopapierrolle. Alles andere, wie gewünscht - zuverlässig. Und selbst wenn das Auto liegen bleibt. Der nächste Abschleppdienst ist verlässlich versichert. Alles wie gewünscht, alles wie bestellt, perfekt?

Was ist verlässlich? Gott?

2.       Bibeltext

Der heutige Predigttext steht unter dem Aspekt des sogenannten Israelsonntags. Es geht um nichts anderes als um die Frage: Ist Gott mit seiner Zusage verlässlich? Was ist mit der Zusage an das jüdische Volk, die Israeliten; wenn wir als Christen doch die Verheißung für uns beanspruchen. Vorsicht mit diesen schnellen Antworten; wir Christen wären nun die einzige Heilsgemeinde und die Zusagen Gottes nach dem Alten Testament wäre in Christus aufgegangen. Vorsichtig mit dieser Hybris, dieser Überheblichkeit, die die Kirchen fast 2000 Jahre ihr eigenen nannten.

Der Predigttext für den heutigen 10. Sonntag nach Trinitatis steht im Römerbrief des Paulus. In den Kapitel 9 bis 11 quält sich der Jude Paulus mit der Frage, welche Verlässlichkeit seine Volksgenossen im Horizont von Kreuz und Auferstehung Christi haben. >Text lesen.<

Paulus macht es sich hier nicht leicht. Denn er selbst, der der Jude nach dem Fleisch ist, steht unter der Zusage des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs. Paulus kennt Tora und Verheißung aus dem Effeff.

Leichtfertig - wie viele Christen in den Jahrhunderten - von einen "einfachen" Übergang der Zusagen Gottes vom Volk Israel durch Christus auf die Christen oder Kirchen zu reden, hilft nicht weiter. Denn die Frage ist, was macht Gott verlässlich?

Die Antwort von Paulus ist geprägt von Traurigkeit und Schmerz, weil die Israeliten Christus nicht als Messias annehmen. Und dennoch bleibt für Paulus diese Verlässlichkeit Gottes: Israel ist und bleibt Gottes Kind. Auf Gott ist Verlass, nicht weil wir es uns wünschen, sondern weil Gottes Verheißung nicht wankelmütig ist.

Die Botschaft Paulus' nach Rom soll gerade im Jahr 55 für eine Zuverlässigkeit und Ruhe sorgen. Denn gerade erst dürfen die Christen zurück nach Rom. Sie hatten 6 Jahre zuvor eine Aufruhr provoziert, angetrieben - wie der Historiker Sueton beschreibt - durch Chrestos. (Sueton, Claudius 25,4: Iudaeos impulsore Chresto assidue tumultuantes Roma expulit. Claudius vertrieb die Juden aus Rom wegen Tumulten, die andauernd durch Chrestos ausgelöst waren). Diese Tumulte führten zu einem Edikt des Kaiser Claudius, dass alle Juden & Christen aus Rom vertrieben wurden. Streit wahrscheinlich zwischen Juden und Heidenchristen waren die Auslöser. Christen sind also keineswegs ein friedliches Völkchen, sondern heftige Rabauken, die die Staatmacht herausfordern.

Nun - 6 Jahre später im Jahr 55 entsteht eine Blütezeit in den ersten Regierungsjahren Neros. Und dieser Kaiser Nero ist zu Beginn höchst vernünftig und besonnen; noch nicht der Nero Peter Ustinovs mit Harfe und "oh lodernd Feuer, oh göttliche Mach". Nein. Die ersten 5 Jahre Neros sind - wie der Historiker Sueton (Nero 14-19) berichtet - eine Phase des positiven Neuanfangs, bei denen Nero die gefürchteten Prozesse wegen Majestätsbeeidigung abschafft, die Todesstrafe verabscheute und - man staunt - sich als Bandschützer etabliert. Denn er lässt Häuser mit Flächdächern bauen, von denen man bei Feuer den Brand bekämpfen soll.

In dieser Situation hinein beschäftigt sich der Jude Paulus mit der alles entscheidenden Frage: Ist Gott verlässlich? Sind seine Zusagen an die Juden, selbst wenn sie nicht Christen werden, weiterhin sicher?

