Predigt zum Sonntag Septuagesimae (70 Tage vor Ostern)

Text: Matthäus 9, 9 - 13

Thema: Recht und Gerechtigkeit

1.         Einleitung

Die Zahl der Rechtssprechungen und Verfahren vor Gerichten in Deutschland nimmt jedes Jahr dramatisch zu. Mit Schnellverfahren wird versucht der Masse an Verfahren Herr zu werden. Selbst die kleinsten Nichtigkeiten (aus Sicht der betroffenen sind das natürlich wichtige Aspekte) wie überhängende Äste, spitze Worte, Familienstreitigkeiten werden heute nicht mehr zwischenmenschlich geregelt, sondern müssen in einem Gerichtsverfahren geklärt werden. Das Fernsehen hat selbstverständlich auch diesen Trend zum Klagen vor Gerichten aufgenommen, und hat seine eigenen Richter und Richterinnen. Es ist doch schön auf der Gerichtsbank oder dem Fernsehsessel zu sitzen, und der Verhandlung zu folgen. Die Parteien vor Gericht sind doch mitten aus dem Leben gegriffen. Ob es um Geld geht oder Sträucher am Zaun – alle Beteiligten fordern Ihr eigenes Recht ein. Wer erhält Recht? Wer glaubt sich im Recht? Es scheint ein Rechtsempfinden zu geben, das mehr Rechthaberei ähnelt. Gerade Menschen, die enttäuscht werden durch die Urteile, scheinen den Glauben in das Rechtssystem zu verlieren. Glücklicherweise sind wir ja fast alle versichert und können so unser Recht einklagen, selbst wenn es in eine weitere Instanz geht. Wofür habe ich schließlich mich versichert, wenn ich kein Recht bekomme? Schließlich möchte ich doch gerecht behandelt werden und der Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied.

Recht und Gerechtigkeit sind zweierlei.
Gerechtigkeit – das ist nicht die Aufgabe von Gerichten. Die Richter sind nicht dazu da, Gerechtigkeit zu erzeugen, sondern ihre Aufgabe ist es, im Rahmen der Gesetze Recht zu sprechen. Der Unterschied lässt sich einfach erklären und wird doch immer wieder vermischt. Für Gerechtigkeit gibt es keine Gesetze, auch wenn dies mit den Menschenrechten oder dem Grundgesetz versucht wurde. Gerechtigkeit entzieht sich uns Menschen. Wir können nur versuchen, uns dem was gerecht ist, anzunähern. Beispiel: Ist es gerecht, wenn wir 400000 Rinder töten? ist es gerecht, wenn wir die Welt so ausbeuten, dass die Folgen für die nachfolgenden Generationen nicht klar sind? Gerechtigkeit beantwortet die Frage nach dem, was gerecht ist oder ungerecht.
Recht dagegen ist einfach: In Gesetzen oder Rechten wird festgelegt, was richtig und falsch ist. Beispiel: Die gesetzlichen Vorgaben für Emissionen und Verschmutzungen sind geregelt. Und anhand von Messungen kann ich überprüfen, ob es richtig oder falsch war.

2.         Predigttext

Auch in dem heutigen Predigttext geht es um die Frage nach richtig und falsch und was dies mit der Gerechtigkeit zu tun hat. Matthäus berichtet von den Berufung des Jünger Matthäus. Vielleicht hat sich der Schriftsteller des Evangeliums hier selbst eingetragen. Die gleiche Geschichte finden wir bei den Schriftstellern des Markus und Lukasevangeliums. Markus und Lukas nennen den Namen Levi als Zöllner. Aber dies tut der Geschichte keinen Abbruch. Jesus spricht einen Zöllner an. Zöllner sind zur Zeit Jesus die verhassten Menschen der Gesellschaft, weil sie sich in den Dienst der römische Besatzungsmacht stellen. Ein Jude, der sich mit diesen Menschen abgibt, galt als unrein. Er verstieß gegen alle gängigen Regeln und religiösen Gebote. Jesus schert das scheinbar nicht. Er setzt sich über die Gesetze und Gebote hinweg. Das, was richtig ist, nach den gängigen Rechtssprechung, scheint Jesus nicht zu interessieren. Für Jesus gibt es ein höheres Gesetz als das, welches die Menschen festgeschrieben haben.
In diesem Predigttext wird die außergewöhnliche Handlungsweise ausgedrückt. Oder können Sie sich vorstellen, dass ein moralischer Mensch sich zu Huren setzt oder zu Schwerverbrecher oder zu Menschen mit zweifelhaften Ruf. Die Normalen in der jüdischen Welt zur Zeit Jesu scheint dies aufzuregen. Die Pharisäer sind aber nicht die Bösen, es sind die Normalen wie wir es heute sehen würden. Nicht das Gefallen an den Regeln oder Opfer (wie Jesus in Vers 13 sagt), ist das entscheidende, sondern die Barmherzigkeit, die hinter den Opfern und Regeln steht. Es geht nicht um die richtige Form, nicht um richtig oder falsch, was wir Menschen uns festlegen, sondern es geht um den Menschen, dem die Regeln eine Hilfe sein sollten. Nicht die Krankheit ist das, was unsere Zuneigung braucht, sondern der Mensch, der die Krankheit hat.

3.         Christliche Übertragung

Das Thema Gerechtigkeit ist das Grundthema unserer evangelischen – lutherischen Kirche. Es ist Luther gewesen, der die Sichtweise Jesus laut in dieser Welt herausgesprochen hat. Sicher gab es vielen andere, die die gleiche Frage versucht haben zu stellen. Aber Luther hat dies mit der weltlichen Macht vereinen können, damit eine eigene Kirche, die in der Tradition der Botschaft steht, entstehen kann.
Luther hat das Thema von Rechthaben und Gerechtigkeit auf Gott bezogen und die Frage gestellt: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott.
Regeln, Gesetzen, Ablassbriefen – hat er eine klare Absage erteilt, weil es die Barmherzigkeit Gottes ist, die dem Menschen ohne seinen Verdienst oder Anteil Gnade zuspricht.
Stellen Sie sich ein Gericht vor, bei dem bevor sie sich rechtfertigen können, schon Bramherzigkeit erhalten und wieder wie ein ‚freier’ Mensch das Gericht verlassen dürfen. Keine Strafen, keine Auflagen – nur die pure Freiheit, die durch die Barmherzigkeit Gottes geschenkt wird.
Das ist die Aussage des Bibeltextes, das ist Botschaft, die das Verhalten Jesu ausdrückt. Es ist das Fundament der evangelischen Kirche und unseres Glauben.

4.         Heute

Manche Menschen wissen nicht mit dieser Freiheit umzugehen. Stellen sie sich die Welt ohne Regeln und Gesetze vor. Deshalb unterscheidet Luther auch zwischen der weltlichen Ebene und der göttlichen Ebene. Die Barmherzigkeit, die Gnadenzusage gehört in den Bereich unseres Glauben und der Kirche. Und dennoch benötigen wir heute in der Welt Regeln und Gesetze.

Für uns als Christen ist das eine doppelte Aufgabe.

Wenn es um Regeln und Gesetze geht haben wir die Verpflichtung durch die Gesetze hindurch zu schauen. Es geht nicht um das Vergehen, sondern um den Menschen, der für dieses Vergehen verantwortlich ist. Selbst die schlimmsten Taten unterliegen im Reich Gottes der Barmherzigkeit. Das heißt nicht, dass wir alle Taten tolerieren und gutheißen. Es heißt aber, dass wir hinterfragen müssen, ob und wie der Mensch ist. Einfach ausgedrückt: Im täglichen Leben sehen wir nicht nur die Hülle, die Sprache, den Geruch, das Auto, den Reichtum oder die Armut – sondern wir sehen durch diese Schleier hindurch auf den Menschen selbst. Das ist nicht immer einfach, weil es oft die Äußerlichkeiten sind, die mir es einfach machen. Nehmen Sie Menschen, wenn Sie krank sind. Eine schwere Krankheit, bei der wir nicht wissen wie wir mit diesen Menschen umgehen sollen. Es gilt nicht nur die Krankheit zu sehen, sondern den Menschen in seiner Krankheit. Leider kommt das auch häufig vor in Arztpraxen und Krankenhäusern. Das gleiche hat aber auch Gültigkeit in der Familien, am Arbeitsplatz in der Politik. Es gilt nicht nur den Pflegefall, den Depp von Bruder oder Schwester, das Human Kapital oder den politischen Gegner zu sehen, sonder den Menschen, der Hilfe benötigt; den Verwandten mit seinen Nöten, den Familienvater im Mitarbeiter oder auch den Kollegen der anderen Partei. Rechthaben und Gerechtigkeit sind verschiedene Dinge. Unsere Aufgabe liegt darin, den Blick auf den Menschen, den Jesus anspricht nicht zu verlieren.
Und das ist die Botschaft für den heutigen Sonntag: Schaue gerecht auf den Menschen und nicht sein Äußeres, damit du richtig und falsch erkennen kannst.

Und die Einsicht, die Gott uns schenkt, ist größer als alles, was wir erfassen können in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen