1. Joh. 1,5-2,6 (9. Juli 2000) Neuenhain/Taunus

Thema: Versöhnung ist mehr als Mediation

 

1.         Einleitung

Wer aufmerksam die Zeitungen oder Nachrichten verfolgt, hat in den letzten Wochen Meldungen über Korea mitbekommen. Korea, zu Kolonialzeiten hieß es Indochina, ist seit 50 Jahren in zwei Staaten geteilt. Die Meldungen berichten von gegenseitigen Annäherungen der beiden koreanischen Staaten Nord- und Südkorea.

Vereinbart wurde, die Militärparaden zum fünfzigsten Jahrestag des Koreakriegs abzusagen. Korea – zwei Staaten- ein Volk, das eine ähnliche Geschichte durchgemacht hat wie wir in Deutschland. Nordkorea – Südkorea, Westdeutschland – Ostdeutschland, auch dort eine Trennung der Nation in folge des 2. Weltkrieges und des darauf folgenden Kalten Krieges. Die Grenze, die das Land durchzieht, symbolisiert die Gegensätze. Wie in Deutschland als Sichtbares Zeichen eine Grenze mitten durch Dörfer und Gemarkungen ging, so standen und stehen auch in Korea sich zwei Richtungen, Ideologien, Machtbereiche gegenüber. Kapitalismus, gefördert durch die USA, im Süden und Kommunismus ehemals gefördert durch die Sowjet-Union, die es heute so nicht mehr gibt.

Wir in Deutschland haben diese Grenze überschritten. In Korea gibt es diese Grenze noch. Aber die Menschen nähern sich an.

 

2.         Mediation – die Form der Annäherung

Für dieses ‚sich annähern’ gibt es auch ein Fachbegriff: Mediation. Nicht Meditation, sondern Mediation. Mit Mediation beschreibt man das Verfahren der gegenseitigen Annäherung. Dabei können auch Mediatoren, Menschen oder Organisationen helfen, dass verfeindete sich annähern.

Mediation kann es aber auch zwischen uns Menschen geben, nämlich dort wo Grenzen entstanden sind und Menschen versuchen, wieder aufeinander zuzugehen.

Dort, wo Ehen in eine Krise geraten, entstehen Grenzen, die teils schlimmer sind als Stacheldraht. Wo Eltern mit den Kindern nicht klarkommen oder umgekehrt, werden Barrieren aufgebaut, die schwer zu überwinden sind. Wo Parteien wie im Tarifstreitigkeiten aufeinandertreffen oder wo streitende Kinder sich fetzen - dort entstehen Grenzen, die mit Mediation überwunden werden könnten.

Ich bleibe realistisch. Wenn Menschen, Gruppen oder Nationen verfeindet sind und sich gegenüberstehen, hat auch die Form der Mediation, der Versuch der Annäherung vielfach kaum eine Chance.

Ich kann mich doch niemandem annähern, der mir öffentlich ans Bein gepinkelt hat, oder der sich absolut mies mir gegenüberverhält.

30 Jahre mehr Qual in einer Ehe lassen sich doch nicht einfach vergessen; auch wenn der Pfarrer ein tolles neues Wort in der Predigt hat. Mediation in ehren, aber die Geschichte, wie Grenzen entstanden sind, das lässt sich nicht einfach vergessen, verdrängen. Es braucht eine Zeit, um bereit zu sein, auf den anderen zuzugehen. Und erst wenn diese Zeit vergangen ist, kann die Annäherung auf fruchtbaren Boden fallen.

Dann kann ich mich in der ersten Stufen dem anderen Annähern. In Korea nach 50 Jahren, mit den Nachbar nach 5 Jahren, in der Familie nach 3 Tagen eisigem Schweigen.Das Ziel ist dabei gegenseitig aufeinander zugehen. Gleiche Partner nähern sich an und handeln schließlich eine Absprache aus, wie es weitergehen soll. Oder zwischen Staaten werden Verträge geschlossen. Sinnigerweise trägt der Vertrag zwischen der BRD und der DDR den Namen Einigungsvertrag.

Mediation braucht Bereitschaft zu Annäherung, sonst klappt das nicht.

 

3.         Versöhnung

So ganz anders als Mediation, ist das, wovon der Predigttext heute redet. Es geht auch um Annäherung, um Austausch. Aber es geht um etwas anderes. Es geht um Versöhnung.

