Predigttext: Apostelgeschichte 3, 1-10 (12. Sonntag nach Trinitatis)
Das Normale ist out. Das Außergewöhnliche tritt zur
Zeit seinen Siegeszug an. Die außergewöhnlichen Dinge haben heute
Hochkonjunktur.Um aufzufallen, müssen sich die Werbemenschen immer
spektakulärere Dinge einfallen lassen. Die Werbung wird – das ist auch
ganz nett – bunter, kreativer und anregender. Die Aktionen müssen
auffallen und ein Schrei der Beachtung auslösen. Sonst war die Werbung
nicht erfolgreich. Auch bei uns ist das scheinbar so: Um heute mitzuhalten,
reicht es scheinbar nicht mehr z.B. Sport zu machen. Nein, es müssen
Extremsportarten her. Fallschirmspringen, Bungeejumping, Extremklettern und
was sonst noch so beliebt. Events sind angesagt – also Ereignisse, die
besonders sind. Der Normale, der Otto oder die Lise Normalverbraucher haben
abgewirtschaftet.
Das Normale ist out. Und wer heute nicht an der Börse außergewöhnlich
abzockt sowieso. Außerhalb des Gewöhnlichen muss es sein, sonst bin ich außerhalb.
Gewöhnlich, wer will das von sich sagen?
Das Fernsehen macht es uns vor. Zwar glaubt man bei ‚big brother’ gewöhnliche
Menschen zu sehen, aber wer von uns lässt sich schon 100 Tage in einen
Container sperren, oder 7 Tage mit Menschen anketten oder auf einer einsamen
Insel (toll mit zig Kameras und Millionen Zuschauern – eben einsam)
bringen.
Es ist soweit: Das Normale hat ausgedient. Es lebe das Außergewöhnliche.
Da passt doch der Predigttext wie die Faust aufs Auge.
Ein Wunder. Endlich mal was Interessantes in der Bibel, was zum Modetrend
passt.
Ein Mensch, der vom Mutterleibe an gelähmt war und vor die Tür des Tempels
zum Betteln gesetzt wurde, der kann nun plötzlich gehen. Da läuft einer
herum, der es eigentlich nicht darf. Und neue Hüftgelenke (nichts außergewöhnliches
mehr) hat er wohl nicht von Petrus und Johannes verpasst bekommen. Ein
Wunder – welche ein Glück, das die Mode auch in der Bibel vorkommt.
Außergewöhnlich ist doch auch – nicht Jesus bewirkt das Wunder, sondern
seine Apostel.
Stopp.
Ist das alles so? Ist ein Wunder etwas,
was außerhalb des Gewöhnlichen steht? Was ist ein Wunder?
Sicher – das ein Mensch wieder gehen und laufen kann
ist schon außergewöhnlich, aber ist das das eigentliche Wunder? Ist es ein
Wunder, das Petrus und Johannes so etwas bewirken können?
Oder ist es nicht ganz anders. Machen Wunder einen nicht gewöhnlich, normal
wie viele andere auch?
Der Mensch ist gelähmt von Kind an, jetzt kann er normal wie Gewöhnliche
laufen. Er ist normal für seine Umwelt geworden und das ist das Außergewöhnliche.
Das ist das Wunder. Für den Kranken ist die Normalität, die Gesundheit das
Wunder. Für den Blinden – das Licht zum Sehen das Normale.
Wunder sind also nichts anderes als die Wegbeschreibung zum Normal-sein.
Wunder – das sind die Beschreibungen, wie wäre es die eigenen
Möglichkeiten zum Leben zu haben, ohne körperliche
Beschränkungen, ohne Begrenzungen, die sich durch Bildung oder Reichtum,
durch Hautfarbe oder Nationalität ergeben.
Wunder sind einfach in der Bibel der Weg zum Normalen. Ist das heute anders?
Welche Wunder, wenn sich Menschen heute, als normal ansehen können und
wollen. Wenn Menschen mit dem zufrieden sind, was andere auch können und
vermögen.
Heißt Wunder heute eigentlich nichts anderes als sich selbst zu akzeptieren
und die Möglichkeiten des Normal zu leben?
Das hört sich einfach an. Lassen Sie mich eine kurze
Geschichte über ein Wunder erzählen, das Wunder als den Weg zum normalen
Leben beschreibt.
Im Zivildienst durfte ich einen Menschen betreuen, der durch Multiple
Sklerose total gelähmt war. Genauso alt wie ich damals - 19 Jahre –
festgeschnallt an einen elektrischen Rollstuhl, bewegen konnte er einen
Finger und leicht seinen Kopf. Ein hoch intelligenter Mensch. Das Wunder war
nicht aus dem Stuhl springen, sondern die Art und Weise wie dieser Mensch
den Weg zum normalen Leben fand. Und auch mir diesen Weg, dieses Wunder
zeigte. Das Wunder war nicht die wundersame Heilung durch ein neumodisches
Medikament, sondern, dass dieser Mensch sich und sein Leben angenommen
hatte. Das Normale waren sein persönliches Leben und seine persönlichen
Dingen. Wunder – das habe ich dort gelernt ist –trotz Gebrechen, Krebs,
Aids und aller Krankheiten das eigene Leben als ein normales Leben zu
akzeptieren, das seine Aufgabe und Berechtigung hat. Dieser 19 Jährige hat
mich, seine Familie und die Umwelt gelehrt, was Leben bedeutet.
