1. Korinther 14, 1-3.20-25 (2. Juli 2000)

Thema: Grenzen überwinden

1.         Einleitung

Im Februar 1986 habe ich eine einschneidende Erfahrung gemacht, als ich das erste Mal in meinem Leben die DDR besuchte. Vier Wochen als Praktikant in einer Gemeinde in der DDR fuhr ich hinter Göttingen Richtung Osten und kam an die ehemalige Deutsch-Deutsche Grenze. Diese Erfahrung hat mich sehr stark geprägt, weil mit dieser Grenze mir zum ersten Mal deutlich wurde, was es bedeutet, getrennt – abgegrenzt zu sein. Ich weiß nicht wer von Ihnen die Deutsch-Deutsche Grenze noch live erlebt hat, aber dort war über eine Länge von fast 5 km bis ins Hinterland ein detailliertes System der Überwachung, der Abgrenzung, der Abschreckung aufgebaut. Für mich als Bundesbürger war dies eine schier unvorstellbare Abgrenzung, gewohnt frei überall hinzugehen und zu reisen. Eine Grenze, grenzt etwas ab. Hier war der Kapitalismus, der Wohlstand, und dort in der DDR der real existierende Sozialismus, Kommunismus. Die Grenze symbolisierte das Aufeinanderprallen zweier scheinbar nicht vereinbarer Ideologien oder Lebensvorstellungen. Und Grenzen sind dabei die Schnittstellen, die die gegenseitige Abgrenzung des jeweiligen Anderen deutlich machen und aufzeigen. Schnittstellen – Stellen an denen etwas geschnitten, getrennt wir – das sind die Grenzen zwischen Nationen oder Ideologien.

Als nun 1989 diese Grenze fiel, waren wir alle in einem Freudentaumel, und als dann auch noch in den folgenden Monaten die sichtbaren Bauten, der Zaun, die Türme, die Minen geräumt wurden, konnte die Grenze und die Abgrenzung überwunden werden. Die sichtbare abgrenzung wurde beseitigt. Die Zäune sind weg. Und dennoch scheinen bis heute Grenzen erhalten zu sein. Denn nicht nur das, was ich anfassen kann als Grenze, grenzt ab, sondern auch die Grenzen, die sich vielleicht in meinem Kopf, in unseren Köpfen, auftun. West-Ost: Da ist jemand mehr links-orientiert, der andere mehr rechts-orientiert, der eine mehr konservativ, der andere mehr liberal. Grenzen, Grenzen im Kopf.

Grenzen haben auch Vorteile - unbenommen. Denn durch die Abgrenzung ist klar, was hinter dieser Grenze ist; ich weiß was kommt, ich weiß was passiert, ich weiß im Grunde, wie ich mich verhalten muss. Ein Team, das sich abgrenzt, eine Jugendgruppe, die sich abgrenzt, eine Jugendbande vielleicht, grenzen sich ab. Das heißt aber auch zeitgleich, dass sie andere Menschen ausgrenzen, die nicht dazu gehören, weil sie andere Vorstellungen haben, vielleicht anders sind, anders reden oder vielleicht eine andere Hautfarbe haben. Aber das Problem bleibt die Abgrenzung. Und die meisten, die sich abgrenzen, fühlen sich im Recht oder besser als andere Menschen.

2.         Predigttext-Bezug

Zungenreden, ist das Thema, das Paulus in dem Brief an die Korinther bespricht. Es gab Menschen in Korinth, die sich abgrenzen wollten.

"Zungenreden", für uns heute schwer verständlich, ist nichts anderes als eine besondere Form der religiösen Darstellung. Sie wollten genauer sein, richtige Christen, sich abgrenzen von denen, denen nicht anzusehen war, bei denen nicht an der Sprache zu hören war, das Gott durch ihre Zungen redet. Diese Menschen, die mit der Zungen Gottes redeten, fühlten sich besser. Sie waren bessere Christen, und sie wollten im Grunde alle anderen entweder ausgrenzen, oder zu sich in ihre Grenze hineinziehen. Paulus erteilt diesem einen klare Absage. Der Grund: Abgrenzung ist nicht die Botschaft Jesu Christi. Jesus ist kein Eremit, der allein im Wald wohnt, oder in der Wüste. Er ist kein Sektierer, der die Grenzen aufbaut, vielleicht mit Stacheldraht, mit Gewehren, mit seltsamen Ideologien. Jesus ist keiner, der sich von Menschen abwendet und sie ausgrenzt. Und das vertritt Paulus gegenüber diesen Menschen, die glauben, mit den Zungen Gottes zu reden. Was Paulus macht, ist nichts anderes als das Evangelium zu vertreten - die frohe Botschaft- und was heißt die frohe Botschaft anderes: Ich muss mich als Christen nicht abgrenzen, nicht besser sein, nicht schöner sein, nicht mehr beten. Das Evangelium heißt nicht abgrenzen.

