Fülle dessen, der alles in allem erfüllt! (Eph. 1, 18-23) / Himmelfahrt am 29.5.2014 um 11 Uhr (Predigt als PDF)

Eph 1, 18-23

Lutherbibel 1984

18 Und er ( aus V. 17: der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit) gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist

19 und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns, die wir glauben, weil die Macht seiner Stärke bei uns wirksam wurde,

20a mit der er in Christus gewirkt hat.

20b Durch sie hat er ihn von den Toten auferweckt und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel

21 über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles, was sonst einen Namen hat, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen.

22 Und alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles,

23 welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.

Neue Genfer Übersetzung (NGÜ)

Gebet um Einblick in Gottes Größe und Macht

18 Er (der Gott unseres Herrn JX) öffne euch die Augen des Herzens, damit ihr erkennt, was für eine Hoffnung Gott euch gegeben hat, als er euch berief, was für ein reiches und wunderbares Erbe er für die bereithält, die zu seinem heiligen Volk gehören,

19 und mit was für einer überwältigend großen Kraft er unter uns, den Glaubenden, am Werk ist. Es ist dieselbe gewaltige Stärke,

20 mit der er am Werk war, als er Christus von den Toten auferweckte und ihm in der himmlischen Welt den Ehrenplatz an seiner rechten Seite gab.

21 Damit steht Christus jetzt hoch über allen Mächten und Gewalten, hoch über allem, was Autorität besitzt und Einfluss ausübt; er herrscht über alles, was Rang und Namen hat – nicht nur in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen.

22 Ja, Gott hat ihm alles unter die Füße gelegt, und er hat ihn, den Herrscher über das ganze Universum, zum Haupt der Gemeinde gemacht.

23 Sie ist sein Leib, und er lebt in ihr mit seiner ganzen Fülle – er, der alles und alle (mit seiner Gegenwart) erfüllt.

 

NT Graece (Griechischer Urtext - siehe Link)

 http://www.bibelwissenschaft.de/online-bibeln/novum-testamentum-graece-na-28/lesen-im-bibeltext/bibel/text/lesen/stelle/59///ch/d7cb07c24b0e27e201914cc7b9335c68/

 

1.       Einleitung

Guten Morgen.

Die Welt, die wir uns erschaffen haben, organisiert sich nach einem einfachen Prinzip. Dieses Prinzip garantiert es, dass wir in dieser Welt uns einrichten können und eine Verlässlichkeit erhalten. Dieses Weltprinzip ist - umgangssprachlich ausgedrückt: "Eine Hand wäscht die Andere".

Es ist ein Tauschprinzip. Ich gebe dir und du gibst dafür mir etwas. Meistens ist ein Teil des Tauschs heute Geld. Arbeitsleistung gegen Geld. Lebensmittel gegen Geld. Sozialfriede gegen Kranken- oder Rentenbeiträge. Und selbst in der Politik kennen wir dieses Prinzip als Klientelprinzip: Wähl mich, dann mach ich was für dich; wie Hotelsteuer, Unternehmens- oder Reichensteuer oder Rente mit 63. Das Tauschprinzip ist sehr alt. Im antiken Rom hieß das auf Latein "do ut des" (ich gebe damit du gibst). Selbst in der Bibel ist das Prinzip des Ausgleichs bekannt als "Auge um Auge, Zahn um Zahn". Das Prinzip ist so einleuchtend wie sinnvoll, weil es um klare Funktionsregeln geht; gegen willkürliche Obrigkeit, die nichts für Arbeitsleistung geben will oder gegen eine despotische Gewalt ohne Rechtsgrundlage oder gegen eine ausuferndes Blutracheprinzip.