Dort geschah täglich neu das Wunder, dass ein Mensch sein Leben in der
Normalität führte. Normalität, aus die heute viele Menschen ausbrechen
wollen. Das Außergewöhnliche, was viele heute suchen um einen Kick zu
bekommen, ist doch nichts anderes als das Verdrängen des Normalen, dessen,
was wir gewohnt sind. Oder besser – gewohnt sein sollten.
Ehen und Beziehungen zerbrechen vielfach in der Normalität statt im Zustand
des Verliebt-Sein.
Beziehungen zu Kindern gehen vielfach in der Normalität des
Erwachsenwerdens zu Bruch statt im Baby und Kuschelalter.
Der Normalität entfliehen, sie nicht aushalten – deshalb flüchten viele
junge Menschen in das Außergewöhnliche des Wochenendes mit Krack, Pillen
und weiß was ich noch alles.
Arbeit, Macht, Reichtum als Ersatz für das Normale, in das sich Workeholiks,
Arbeitstiere oder ich mich selbst stürzen.
Wunder – das ist der ganz normale Wahnsinn, nämlich das Leben jeden Tag
neu annehmen und die eigenen Möglichkeiten ausschöpfen; so gut jede und
jeder von uns kann.
Wir Christen beschreiben auch die Quelle dieser Kraft, die uns die Möglichkeiten des Alltags ausschöpfen lässt. Während viele Menschen heute ausbrechen wollen aus dem Gewöhnlichen, dem Alltäglichen, dem Normalen, ist im Neuen Testament jedes Wunder der Weg zur Normalität.
Da ist einer ans Bett gefesselt durch krankheit, der
anschließend sein eigene Liege trägt. – Normal.
Da ist ein Lebrakranker, dessen Haut anschließend gesund ist – Normal!
Da sieht ein ehemals Blinder – NORMAL!
Jesus schafft die Voraussetzungen, dass wir Menschen NORMAL, gewöhnlich leben können und sollen. Es geht nicht um den Knaller der Heilung, sondern um die Schaffung der normalen Lebensumstände. Nicht die Heilung steht im Vordergrund, sondern das Wunder als dem Weg zum Normal sein.
Und das ist eigentlich das Wunder, von dem wir Christen
berichten:
Gott schenkt uns in Jesus Christus die Möglichkeiten, unser Leben zu leben.
Im Alltag, in Freud und Leid, in Licht und Wärme und auch in Krankheit und
Sterben. Das christliche Wunder, das uns in der Taufe zugesprochen wird, ist
die Grundbedingung normal sein zu dürfen und zu können. Die kleine Laura
Ricarda erhält heute die Zusage, dass sie sich normal entwickeln darf und es
ist unsere Aufgabe dieses Wunder zu vollbringen. Dass Laura lernt sich selbst
anzunehmen mit den Stärken und Schwächen, gemeinsam mit Eltern, der Svenia
und Großeltern, Paten und Verwandten/Freunden.
Normal mit Menschen umgehen auch wenn Sie sterbenskrank,
gebrechlich, sind. Normal mit anderen und sich selbst umgehen.
Normal das Leben leben in der Gewissheit der Zusage Gottes.
Wunder – das heißt nichts anderes als – die Möglichkeiten des Lebens zu
nutzen und in Horizont der eigenen Möglichkeiten auszuschöpfen.
Wunder heute sind normal. Nicht mit Blitz und Donner,
sondern es sind die Menschen, es sind Sie und ich und unsere Nachbar, die es
vermögen, Ihr eigenes Leben zu akzeptieren – auch in schwierigen Krisen, in
Leiden und ebenso in Freude.
Wunder – das ist nichts anderes als diesem Kind, das wir heute in die
Gemeinschaft taufen, die Möglichkeiten zu geben sich nach besten eigenen Möglichkeiten
zu entwickeln.
Hoffnungslosen und mir selbst beizustehen, wenn die Zeit mich überfordert.
Das ist das tägliche Wunder.
Oder Menschen, die im Sterben anderen Mut geben. Menschen, die Kranke pflegen,
besuchen und betreuen. Menschen, die trotz Verzweiflung in Ehe und Beziehung
Mut finden. Menschen, die Halt bekommen. Das sind die Wunder, von denen die
Bibel und wir Christen berichten.
Das ist die Botschaft für den heutigen Sonntag:
Wunder – das ist Gottes Gabe an uns, den Weg zum normalen Leben mit allen Möglichkeiten zu gehen und mit anderen zu leben.
Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen