Thema: Mut, Zukunft zu gestalten

Lukas 5, 1-11 (Text vorlesen) – Die Berufung des Simon

1.      Einleitung

Die Welt, in der wir leben, ist in Bewegung. Neues bricht jeden Tag auf. Jeden Tag ergeben sich neue, bisher ungeahnte Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt; im Großen wie im Kleinen.

Nicht allein durch die Finanzkrise nehmen wir in der Wirtschaft, im Staat und in der Gesellschaft die Umbrüche wahr. Überall zeichnen sich Frakturen, Risse des bisher Gewohnten ab oder immer neue Herausforderungen ergeben sich: Krankensystem, Staat, Wirtschaft, Rentenabsicherung, Pflegesysteme, Globalisierung, um nur einige zu nennen.

Auch im Kleinen, im eigenen Leben und dem persönlichen Umfeld ist es nicht anders. Bewegung, Veränderungen, Brüche im Bisherigen. Manche positiv, manche negativ. Selbst die kleinsten Veränderungen, wenn wir älter werden merken und registrieren wir. Die beschwerlich werdenden Treppenstufen, das Knie beim Joggen, die Konzentration, die Seeschärfe oder auch das Größer und Eigensinniger Werden der Kinder. Immer neue Aufgaben, Methoden, System im Beruf und auch die bisher vielleicht unbekannte Unsicherheit um den Job.

Die Welt ist in Bewegung, in stetiger Veränderung.

Die letzten Jahrzehnte in Deutschland waren sicher auch Wandlungen unterworfen, aber es war eine "Friedenszeit" ohne Kriegsbeteiligung, eine Zeit des Wohlstandes, der stabilen Währung. Selten in den Geschichten der Menschheit sind 60 Jahre als eine derartige Zeit bekannt. Das Fundament, auf dem wir gebaut haben, schien stabil und unverrückbar.

Und doch gilt: Die Welt als Fundament ist eine runde Kugel, auf der wir leben. Und diese Kugel rast mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit von 500 Meter pro Sekunde oder 1.674 km/Stunde (am Äquator) rotierend durch das Weltall rast. Diese rotierende Welt ist unser Fundament. Kein Wunder, dass Wandel und Veränderung die Basisstation ist auf der wir leben.

Das Fundament – besonders für uns Christen – ist scheinbar nicht unter unseren Füßen, sondern ein Firmament über unseren Köpfen.

Bewegung, Veränderung, Brüche mit dem Alten sind das Zeichen der Welt, in der wir leben.

Der Drang nach der bisher geglaubten Klarheit, nach dem Gewohnten wird dabei häufig übermächtig, wenn die Bewegung zu schnell wird. Wir klammern uns an das Alte, an das Bekannte, an das Gewohnte, ohne eigentlich zu ahnen, dass das Bisherige in dieser Welt sich schon weitergedreht hat. Telefone sind nicht mehr nur grün, mit Schnur oder kommen von der Post. Familien bestehen nicht mehr nur als zwei Elternteilen mit Kindern, sondern auch aus 80-jährigen Müttern, die ihre 60-jährige Kinder pflegen oder aus 3,4,5 Elternteilen in Patchwork-Familien.

Auch Kirche und das, was wir als Kirche gewohnt sind, ist ständig in Bewegung. Was und wie Gottesdienste aussehen, wie Konfirmandenunterricht gestaltet wird, welche Finanzmittel zur Verfügung stehen, welche Gebäude und Mitarbeiter erhalten bleiben sollen – all dies sind Zeichen der Veränderung. Das, was gestern sicher, klar, distinkt war, ist mal in Erosion, mal kurzzeitig stabil oder doch niemals auf ewig "gesichert".

2.      Textbezug

Auch der heutige Predigttext berichtet von einem Neuanfang, von einem ungewissen Schritt in die Zukunft, von Wandlungen, von Veränderungen.

Jesus redet vor Menschen am See Genezareth in Galiläa. Er nutzt das Boot von Simon, um zu dem Menschen zu reden. Was Jesus sagt, ist uns nicht überliefert.

Auch bei den Evangelisten Matthäus und Markus steht die Geschichte der Berufung des Simon. Sie lassen aber die Rahmengeschichte von der Menschenmenge und vor allem das Fischereiwunder weg. Bei ihnen ist der Blick allein auf die Nachfolge des Simon fokussiert und dem seltsam anmutenden Begriff des "Menschenfischers".

Für Lukas aber, also unseren Predigttext, sind die Rahmengeschichte und das Wunder mit dem erneuten Fischfang wichtig. Jesus will, dass Simon erneut an einer anderen, für den Fischerei-Experten ungewohnten Stelle erneut seine Netze auswerfen soll. Simon als Experte des Fischfangs ist zögerlich, will aber der Empfehlung eines predigenden Zimmermanns eine Chance geben. Irgendetwas an der Rede Jesu muss Simon – so wie Lukas berichtet – berührt haben. "Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen." Warum nicht, mag sich Simon gedacht habe. Wie kritisch er über den "Experten" Jesu denkt, macht die Reaktion nach dem erfolgreichen Fischzug deutlich. Simon ist hin und weg - würden wir heute sagen. "Das hätte ich als Fischexperte niemals gedacht." Und hier kommt das Entscheidende der heutigen Predigtstelle. Simon ist erschrocken über sein – wie er es nennt – sündiges Verhalten: "Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch." Er meint damit: "Ich habe dir nicht vertraut. Ich habe nicht geglaubt, dass die Zukunft anders sein kann, als ich dies erhofft habe."

