Thema: Gewinn des Lebens (Phil 3, 7-11)

Predigttext: Philipper 3, 7-11 (12-14) 

7Aber was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden geachtet. 8Ja, ich achte es noch alles für Schaden gegen die überschwängliche Erkenntnis Christi Jesu, meines HERRN, um welches willen ich alles habe für Schaden gerechnet, und achte es für Kot, auf dass ich Christum gewinne 9und in ihm erfunden werde, dass ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an Christum kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird, 10zu erkennen ihn und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden, dass ich seinem Tode ähnlich werde, 11damit ich gelange zur Auferstehung der Toten. 12Nicht, dass ich's schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich's auch ergreifen möchte, nachdem ich von Christo Jesu ergriffen bin. 13Meine Brüder, ich schätze mich selbst noch nicht, dass ich's ergriffen habe. Eines aber sage ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich zu dem, was da vorne ist, 14und jage nach dem vorgesteckten Ziel, nach dem Kleinod, welches vorhält die himmlische Berufung Gottes in Christo Jesu.

 

1.      Einleitung

Nach § 4 des Einkommensteuergesetzes der Bundesrepublik ist Gewinn "der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss eines Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen."
Der Gewinn des dritten Platzes bei der WM ist beachtlich; auch wenn die Jungs gerne mehr gemacht hätten.
Gewinnstreben ist eine Grundeigenschaft der Menschen und des Kapitalismus. Heute muss natürlich noch das Wort "nachhaltig, ökologisch" dazu. Gewinn wird heute vor allem in Euro, an einem Siegerplatz/Medaille oder in Prozent gemessen. Verglichen wird – wie beim Einkommensteuergesetz – meist mit dem Vorjahreszeitraum oder dem Vormonat. Wir kennen das aus den Nachrichtensenden, wenn z.B. Preissteigerungen vom Juli 2010 dem Vorjahresmonat Juli 2009 gegenüber gestellt werden.
Gewinn ist einfach ausgedrückt: Mehr als Vorher.
Vor allem soll er planbar sein, nach gewissen Gesetzen und Gesetzmäßigkeiten erzielt werden. Wer sich an die Regeln hält, der gewinnt. Aber wie nicht anders zu erwarten, klappt das nicht so immer so, wie man sich das geplant hat. WM Titel is nun doch nich, obwohl geplant. Der Zinssatz ohne Verlust? Mist die Finanzkrise schlägt zu. 
Verbunden mit dem Begriff "Gewinn" ist heute mit dem Wort "Verlust", als Ausdruck des Gegenteils.
Man gewinnt, man verliert. Stillstand ist Rückschritt im Leben, in der Liebe, im Beruf, in der Wirtschaftswelt und sogar in der evangelischen Kirche. Auch dort gibt es Gewinnler, die mehr Gemeindeglieder und Kirchensteuer generieren. Auch unsere Kirche ist und denkt nicht anderes als wir das kennen. Die Zahl der sinkenden Kirchenmitglieder wird als dramatischer Weltuntergang gesehen, als Verlust von Identität und Glaube in Deutschland verstanden. Deshalb werden "Gewinnerstrategien" entwickelt wie im Papier der EKD "Kirche der Freiheit", wo es darum geht, "auf Teufel komm raus zu missionieren." Mehr Schafe, mehr Wolle, mehr Kirchensteuer. Planbar muss in die Zukunft gegangen werden. Sie sehen, Gewinn ist der große Trend und Verlust bedeutet Verlierer zu sein. Mehr als Vorher – das ist Gewinn. Mehr Bildung, mehr Geld, mehr Liebe, mehr Erfolg beim Beruf, mehr Ansehen in der Gesellschaft, mehr Beachtung in der Schule, mehr Klamotten, mehr Freude bei Facebook.
Idealerweise natürlich mehr ohne Einsatz und mit einem genialen Plan wie man nach oben, nach "mehr" kommt; also bitte recht freundlich und Mehr als Vorher. Und das 21. Jahrhundert scheint geradezu auf diese Mehr ohne Einsatz ausgerichtet zu sein: Mehr durch Erben statt durch Verdienen, Fahren ohne Kosten (Führerschein von Oma, Auto von Eltern), Waschen ohne Bügeln, Essen ohne Anbau, Das Mehr als Vorher, der Gewinn wird im Leben zu einem beherrschenden Prinzip.

2.      Textbezug: Gewinn bei Paulus

Auch Paulus spricht in seinem Brief an die Philipper, an Menschen in der Stadt im griechischen Mazedonien, vom Gewinn. Die Gemeinde hatte Paulus auf seinen Reisen gegründet und er schreibt nun aus der Römischen Gefangenschaft um 60 n. Chr. diesen Brief. Er lässt so seine 15-jährige Missionstätigkeit nochmals Revue passieren. Auch die Welt vor fast 2000 Jahren scheint – so Paulus Ausführungen – auf Gewinn ausgerichtet zu sein. Das Streben nach mehr, auf den eigenen Vorteil ausgerichtet. Dabei fällt auf, dass Paulus nicht von Verlust, sondern von Schaden redet, wenn er das Gegenüber von Gewinn beschreibt.  Seine Worte sind drastisch, direkt und ungeschönt. Paulus sieht alles Gewinnstreben des Menschen für nichts an. Gewinn ist Schweiße, so in Vers 8. In der Lutherbibel wir das griechische Wort "skubala" [SKÜBALA] mit Dreck übersetzt. Wörtlich heißt es: Kot. Gewinn ist Kot, Schweiße eben. Und warum ist Gewinn für Paulus "Scheiße", Mist?

Die Antwort ist einfach: Gewinn will uns planbar in die eigene Zukunft steuern; so der Schein des Gewinns. Gewinn suggeriert uns, wir könnten uns selbst Mehr als Vorher bescheren. Planung und Gesetzlichkeiten werden dann zu der Bedingung um das Mehr zu bekommen. Und für Paulus gilt dies auch für das jüdische Gesetz und die damit suggerierte Planbarkeit für das eigene Heil Gott gegenüber. Ob die Tora jemals so verstanden werden will, ist unerheblich. Für Paulus geht es nicht um die jüdische Tora, die Levithen, sondern um die Grundfrage: Kann das Leben ein Gewinn sein, wenn ich glaube, ich könnte mein Leben planen und in meine Gesetz pressen? Der Eigennutz, die eigene Lebensstrategie wird dann zum Ziel des Gewinns im Leben. Dieser Vorstellung erteilt Paulus eine radikale Abfuhr. "Du Narr, heute nach wird deine Seele von dir gefordert und was dann?" (Lk 12, 20).

Was veranlasst Paulus zu einer derartigen Erkenntnis? Seine Antwort ist einfach: Die Erfahrung, dass im Kreuz und Auferstehungsgeschehen jede Planung für das eigene Lebensheil Nonsens wird. Und was meint Paulus damit: "Nichts ist ein Gewinn denn durch Jesus als Christus". Würde man das in die heutige Sprache übersetzen, geht es um etwas sehr einfaches, ja fast Banales. Der Eigennutz, das eigene Streben, das "Mehr als Vorher haben wollen" wird im Angesicht der eigenen Endlichkeit zu Staub, Dreck, Mist. Die selbst erzeugten Sicherheiten, die Gewissheiten von Bankkonten, Renten, Schulabschluss, Karriere oder auch von körperlicher Unversehrtheit sind nichts im Angesicht, dass wir heute oder morgen oder später sterben werden. Und was hilft dann?

3.      Christologischer Bezug: Evangelium bedeutet Chancen jenseits des Gesetzes erhalten

Wir Christen leben, reden und predigen – zumindest sollten wir das tun – nicht von einer Planbarkeit des Lebens. Durch den Glauben an das Evangelium öffnet sich der Horizont der Zukunft. Einer Zukunft, die auch und vor allem jenseits der Planbarkeit und der gesetzlichen Berechenbarkeit von Leben gedacht und gelebt wird. Und was ist das Evangelium letztlich anderes als die radikale Anfrage an die Planungen und die Steuerung und Regelungen, mit denen wir versuchen, Leben und die eigene Zukunft in den Griff zu bekommen.

Gesetz und Planung ist Mist, es kann düngen – sicher - oder aber auch einfach nur vor sich herstinken. Wenn Planung zu Gesetz, zum Zwang, zur Tretmühle des Lebens wird, dann geht das verloren, was die frohe Botschaft, das Evangelium aussagen will. Sie lautet: Nicht Dogmen, Glaubensbekenntnisse, Liturgien oder Lieder sind der Halt des Lebens in Christo, sondern die einfache Botschaft, dass es jenseits der Gesetze eine Vielzahl von Chancen im Leben mit Zukunft gibt. Was bedeutet Evangelium damals und heute anderes als dies: Chancen jenseits der Gesetze und Planungen zu sehen und zu wahrnehmen.

Das Evangelium (die unsinnige Planung Gottes in Jesus Christus!) wirft uns zurück auf die eigene Endlichkeit und den Nonsens der Planbarkeit. Die Botschaft, unsere Botschaft, ist klar, einfach und – ich finde – brillant:

Wer den Blick auf die Endlichkeit verdrängt, verdrängt sein Leben, verdrängt die Chancen, die sich ergeben werden und können, wenn wir nur die Gesetzmäßigkeit, die Planungswut hinter uns lassen. Wer glaubt, dass er oder sie mit den irdischen Gütern sich seine Endlichkeit in eine Unendlichkeit umwandeln kann, ist eine arme Socke.

4.      Evangelischer Gewinn ist … Chancen sehen, annehmen

Leider sehen wir auch hier in Bad Soden viele Menschen, die lieber als geistlich arme Socke mit Reichtum, Bildung oder Wohlstand protzen denn sich der eigenen Endlichkeit und der daraus entstehenden Verantwortung bewusst stellen. Chancen sehen und diese jenseits der eigenen Pfade annehmen, ist die Aufgabe von Christen. Und das ist das eigentliche Evangelische im Leben. Es geht nicht um schöngeistige Gläubigkeit oder um lautes Schreien beim Beten, sondern um die Gewissheit, dass Gott uns an diesen Platz setzt, damit wir die Chancen in unserem Leben sehen, annehmen und nutzen. Sicher: Wohlstand, Internet, Schönheit und Geld ist ein Ruhepolster; aber dieses Polster bettet uns nicht im Sarg oder versüßt die Asche in der Urne. Was bleibt ist die Gewissheit, das evangelisches Leben jenseits von Regelungen, Planungen und Gesetzen gelingen kann und wird. Was bleibt ist, dass Liebe auch den Tod überwindet. Was bleibt ist der Gedanke an die lieben Menschen und Taten in unserem Leben. Nicht als Heil, aber als Heilung von verkümmerten Seelen. Und unsere verkümmerten Seelen sind es, die heute durch den Predigttext mit angesprochen werden. Seelen, die sich einnisten wollen ins Irdische. Der Gewinn von dem Paulus spricht, ist eben nicht "fassbar", nicht "mit Zinsen prolongierbar" oder nicht auf eine hohe Kante deponierbar.

Der Gewinn im Leben ist das Leben selbst, wenn die Chancen im Leben (oder besser das Evangelium im Leben) fruchtbar werden. Dann wird das "Mehr als Vorher für mich" zu einem "Mehr für andere". Für Menschen die uns brauchen. Das Mehr ist ein Mehr durch Zuneigung, Liebe und Verantwortung. Die Aufgabe ist, je nach Können, Vermögen und Kondition, seinen oder ihren Beitrag dem Gelingen von Leben zu widmen; für sich selbst, für andere. Der wahre Gewinn – so Paulus und wir als Christen – ist das Leben als gelingendes, als chancenreiches Leben zu ermöglichen. Alles andere ist – mit Paulus – Mist. Ein Mist, der uns lediglich abhält vom gelingenden Leben, das wir im dankbaren Lächeln des Gegenübers sehen können; im Erfolg von Erziehung; in einer Partnerschaft oder auch im Begleiten beim Leiden und Sterben – selbst wenn es schwer fällt.

Amen 

Und Gottes Gewinn, sein Mehr als Vorher in Christus Jesus für uns, bewahre unser Leben und erwecke unseren Blick für die Chancen im Leben.. Amen.