"Do ut des"; "Ich gebe, damit zu gibst". Diesem wichtigsten Lebens-Prinzip unserer Gesellschaft ist automatisch die Frage nach Gewährleistung oder Garantie verkoppelt, wenn es ein Mangel beispielsweise bei einem Kauf oder der Arbeitsleistung oder der Entgeltzahlung gibt. Mangel - das ist: Ein Gerät funktioniert nicht. Kann ich es zurückgeben oder erhalte ich ein Ersatz. Auch bei Arbeitsleistungen - z.B. Handwerkern - ist das so. Ich habe ein Recht auf Nachbesserung.

Wie ist das aber bei Gott mit der Garantie auf Versprechen?

In einem Gespräch über Gottes Schöpfung drücke es eine 16-Jährige so aus: "Wenn Gott mich liebt und geschaffen hat, mir seine Fülle schenkt, dann ist das ja wohl ein Witz. Meine Nase ist zu krumm und meine Brüste sind zu klein. Ich will da eine Nachbesserung!" Upps. Klare Ansage - oder? Und bevor ich antworten konnte oder wollte, war eine wilde Diskussion bei den jungen Erwachsenen entbrannt. Jan forderte: "Jule hätte recht. Warum bin ich nicht reich und kann dicke Autos fahren. Das könne doch nur ein Fehler Gottes sein. Schließlich sei er getauft, hätte sich konfirmieren lassen und hätte wohl ein Abo auf Gnade und Gerechtigkeit."

Auf den ersten Blick mögen diese Fragen irritieren. Aber im Grunde ist es eine logische Übertragung des "Tauschprinzips" unserer Welt auf Gott und Kirche. In der normalen Welt ist das ja Üblich. Ich erwarte für meine Leistung, mein Geld eine sachgerechte Gegenleistung. Auch als Kirchensteuerzahler müsste man doch verlangen können, dass es eine Gewährleistung für das religiöse Handwerk geben kann. Eine Garantie auf das, was heute am Himmelfahrtstag zu verkünden wäre, nämlich: dass der Himmel für all jene offen steht, die sich auf den Herrn berufen.

Wie ist das eigentlich mit der Garantie Gottes uns gegenüber? Was nützen Behauptungen, wenn keine sichtbaren Taten folgen? Also, wie ist die Gewährleistung Gottes, auch für seine Bodenstation, die Kirchen?

Schauen wir in den heutigen Predigttext. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie es um Gottes Fülle, seine Gnade bestellt ist, die er uns schenkt.

2.       Textbezug

Predigttext (Eph, 1, 18-23) vorlesen. (Siehe Anlage)

Wow. Na, das ist mal ein wuchtiger Text. Mich hat er bei der Vorbereitung geradezu aus den Socken geblasen.

Ich zeige euch mal warum: [Wiederholen und betonen mit Gestik]

18 Er (Der Gott unseres Herrn JX) öffne dir [auf einzelne Besucher zeigen, ja du, du auch und erst recht du da hinten] die Augen des Herzens, damit du erkennst, was für eine Hoffnung Gott in uns hineingesetzt hat [ in dich, dich auch, ja auch dich, und dich Willi und mich], weil wir heilige Erben sind.

19 Gott ist unter uns und an uns am Werk; mit einer überwältigend großen Kraft. Es ist genau die Kraft,

20 mit der er am Werk war, als er Christus von den Toten auferweckte und ihm im Himmel zu seiner Rechten setzte.

21  Christus ist Herrscher über allen Mächten und Gewalten in dieser und in der zukünftigen Welt. 22 und wir als seine Gemeinde

23 leben in seiner Fülle, die alles in allem erfüllt.

Der Bibeltext ist wuchtig. Er ist sogar mehr. Er ist eine Wucht, eine Macht, die uns aufrütteln soll.