Versöhnung hat so gut wie nichts mit Annäherung/Mediation zu tun

Es geht um keine Verträge, die ich schließen muss, um die trennende Grenze zwischen Menschen zu überwinden. Es geht nicht um einen klaren Plan, wann wie wer welche Tarifvorschlag, Angebot machen soll.

Versöhnung ist auch kein Verfahren von zwei gleichen Partnern.

Versöhnung ist ein einseitiges Verfahren.

Versöhnung da geht jemand von sich aus auf den anderen zu. Da überwindet einer alleine die Grenzen, wohl wissend, dass scharf geschossen werden kann.

Annäherung/Mediation ist dagegen doch einfach. Da gibt es ein Verfahren, wie Konfliktsituationen bearbeitet werden können. Aber ich kann mich wieder zurückziehen, wenn mir es nicht passt

Mit der Versöhnung ist es anders. Ich mache den ersten Schritt, ich mache den zweiten und den dritten Schritt. Und dabei mache ich mich angreifbar für den anderen, ich mache mich vielleicht zum Deppen, ich hole mir eine Abfuhr.

Die Grenze, die mit der Versöhnung überschritten wird, heißt in der Bibel Sünde. Und – bitte – Sünde ist nicht finstere Sexuelle Exzesse, Stehlen, Lügen, 10 Gebote oder sonst etwas. Das sind zwischenmenschliche Vereinbarungen, damit wir einigermaßen zusammenleben können. Aber um Gottes Willen reden wir nicht von Sünde, wenn jetzt die Ehe zwischen Gleichgeschlechtlichen legalisiert werden soll. Sünde ist das nicht.

In der Bibel wird Sünde als die Abkehr von Gott bezeichnet.

Was heißt Sünde also anderes, als sich abzuwenden, wegzugehen und Grenzen aufzubauen.

Sünde ist rumdrehen, nicht hinsehen, weghören, vorbeigehen, schlicht sich von dem Menschen und den Menschen abzuwenden – egal wie mies der Menschen mit seinem Charakter auch sein mag.

Sündigen heißt, die Existenz des anderen, die Lebensberechtigung in Frage zu stellen.

Diese Grenze ist für uns Christen durchbrochen wie auch der Predigttext aussagt: Jesus Christus macht uns frei von Sünden (1,7). Erhat die Grenze durchbrochen. Und hier wird deutlich was Versöhnung ist. Gott selbst geht auf uns zu und durchbricht unsere Sünde, unsere Grenzen, die wir aufbauen. Er macht den ersten den zweiten und den dritten Schritt. Er lässt sich verhöhnen, schlagen und töten. Keinen Vertrag mehr wie bei den 10 Geboten, kein Verhandeln mehr wie mit den Propheten. Nein Versöhnung beginnt Gott selbst.

 

4.         Versöhnung als Auftrag

Für uns heute, als Christen, ist die Botschaft einfach.

Suche die Grenzen, die aufgebaut werden, um Menschen voneinander zu trennen. Suche die Menschen, die sich abkehren, für besseres halten.

Suche die Menschen, die sich Abwenden von den Menschen, denn sie haben sich damit von Gott abgewandt.

Sünde ist weggehen statt hingehen auf jemanden, ist wegsehen statt hinsehen und wahrnehmen. Sünde ist vorbeigehen an jemandem statt zu helfen. Sünde ist abschieben von Menschen, statt sie zu betreuen und ihnen zu helfen. Nur weg vom Menschen, von Gott, von allem.

Und das ich Sünde, du sündigst, ihr sündigt, ist so klar wie die Luft, die wir gerade im Moment einatmen.

Es ist doch bequem, sich abzuwenden; mein eigenes Leben, meine eigene Wohnung, ich schalte den Fernseher ein, wann ich möchte, ich habe meine Ruhe und was soll ich mich um den Bettler auf der Straße kümmern oder um die Politik. Sollen die doch machen was sie wollen, ich habe meinen Fun (Spaß), meine Freunde, was kümmern mich die anderen. Und es ist doch schön, dass ich meine Augen nicht mit Menschen strapazieren muss, die mir permanent auf den Wecker gehen. Sünde ist doch so schön, aber sie baut Grenzen auf.

Und das ist die Botschaft für den heutigen Sonntag: Gehe auf den anderen zu, weil Gott selbst auf mich und dich zugegangen ist. AMEN.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen