Thema: Vollkommen verstanden (1. Kor 14, 1-3.20-25)

Predigttext: 1. Kor 14, 1-3.20-25

1 Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede!

2 Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht ihn, vielmehr redet er im Geist von Geheimnissen.

3 Wer aber prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung. …

20 Liebe Brüder, seid nicht Kinder, wenn es ums Verstehen geht; sondern seid Kinder, wenn es um Böses geht; im Verstehen aber seid vollkommen.

21 Im Gesetz steht geschrieben (Jesaja 28,11-12): »Ich will in andern Zungen und mit andern Lippen reden zu diesem Volk, und sie werden mich auch so nicht hören, spricht der Herr.«

22 Darum ist die Zungenrede ein Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen; die prophetische Rede aber ein Zeichen nicht für die Ungläubigen, sondern für die Gläubigen.

23 Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen?

24 Wenn sie aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen geprüft und von allen überführt;

25 was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist.

 

1.      Einleitung

„Vor dem Reden Gehirn einschalten“. Dieser Satz hat sich mir nun wirklich ins Hirn gebrannt. Er hing im Sekretariat meiner Schule. Und selbst heute, nach 30/40 Jahren bleibt mir der Satz im Hirn haften. „Vor dem Reden Gehirn einschalten“. Diese Satz hat mich seinerzeit immer derart eingeschüchtert – man glaubt’s heute kaum – dass ich mich kaum getraut habe, was zu sagen. Denn – ich war ein Bub vom Dorf und so was hatten wir in der Dorfgrundschule nicht gelernt. Da musste ich Hochdeutsch lernen. Die eher dörflich, bäuerliche, aber nicht minderschlaue Praxis meines Alltags musste sich in der Grundschule erst mal an feste Schulzeiten gewöhnen; und dass man auch auf dem Stuhl sitzen bleiben und nicht herumlaufen darf, wenn es die Füße wollten. Sich Melden. Dass Schulen also seltsame Regeln aufstellen, wusste ich schon. Lesen, Schreiben, Rechnen, Malen – die vier Grundtechniken kann ich auch. Ich kam also vom Dorf und war nun gerade 10 Jahre alt in die 15 km fernen Kreisstadt. Und hier musste ich mir eingestehen, dass hier die wahrhaftig Schlauen zu Gange waren. Kurz: Man hatte mir mit 10 Jahren und schon 4 Jahre Grundschule noch nicht beigebracht, mein Gehirn einzuschalten. Dass man das konnte, wusste ich damals gar nicht. Und nun kam das Wunder. Aber irgendwie konnte ich schon reden. Und nun das: Vor dem Reden das Gehirn einschalten. WOW.

Wissen Sie es, wie man das Gehirn einschaltet? Vor allem, wie man es abschalten kann?

Bis heute habe ich es nicht gelernt, mein Gehirn einzuschalten. Und ich hab studiert Theologie und Betriebswirtschaft, Abschlüsse und einen Dr. Titel und – ich hab nie mein Gehirn eingeschaltet. Ist das nicht ein Wunder? Sicher, gelernt habe ich, dass es bei offensichtlichen Aussagen auch einen Hintersinn geben kann. Wer also sagt: „Vor dem Reden Gehirn einschalten“ meint gar nicht, dass man das Gehirn einschalten soll oder kann. Irre gell oder haben Sie, Ihr schon die Ironie (griech: eironeia), die Vortäuschung in diesem Satz verstanden. Haben Sie schon durch die Aussage hindurch gesehen, dass der Satz was anderes aussagen will, als er eigentlich sagt. Oder sehen Sie schon immer das, was dahinter liegt?
Omi, du bist lieb => Dahinter, was will das Enkelkind.
Chef, super => Meine Güte wie ein Angeber
Die Renten oder die Spareinlagen sind sicher => Beruhigung

Um etwas richtig zu verstehen, muss man nicht nur das Gehirn einschalten, sondern vor allem auf die Worte hinter den Worten hören. Denn – dahinter kann der Satz eine ganz andere Bedeutung.  "Die Holländer tun mir so leid." "Man bist du intelligent. "

Verstehen Sie schon Sätze, die geschrieben das Gegenteil aussagen, was man geschrieben sieht. Haben Sie dazu ihr Gehirn eingeschaltet, damit sie es scheinbar wie durch ein Wunder den wahren Inhalt entschlüsselt? Verstehen – das ist also die Frage des Anschaltens.

2.      Textbezug: Verstehen – vollkommen.

Auch im heutigen Predigttext geht es um das „Gehirn einzuschalten“, um das Verstehen.

Vers 20: „Liebe Brüder, seid nicht Kinder, wenn es ums Verstehen geht; sondern seid Kinder, wenn es um Böses geht; im Verstehen aber seid vollkommen.“ Vollkommen verstehen – das fordert uns Sosthenes, der einer der beiden Verfasser des Briefes auf; und der Apostel Paulus. Paulus und er haben diesen Brief verfasst an die Gemeinde in Korinth.

Die christliche Gemeinde in der griechischen Hafenstadt Korinth entstand bei der zweiten Missionsreise des Paulus um 50 n. Christus (Claudius war röm. Kaiser). Paulus war längere Zeit in Korinth und bekehrte scheinbar erfolgreich jüdische Gemeindeglieder der Synagoge und Griechen zum Glauben an den Christus. Möglicherweise ist der hier im Korintherbrief erwähnte Sosthenes (griech. »der Kräftige«) identisch mit dem Vorsteher der Synagoge in Korinth. In der Apostelgeschichte (Kap. 18) wird von einem Sosthenes berichtet, der  von seinen jüdischen Glaubengenossen verprügelt wird. Ob er von Männern oder Frauen verprügelt wurde, wissen wir nicht. Wenn dem so wäre, dass sein Mitapostel – zurückgelassen in Korinth – in eine innere Auseinandersetzung geraten ist, lassen sich auch eventuell die für Paulus eher untypischen frauenfeindlichen Sätze des Korintherbriefs „Frauen sollen schweigen in der Gemeinde. Sie sollen sich unterordnen“ und „zu Hause ihren Mann fragen“ (1. Kor. 14,34/35)“ zu verstehen. Frauen sollen sich nicht in der Gemeindeversammlung einmischen.

Frauen würden aber sich doch niemals in so was einmischen, rumkrakelen und stänkern und hintenrum Stimmung machen. Frauen niemals. ;-)

Tja – auch damals galt: Hirn einschalten und auf das dahinter hören. Also: Sosthenes und Paulus fordern uns auf, dahinter zu sehen und nicht vorrangig sich dem Zank und dem schnellen Geschrei hinzugeben. Denn das Ziel des Verstehens ist Glaube, Hoffnung, Liebe; aber die Liebe ist die größte unter ihnen. So das Hohelied der Liebe im Kapitel 13 des Korintherbriefs. Deshalb sollen wir – so der Predigttext - uns der prophetischen, der gestaltenden Rede widmen. Also einer Rede, die motiviert, die aufbaut, die unterstützt, die fördert. Rede, die Zusprache, Verstehen und Motivation schafft.

Dagegen steht Zungenreden – so der Text. Im Grunde ist Zungenreden ein ekstatischer Zustand, indem Menschen unartikuliert Dinge aussagen. Wer schon mal einen Schlaganfallpatienten mit einem verschobenen Sprachzentrum erlebt hat oder sich selbst aufziehende Kinder beim Brabbeln und rum tobben. Heute wird Zungenreden in der ev. Kirche kaum noch praktiziert. Ich selbst habe das im Dorf bei den Pfingstgemeinden schon erleben dürfen. Es ist für uns Evangelische eher eine Effekthascherei, obwohl es Menschen gibt, die in Ekstase weissagen: Nicht alle Regionen unseres Gehirns sind eben aufgebaut wie eine Maschine, die man anschalten kann. Scheinbar wollten die Korinther mit diesem Showeffekt einen neuen Zungenschlag in die Gemeinde tragen.

3.      Christologischer Bezug: Kreuz/Auferstehung erkauft uns „Verstehen“

„Ihr seid teuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte!“ (1 Kor 7, 23).

Durch Kreuz und Auferstehung wurde uns ein Teil unseres Gehirns und unser Menschseins frei- und angeschaltet, mit dem wir die Werte hinter den Menschenworten verstehen und sehen können. Wir sind teuer durch Christi Leiden und seine Auferstehung erkauft, damit wir „verstehen“, was den Menschen gegenüber Gott ausmacht. Wir dürfen uns und den/die anderen neben uns als Begnadete Gottes empfinden und verstehen. Das Menschsein wird von Gott in uns angeschaltet. Und deshalb ist es die Aufgabe von uns Christen, wie der Vers 25 ausdrückt: Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter uns ist. Aber wie kann das Funktionieren, dass wir auf die Hirnregionen und die Werte hören, die der Glaube in uns anschaltet?

4.      Verstehen heißt Zukunft sehen

(1) Zunächst: Nicht alles, was klar, eindeutig und verständlich scheint, ist es auch. Die Botschaft dahinter, hinter dem „Gut“, wenn man „Wie geht es?“ fragt. Hören wir zu? Verstehen wir Nöte, Ängste, Freude wirklich? Oder sind wir auf dem Sprung und wollen nur freundlich sein? Also genau und dahinter hinhören, um den Menschen zu sehen und zu verstehen, ist die erste Aufgabe.

(2) Sodann: Nicht alles was wir gelernt haben, ist auch wirklich, wirklich wahr. Sicher, manches klingt unglaublich. Aber ist es auch unmöglich? Oder lassen wir uns durch unsere Ansichten, unsere Vorannahmen nicht zu schnell täuschen? Ein Beispiel: Frauen schlagen nicht? Man sollte nicht nur den Sosthenos fragen. Vor drei Jahren habe ich als Verleger eine wissenschaftliche Untersuchung herausgegeben: Physische und psychische Gewalt gegen Männer in heterosexuellen Partnerschaften. Frauen schlagen ihre Männer. Wie in allen anderen westlichen Ländern auch, ist die Quote identisch gleich. Prozentual schlagen genau so viele Frauen ihre Männer wie Männer ihre Frauen. Glauben Sie nicht? Nun, in Deutschland wird die Forschung – so musste ich erleben - massiv ideologisch beeinflusst. Männerhäuser für geschlagene Männer hört sich eben seltsam an, weil wir Vorannahmen haben und diese automatisch für wahr erachten. Pustekuchen. Das Buch bietet – neben den Studien aus den USA, Schweden und Frankreich - Interviews mit 17 geschlagenen Männern. 17 Männer, bis auf einen alle studiert, teils mit Promotion. Dabei war der Tritt in die Hoden noch eines der geringsten Vergehen. Also Aufgabe 2: Nicht alles, was wir glauben oder nicht glauben können, was wir als Grundannahmen so verinnerlicht haben, dass wir diesem blind vertrauen, ist auch so wie wir uns das denken.  Dahinter schauen, Hirn einschalten – und die Liebe Christi in dem anderen sehen, ist die zweite Aufgabe.

(3) Schließlich als Drittes gilt es, die Menschen durch prophetische Rede zu fördern: Motivieren, Aufbauen, Anlächen – ja einfach guten Morgen, guten Tag sagen, wenn die Menschen gedankenverloren, kopfgesenkt durch die Stadt gehen. Prophetische Rede – das ist das Gehirn des anderen einzuschalten dadurch, dass ich ihn als Mensch, als geliebter von Christus sehe. Ungeachtet dessen, was er ist oder hat oder nicht ist und nicht hat.

Vollkommen verstanden? Nein, nicht schlimm. Gott versteht uns, und das dürfen wir weitergeben, auch wenn wir nicht alles "verstehen".

 

Amen

Und die Liebe Gottes trage uns zu den Menschen, die uns benötigen. Sie stärke unsere Zuversicht und Zukunftshoffung, auf dass wir Mut, Freude und Motivation erleben dürfen – gemeinsam.

Amen.  

Lied: 136, 1-4 O komm du Geist der Wahrheit