Die Antwort von Paulus ist eindeutig: JA, Gottes Wort ist NICHT hinfällig geworden (V 6). Die Gottes Kindschaft der Verheißung an Israel hat auch bei Christi Kreuz und Auferstehung bestand.

3.       Gottes zweite Verlässlichkeit in Christo

Aber die neue Verlässlichkeit, die die alten Zusagen Gottes ehrt, würdig und verlässlich bleiben lässt, ist eine andere.

Die Verlässlichkeit Gottes wird mit Christus neu für uns als Heidenchristen bestimmt. Sie ist für uns keine Verlässlichkeit der Verheißung mehr, sondern eine Zusage, die allein durch das Erbarmen Gottes in Christus geprägt ist. Was heißt das? Die Verheißung der Juden, der Kinder Gottes wird nicht an uns vererbt. Wir werden durch eine neue Zusage mit in das Boot Gottes genommen. Die Zusage basiert nicht mehr auf einem Vertrag, wie er in Sinai zwischen Gott und dem wandernden Volk geschlossen wurde. Das ist der alte Bund, ein Vertrag. Der neue Bund ist keine Verhandlungssache mehr, sondern ein Geschenk, das ohne das Wollen und Laufen von uns wirksam wird.

Der neue Bund ist keiner, der den alten AUFLÖST. Im Gegenteil. Wir als Christen werden durch Christus in den Bund Gottes hinzugefügt.

Also: Die Verlässlichkeit Gottes wandelt sich von einer vertraglichen Seite, mit, in und durch Christus zusätzlich zu einer Gnadenverlässlichkeit.

Wir sind die Nummer ZWEI! in Gottes Heilsplan. Daran führt kein Weg vorbei. Auch wenn viele Jahrtausende immer ÜBER die Juden als die Verhärteten oder die Christusleugner geredet, verfolgt und verbrannt wurde, wir als Christen haben kein RECHT und noch weniger die PFLICHT uns als die alleinigen Erwählten Gottes zu halten. Diese Hybris ist die Sünde, die von Gott trennt. Denn wie der Vers 16 ausführt: "So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.

4.       Verlässlichkeit für andere

Was bedeutet das für uns als Christen hier in Raunheim?

Wenn Gottes Gnadenzusage in Christus an uns eine neue, eine zweite Verlässlichkeit darstellt, so wandelt sich auch unser Verständnis von Verlässlichkeit. Wenn Gott sich in Christus uns als verlässlich, als die Hinzugenommenen zum Volk Gottes zählt, dann hat das grundlegende Veränderungen in unserem Leben zur Folge.

Verlässlichkeit als der Wunsch nach Sicherheit von Gesetzen, Nahrung, Rente, Straßenverkehr oder Beziehung wird nun nicht mehr an den anderen delegiert, gefordert oder beauftragt, sondern ist der Anspruch des anderen an uns, verlässlich zu sein. Wir sind verlässlich für andere; NICHT andere müssen es für uns sein.

Meine Verlässlichkeit im Straßenverkehr, bei der Arbeit, in der Erziehung, im Haushalt, im Staat oder in der Beziehung wird zum Ausdruck dessen, was unsere neue Verheißung bedeutet. Weil wir beschenkt werden, reden wir nicht ÜBER die anderen oder FORDERN von den anderen. Wir erweisen uns der Gnade Gottes dadurch gerecht, dass wir dieses Geschenk in uns würdig werden lassen. Wie das geht? Ganz einfach.

Wir reden nicht ÜBER die anderen. Wir reden mit Ihnen. Wir helfen, wir fordern nicht. Wir gehen hin, und lassen nicht kommen. Wir verzeihen, und lassen nicht den anderen auf den Knien verhungern. Wir werden zu Diener für die anderen, weil Gott selbst uns diese neue Gnade als Sklave, als Knecht, als Christus uns geschenkt hat.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Kirche dieses vergisst und die Evangelischen mit ihnen. Da regiert Geld, Besitzstand, Verwaltung, das Bewusstsein. Und häufig entdecke ich, dass dieser Müll menschlicher Selbstgerechtigkeit die Wege zum Mitmenschen verhärten lassen.