Und es ist gerade diese Besonderheit Jesu, die allerorts in den Evangelien berichtet wird, die Besonderheit, in Menschen mehr zu sehen als deren Vergangenheit, als deren Bildung, Titel, Abstammung, Rasse oder Religion. Jesu Blick liegt nicht in der bisherigen Kompetenz des Menschen, es liegt nicht darin, ob jemand einen Titel wie Schriftgelehrter hat oder als Experte in seinem Beruf gilt. Jesus ist auch nicht wichtig, ob jemand eine – in damaligen Augen verabscheuungswürdige – Handlung wie Ehebruch, Sabbatarbeit oder einen geächteten Beruf hat (wie Zöllner). Noch spielen körperliche Behinderungen ein Hindernis.

Jesu Besonderheit liegt in der Fähigkeit, von der Zukunft her auf die Menschen hin zu sehen. Das zu sehen, was diese Menschen noch vermögen, welche Anlagen, welche Perspektiven sie haben, was sie bewegen kann.

Sein Blick, seine Rede und sein Handeln eröffnen den Mut für die Zukunft von Menschen, egal, was sie bisher gewesen sind, bisher gemacht haben oder welchen Beruf sie hatten. Für diese Aufgabe, Mut in die Herzen der Menschen zu setzen, neue ungewohnte Wege und Denkweisen zu gehen, dazu ruft Jesu Simon und uns auf: Sammle, fische die Menschen, die Mut zur Zukunft und zur Veränderung haben

3.      Christusbezug

Den Mut zur Zukunft, diese Botschaft Jesu wird in Kreuz und Auferstehung nochmals klarer gefasst. In der Gewissheit, dass Zukunft niemals allein aus menschlichem Gelingen und ohne Gott funktionieren kann - das lehrt uns der christliche Glaube: Du brauchst und darfst auch in der Gewissheit des menschlichen Scheiterns, der eigenen Fehler den Mut zur Zukunft nicht verlieren. Denn der Tod als die einzige empirisch gesicherte Gewissheit der Menschheit ist nicht das Ende, sondern der Anfang und zugleich das christliche Symbol in Kreuz und Auferstehung für die Hoffnung auf die Zukunft.

Durch Sterben, Tod und Auferstehung Christi sind wir als Christen aufgerufen im Leben, den Mut für eine neue Zukunft niemals sinken zu lassen. Denn wie Simon sind auch wir aufgerufen, den Mut für die Gestaltung der Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Mal im Kleinen oder auch an den grundlegenden Umbrüchen des Lebens.

4.      Übertragung

Und wie sollte das heute am 12. Juli 2009 aussehen, den Mut zur Gestaltung der Zukunft anzunehmen?

Zunächst geht es darum den eigenen Kleinglauben, das Beharren auf dem Vergangenen, kritisch in den Blick zu nehmen. Der Blick von uns Christ ist auf den Himmel, das Firmament über uns gerichtet (erhobenen Hauptes) und weniger auf das Fundament und den ängstlichen Blick auf den Boden. Das Reich Gottes kommt von vorne auf uns zu. Wir sollen und dürfen ihm entgegen gehen.

Sodann brauche ich - egal, welchen Beruf oder welche Kompetenz ich habe – niemals daran zweifeln, dass ich Neues, Unbekanntes, Ängstigendes noch wagen und gestalten kann. Sicher - nicht alles, was geht, ist auch gut. Deshalb sind wir gerufen, zu prüfen. Die eigenen bisherigen und auch gerade neuen Kompetenzen sind einzusetzen, um festzustellen, ob sie uns als Christen, Mut für die Zukunft machen oder nicht.
Selbst wenn Menschen Krankheiten, Gebrechen, Verzagtheit, Ausweglosigkeiten oder vielleicht Bewegungseinschränkungen im Alter haben, bedeutet Christsein eben nicht, dass Alte, Gewohnte auf Ewig gegen alle Zukunft zu bewahren, sondern mutig voran zu schreiten, um einen neue Zukunft zu gestalten.

Schließlich hat dies auch Gültigkeit, wenn es um die Gestaltung von neuen Strukturen oder eines neuen Denkens geht; auch in der Kirche oder Gemeinde.
Vergangenes bedeutet häufig auch erfahrene und tief eingebrannte Verletzungen. Es bedeutet auch, Niederlagen und negative Erfahrungen, die nicht mehr mutig zu machen scheinen, aufzunehmen. Nicht die Hoffnung stirb zuletzt, sondern das Verharren in Mutlosigkeit.
Gerade an diesem Ort, in der Matthäuskirche ist dies leidvoll und widerständig erfahren worden. Verletzungen von außen, aber auch Verhärtungen, Frustration, Widerständigkeit.

Es ist Zeit zum Aufbruch. Es ist Zeit, Mut zur Gestaltung der Zukunft zu zeigen, trotz und gerade wegen des Vergangenen. Es gilt mutige Christen zu sammeln im Blick auf die zukünftigen Aufgaben und Veränderungen.
Und weil es in unserem Himmel, in der Zukunft in Christus, die von vorne auf uns zukommt, keine Besitzstandswahrung gibt; also kein Anrecht auf menschliches Recht und traditionelle Gewohnheit. Weil in der Zukunft des Reiches Gottes – so verkünden wir es als Christen - nicht nach menschlichem Recht wie Ansehen, Geld, Immobilien, Besitz, Titel oder Urkunden geurteilt, sondern nach dem, was nach dem Evangelium Recht und Gottes Gerechtigkeit ist, dürfen wir Mut haben, Mut aufbringen, Mut leben; und unsere Hände und unser Hirn, Zukunft gestalten lassen.

Auf geht’s!

Amen

 

Und Gottes Zukunft bewahre unseren Mut, unsere Fähigkeiten und unseren Bereitschaft dazu, die Zukunft zu gestalten. Amen.