Die Gemeinde in Ephesus, an die dieser Brief gerichtet ist, tritt hier ganz in den Hintergrund und die mächtige Sprache zeigt an, dass Paulus den Text nicht selbst geschrieben hat. Vielleicht bedient er sich eines Schüler oder dieser schreibt den Brief. Wie auch immer. Die Wucht, mit der wir heute mit diesem Bibeltext bespaßt werden, ist schlicht einmalig. Einmalig, weil die Hoffnung, die Fülle so voll Gewissheit und Vertrauen strotzt, dass es manchmal einem echt heftig aufstoßen kann. Fülle (griech: πληρωμα [Pläroma]) wird alles in allem erfüllt.

Haben die Teens mit ihrer Gewährleistungsfrage vielleicht doch recht? Wenn Gott so 'ne Wucht ist und auf uns diese Wucht überträgt, warum haben wir nicht wuchtigen Reichtum, wuchtige Brüste, Autos, Häuser oder wuchtige Renten?

3.       Christus ist die Fülle in uns; er ist keine Kaufhülle

Was ist das für eine kraftvolle Hoffnung? Was ist das für ein Pläroma, eine Fülle, vom dem dieser Gesandte Gottes im Epheserbrief redet?

Ist das die Erfüllungsgarantie wie bei einem Tauschgeschäft? Hier meine Taufe, Konfi, Kirchensteuer - dort die Gottes lebenslange Garantie?

Tja Freunde, ich muss euch enttäuschen. Vor Luther hätte das mit Ablass noch geklappt. Ich gebe Geld, bekomme eine Tauf- oder Konfi-Urkunde und schwupps sind alle Sünden getilgt. Sofort kann ich frank und frei in der neuerworbenen Fülle leben. Bis hat zum nächsten Bums.

Vor Luther wie gesagt. Wir als Evangelische sehen diese Fülle anders. Die Hoffnung in Christus, die Tat in Kreuz und Auferstehung ist eine Fülle, die uns eingepflanzt wird, neudeutsch ist diese Fülle mit uns quasi genetisch verwoben mit meiner, deiner Person. Es ist kein Kauf- oder Tauschgegenstand, dem eine Bedienungsanleitung und eine Gewährleistungskarte beigefügt ist. Die Hoffnung der Fülle dessen, die alles in allem erfüllt, ist also mit uns verwoben; und zwar so wie wir sind. So wie die Fähigkeiten, Fertigkeiten in uns angelegt sind. Fülle, die wir ausfüllen müssen. Die wir entwickeln und gestalten können. Das ist die Wucht, das ist die Fülle des Evangeliums, der wir uns nicht verschließen können. Das Evangelium ist die Wucht , die von innen, aus unserer Existenz heraus hervorbrechen will. Nicht jede/r tut sich damit leicht. Manche fühlen das wie einen Mühlstein um den Hals; wie ein ein Alien im Bauch. Aber sich und seine Gottesfülle zu entwickeln - das ist die Aufgabe.

Möglicherweise ist das nicht einfach; in einem Körper, der gebricht an Leib oder Psyche. In einem Körper, der mir fremd werden kann. Aber gerade dieses Ringen mit oder gegen sich selbst, gegen die eigenen Potenziale, gegen die in uns angelegte Fülle führt uns in das, was wir altbacken Sünde nennen. Sünde ist nicht der Kampf gegen Gott. Sünde - das ist nichts anderes als mein Kampf gegen die Fülle des Evangeliums in mir, in dir. Gegen das eigene Selbst sich zu entwickeln und gestalten. Gottes Geschenk, seine Macht und Fülle, ist eben keine Sofa-Gnade, die bei den Chips vor dem Fernseher schwupp zugesprochen wird. Es ist ein Geschenk, das mal mehr oder mal weniger durch die Verkündigung der Botschaft zum Leben erweckt werden muss. Eine wuchtige Verkündigung, auch und gerade gegen scheinbar existentielle Modetrends wie Körperkult, Kernkompetenz oder Rente mit 63.

4.       Evangelium ist eine Wucht.

Diese Wucht des Evangeliums ist nix Gesäuseltes oder politische Weichspülerei. Beispiele: Was bringt dir das mit 63 Jahren abschlagsfrei in Rente zu gehen? Die Frage ist - aus unserem Predigttext heraus gesehen - eine ganz andere: Du Narr, morgen wird deine Seele von dir gefordert, und was ist dann mit deiner abschlagsfreien Rente? Was ist, wenn du einen gesetzlichen Anspruch auf abschlagsfrei hast, aber die Hoffnung Gottes verloren geht; wie V 18 sagt - die Hoffnung, dass wir Heilige Gottes sind?

Was helfen schnelle Autos, gerade Nasen, wuchtiger Wohlstand, wenn das Evangelium mit seiner Fülle, die alles im allem bewirkt, verloren geht? Wenn wir diese Fülle nicht nutzen, haben wir nicht die "erleuchteten Augen des Herzens", von dem der Predigttext wuchtig spricht. (V 18)?

Vorsicht: Es geht nicht darum, dass wir mit 63 in Rente gehen oder ein Brustvergrößerung machen. Kann man oder frau machen. Aber der Text fokussiert auf etwas anderem: Es geht nicht um diese Modesachen, wenn wir uns mit der Wucht des Evangeliums auseinandersetzen. Es geht nicht um Diskurs, Rationalität oder um sachgerechte Kommunikation. Es geht nicht um Kommunikation des Evangeliums. Es geht um wuchtige Verkündigung! Nicht reden, diskutieren ist die Aufgabe, sondern verkünden.

Das muss nicht nur uns als Christen immer wieder verkündet werden, sondern auch den Gemeinden und den Landeskirchen. Hört auf - so der wuchtige Verkündigungstext - hört auf mit der Existenz als evangelisches Weichei. Genug des Gesäusels um Kernkompetenzen, Geldmittel oder Pfarrstellen. Kirchen - hört auf, Gesetz zu produzieren. Eure Aufgabe ist eine andere: Verkündigt. Weckt auf. Führt in den Himmel, mit der Herrlichkeit und Macht und Fülle unseres Evangeliums.

Verkündigt. Nicht: Hast du mal Lust auf Gottesdienst? NEIN: Sonntag um 9:30 Uhr hole ich dich ab. Gewaschen, gebügelt und freudig mit den anderen Gemeinde sein im Gottesdienst, im Chor, bei Jugendarbeit oder auch an der Arbeit. Die Fülle Gottes ist keine Garantieversprechen bei man oder frau sich ein "Wünschdirwas" fordern kann. Oder hört beispielsweise auf Konfi-Sprüche als einen Akt der Selbstauswahl, als Kommunikationsakt zu sehen. Verkündigt den Menschen ihre Bibelsprüche. Wir säen, Gott erntet. Gott diskutiert nicht mit uns. Er verkündet. Er hat was zusagen, ohne wenn und aber, nämlich: Es ist eine Wucht in uns. Eine Wucht der Befreiung von Kleingeistigkeit, Nachbesserungs-OPs oder Reichtum oder kirchlicher Existenzangst, weil Geld fehlt.

Und: Ohne diese Hoffnung der Fülle ist alles nichts. Mit dieser Hoffnung ist alles Kraft, Herrlichkeit und Zukunft über die Rente und Tod hinaus. Dies ist die Fülle, die alles in allem erfüllt.

Das mag manche erschrecken, diese Wucht, selbst Kuttenträger. Der Schrei nach Geld ist ein Schrei nach Gestaltung in uns. Mit Geist und Händearbeit wuchtig die Zukunft gestalten ist die Botschaft. Also: Wir sind - sozusagen - Wuchtbrummen des Evangeliums.

Und das ist die Botschaft hier und heute, am Tag, an dem der Himmel offensteht: Die Wucht des Evangeliums ist diese Fülle, die in uns alles in allem erfüllen kann.

 

Amen.

 Und Gottes Macht mache uns stark, zuversichtlich und bereit, seine Fülle in uns zu leben. Amen.