Sicher wird sind als Christen nicht die Fußabtreter der Nation. Und wenn uns Menschen hartherzig und boshaft entgegentreten, reagieren wir deutlich, indem wir mit Wahrheit, Wahrhaftigkeit, Offenheit und dem Appell, verlässlich und nicht beliebig zu sein.

Im Grunde gibt es für diese Verlässlichkeit unter Christen ein einfaches Wort; und jeder kann den Test auf das eigene Exempel machen.

Wem vertrauen Sie in der Kirchengemeinde, wem nicht? Wenn erachten Sie für verlässlich? Wem schenken Sie Vertrauen.

Vertrauen ist das Gut der Gnade Gottes, die wir im jeweils anderen sehen. Haben Sie kein Vertrauen - sehen Sie im Nächsten nicht Gottes Wirken. Und hat jemand kein Vertrauen in Sie oder mich, so bleibt das Zusammenleben möglich, aber letztlich unchristlich. Wer glaubt, das Messer zur Verteidigung in der Tasche haben zu müssen, der ist schwerlich bereit für die Aufgabe, vor der wir stehen. Denn unsere Aufgabe ist einfach: Wir als Christen schenken Zuverlässigkeit, unabhängig davon, ob wir es zurück bekommen.

Und das ist die Botschaft heute: Wir schenken, wir vertrauen. Das ist das Geschenk, das neue Erbarmen Gottes, das auch in uns wirksam werden kann, und werden darf; gerade hier in Raunheim. Amen.

Herr, bereite Vertrauen, damit wir diese deine Zuverlässigkeit weiterschenken können. Amen.


 

 


 

Röm 9

1Ἀλήθειαν λέγω ἐν Χριστῷ, οὐ ψεύδομαι, συμμαρτυρούσης μοι τῆς συνειδήσεώς μου ἐν πνεύματι ἁγίῳ,

2ὅτι λύπη μοί ἐστιν μεγάλη καὶ ἀδιάλειπτος ὀδύνη τῇ καρδίᾳ μου.

3ηὐχόμην γὰρ ἀνάθεμα εἶναι αὐτὸς ἐγὼ ἀπὸ τοῦ Χριστοῦ ὑπὲρ τῶν ἀδελφῶν μου τῶν συγγενῶν μου κατὰ σάρκα,

4οἵτινές εἰσιν Ἰσραηλῖται, ὧν ἡ υἱοθεσία καὶ ἡ δόξα καὶ αἱ διαθῆκαι καὶ ἡ νομοθεσία καὶ ἡ λατρεία καὶ αἱ ἐπαγγελίαι,

5ὧν οἱ πατέρες καὶ ἐξ ὧν ὁ Χριστὸς τὸ κατὰ σάρκα, ὁ ὢν ἐπὶ πάντων θεὸς εὐλογητὸς εἰς τοὺς αἰῶνας, ἀμήν.

6Οὐχ οἷον δὲ ὅτι ἐκπέπτωκεν ὁ λόγος τοῦ θεοῦ. οὐ γὰρ πάντες οἱ ἐξ Ἰσραὴλ οὗτοι Ἰσραήλ·

7οὐδ’ ὅτι εἰσὶν σπέρμα Ἀβραὰμ πάντες τέκνα, ἀλλ’·

·        ἐν Ἰσαὰκ κληθήσεταί σοι σπέρμα. (Gen 21, 12)

8τοῦτ’ ἔστιν, οὐ τὰ τέκνα τῆς σαρκὸς ταῦτα τέκνα τοῦ θεοῦ ἀλλὰ τὰ τέκνα τῆς ἐπαγγελίας λογίζεται εἰς σπέρμα.

14Τί οὖν ἐροῦμεν; μὴ ἀδικία παρὰ τῷ θεῷ; μὴ γένοιτο.

15τῷ Μωϋσεῖ γὰρ λέγει·

bullet ἐλεήσω ὃν ἂν ἐλεῶ καὶ οἰκτιρήσω ὃν ἂν οἰκτίρω. (Ex. 33,19)

16ἄρα οὖν οὐ τοῦ θέλοντος οὐδὲ τοῦ τρέχοντος ἀλλὰ τοῦ ἐλεῶντος θεοῦ.