3.         Profil ‚Evangelium’ = auf andere zugehen

Die geniale frohe Botschaft ist einfach: Gott geht auf mich zu in Jesus Christus. Gott macht den ersten Schritt, die Grenze zu durchbrechen, Abgrenzung zu verhindern. Und deshalb, das ist die Botschaft des Evangeliums, darf ich auch auf andere zugehen.

Es gibt eine Vielzahl von Grenzen, die wir haben.

§      Reichtum – Abgrenzung von Armen (selbst in der Form, welche Kleidungsstücke ich bhabe oder welchen Zahlarzt ich mir leisten kann)

§      Bildung – Abgrenzung von Ungebildeten (sich intelligenter fühlen, Fremdwort gebrauchen, eine Dr. Titel oder Akademiker sein)

§      Nationen – Abgrenzung durch kulturellen Eigenarten (...)

§      Hautfarbe – Abgrenzung durch rassische Gründe (...)

Das Evangelium überbrückt diese Grenzen und Abgrenzungen.

Ich darf auf Menschen zugehen, nicht nur sonntags, nicht nur die Kirchensteuer zahlen und nicht nur die deren Hautfarbe mir gefällt. Das Evangelium brennt uns ein Profil in das Herz und dieses Profil ist keine Ausgrenzung. Wir grenzen nicht ab, sondern wir grenzen an. Wir gehen auf Menschen zu und Schwarz und Weiß hat bei Christen, sollte zu mindestens, keine Chance haben. Es geht nicht um links oder rechts, ost oder west, reich oder arm, krank oder gesund. Es geht nicht um die Guten oder die Bösen. Evangelium, das bedeutet nichts anderes, als Grenzen im Kopf oder auch sichtbare Grenzen zu überschreiten, und damit zu demonstrieren: Es gibt keine Grenzen.
Es gibt kein katholisches Evangelium, kein evangelisches Evangelium, kein methodistisches Evangelium, kein jüdisches Evangelium. Das, was wir demonstrieren dürfen, mit unserem Profil, ist, dass wir in unserer Person die Grenzen überschreiten dürfen. Wir dürfen auf die Menschen zugehen, die eigentlich Grenzen um sich aufbauen, d.h. nicht um sie dazu zu zwingen, unser Profil anzunehmen, aber deutlich zu verstehen zu geben, dass wir dieses Spiel der Ab- und Ausgrenzung nicht mitmachen. Für uns sind die Menschen, die vielleicht am Frankfurter Flughafen als Asylanten im Transitbereicht gehalten werden, Menschen bei denen wir die Grenze überschreiten müssen. Der Nachbar, die Witwe, das lernbehinderte Kind, der Wirtschaftsboss oder auch ganz einfach: Menschen, die neben mir sitzen. Mit der Zunge Gottes wollten die besonderen Christen in Korinth reden. Sie haben dabei vergessen, dass nur der mit der Zunge Gottes reden kann, der nicht Gott als Waffe, als Grenze gegen oder für andere benutzt. Mit der wahren Zunge Gottes zu reden, bedeutet das Evangelium zu leben. Ausgrenzung tötet Menschen, ob mit Worten oder ob mit Gewalt. Unsere Aufgabe ist es, und da hat Paulus im Korintherbrief recht, dass wir mit unserem christlichen Profil das Angebot an alle Menschen klar und deutlich aussagen: Ihr könnt auf uns zugehen und wir werden auf euch zugehen, weil Gott die Grenzen überschritten hat. Und das dies nicht einfach ist, dürfte jedem klar sein. Wenn Sie an Menschen denken, von denen Sie sich gerne absondern würden, Menschen, die Sie hassen oder überhaupt nicht mögen. Auch dort hat Gott die Grenzen niedergerissen und uns aufgefordert auf diese Menschen zuzugehen. Niemand hat gesagt, dass das Evangelium einfach ist und niemand hat behauptet, dass Christsein bedeutet mit Gott Bier zu trinken und Karten zu spielen. Profil, das ist Evangelium und Evangelium heißt Bewegung, Bewegung hin zum Menschen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen